Geopolitik«Grossmächte streben nach mehr Einfluss»
2024 kann jeder zweite Mensch wählen. Remo Reginold, Experte für Geopolitik, erklärt, welche Wahlen wichtig sind, wo Veränderungen erwartet werden und wohin die Welt steuert.
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Darum gehts
2024 ist ein Mega-Wahljahr: In über 80 Ländern der Welt finden bedeutende Wahlen statt.
Was wie ein grosses Jahr für die Demokratie anmutet, muss laut Geopolitik-Experte Remo Reginold vom Swiss Institute for Global Affairs mit Vorsicht betrachtet werden: Längst nicht überall seien die Wahlen frei und die Bürger mündig.
Reginold glaubt gar, dass sich in den grossen Linien wenig verändern wird. Insgesamt stünden die Zeichen auf Machthunger und Krieg.
Ist das Mega-Wahljahr ein Siegeszug für die Demokratie?
Remo Reginold: Das klingt zwar schön, muss aber relativiert werden. Viele Länder, in denen gewählt wird, sind weit von dem entfernt, was wir unter einer Demokratie verstehen.
Zum Beispiel?
In Indien, der vermeintlich grössten Demokratie der Welt, können sehr viele Menschen nicht lesen. Sie wählen dann vereinfachend ein Symbol wie einen Kreis oder einen Fisch, was für eine Partei steht. Dadurch ist eine Meinungsbildung nicht vergleichbar mit dem, was wir erwarten würden. Dazu kommen autokratische Staaten wie Russland, wo keine Meinungs- oder Pressefreiheit herrscht und die Opposition verfolgt wird.
Welche sind die wegweisendsten Wahlen 2024 für die Welt?
Südafrika dürfte instabiler werden, weil die grösste Partei ANC Federn lassen wird. Das könnte die aufstrebenden Brics-Staaten beeinflussen. Indien wird spannend, weil Modi, der von einem Grossreich Indien träumt, zulegen und damit stärker aussenpolitisch auftreten dürfte. Auch die US-Wahlen werden sicher interessant. Aber ganz ehrlich: Entscheidende politische Richtungswechsel sind nirgends zu erwarten, zumindest nicht, was die grossen aussen- und geopolitischen Verschiebungen angeht.
Es spielt also gar keine Rolle, ob die Amerikaner Trump oder Biden wählen?
Kurzfristig hat das sicher Auswirkungen, etwa auf den Ukraine-Krieg oder innenpolitisch. Auf lange Sicht kämpfen die USA darum, eine Weltmacht zu bleiben, und das gilt für Biden ebenso wie für Trump.
Bleiben wir trotzdem in den USA: Wenn Trump gewählt wird, werden die USA …?
… unberechenbarer. Was Vor- und Nachteile mit sich bringt. Beispiel Ukraine-Krieg: Wenn Putin Biden als Gegenspieler hat, weiss er ziemlich genau, wo die roten Linien sind und wie Biden reagieren wird. Bei Trump weiss das niemand, was dazu führen kann, dass Putin sich gewisse Sachen zweimal überlegt.
Und wenn Biden gewinnt, werden die USA …?
… bleiben, wie sie sind: mit sich selbst beschäftigt.
Sie haben geopolitische Verschiebungen angesprochen. Wohin bewegt sich die Welt?
Ein grosser Trend ist in vielen Ländern das Streben nach zivilisatorischer Einheit. Was ich damit meine: Putin träumt vom grossrussischen Reich. Modi von Grossindien. China will Taiwan wieder dem Greater China einverleiben. Populistische Führungen etablieren sich dort und unter ihnen streben die Grossmächte nach mehr Einfluss.
Ich glaube, dass die Welt Ende 2024 ...
Birgt das die Gefahr neuer Kriege und Konflikte?
Das ist zu befürchten. In Russland liegt es auf der Hand. Für Modi gehören Pakistan, Afghanistan, Nepal, Sri Lanka, Bhutan und weitere Länder zum grossindischen Reich, die sich dem sicher nicht einfach freiwillig anschliessen. China droht, Taiwan militärisch zurück nach China zu holen.
Was heisst das für die politische Entwicklung und Wahlen in Europa?
Es lassen sich in diesen unsicheren Zeiten zwei Trends feststellen: einerseits die Abkehr vom Establishment, etwa das Nationalistische: Man denkt wieder in kleineren Dimensionen und jeder schaut für sich. Und zweitens die Suche nach Stabilität, was darin resultiert, dass Bekanntes und Bisheriges gewählt wird.
Ich glaube, dass die Welt Ende 2024 ...
Ist dem so? In Deutschland erlebt die AfD als neue Partei starken Zulauf.
Das bestätigt die erste Tendenz, nämlich, dass eine Protestpartei zulegen kann. Überlagert wird dieser Trend durch die zweite Entwicklung, die Suche nach Stabilität.
Welche Wahl wird für die Schweiz bedeutend?
Kurzfristig am ehesten die Europawahlen, weil europäische Länder die grössten Handelspartner der Schweiz sind. Langfristig wird sich die Schweiz überlegen müssen, wo sie dazugehören, welche Interessen sie auf der Welt verfolgen will und wie sie mit den aussenpolitischen Unsicherheiten und Uneindeutigkeiten umgeht.
Wenn Sie heute Gott spielen könnten und mit dem Ausgang einer Wahl für mehr Frieden und Sicherheit sorgen wollten. Welche Wahl würden Sie wie entscheiden?
Die Formel für Frieden und Sicherheit ist extrem komplex. Für den Weltfrieden mag ein Wahlausgang gleichzeitig aussenpolitisch gut sein und innenpolitisch hochproblematisch, und umgekehrt. Ich denke hier beispielsweise an Brasilien und Argentinien. Ich glaube, wenn etwas hilft in Zeiten von Unsicherheit und Missinformation, sind es aufgeklärte, informierte, mündige Bürgerinnen und Bürger. Das lässt sich aber nicht über eine Wahl herbeizaubern.
Ich glaube, dass die Welt Ende 2024 ...
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