Nach Drogenabhängigkeit«Ich habe mir täglich 30 bis 35 Schüsse gesetzt»
Thomas Feurer (51) verbringt viel Zeit in der Drogenszene. Früher als Konsument, heute als Helfer. Im Gespräch mit 20 Minuten erzählt er, wie ein Herzstillstand ihn clean werden liess und wie sein Leben daraufhin eine 180-Grad-Wendung nahm.
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Darum gehts
Thomas Feurer (51) fing früh an, Drogen zu konsumieren: Heroin, Kokain, Benzodiazepine und Alkohol brachten ihn an den Rand der Gesellschaft.
Nachdem er sich in seinen schlimmsten Zeiten bis zu 35 Schüsse pro Tag gesetzt hatte, erlitt er 2003 wegen einer septischen Thrombose einen Herzstillstand.
Weil er während eines siebenmonatigen Spitalaufenthalts ständig unter Medikamenten stand, bekam er nichts von seinem Entzug mit und lebt seither clean.
Nach seiner Entlassung gründete er den Verein «Endless Life» und hilft bis heute denen, die es brauchen und wollen.
Thomas Feurer (51) steht fest im Leben. Der St. Galler ist verheiratet, hat zwei Töchter und eine Aufgabe. Er wirkt glücklich und ist es auch, wie er sagt. Das war nicht immer so. «Bis vor 20 Jahren war ich schwerst drogenabhängig. Heroin, Kokain, Benzodiazepine, Alkohol – ich habe alles konsumiert», sagt Thomas zu 20 Minuten. Heute ist er immer noch in der Szene unterwegs – mittlerweile nicht mehr als Betroffener, sondern als Helfer. Wie es ihm in der Abhängigkeit ergangen ist, warum er kurz sterben musste, um von den Drogen wegzukommen und wie er heute am Rande der Gesellschaft hilft, erzählt Thomas im Gespräch mit 20 Minuten.
«Ich habe mir täglich 30 bis 35 Schüsse gesetzt»
Thomas’ frühe Lebensjahre waren geprägt von Gewalt und Missbrauch. Er fühlte sich dadurch identitätslos – schon bevor er mit 15 oder 16 Jahren zum ersten Mal Heroin konsumierte. Er beendete noch die achte Klasse und verliess dann die Schule. «So führte sich das Muster fort. Ich habe immer wieder Jobs angefangen, Drogen konsumiert, bin abgestürzt und habe den Job wieder aufgegeben», erzählt Thomas. Trotzdem konnte er einen Erfolg feiern, als er seine Lehre als Verkäufer Unterhaltungselektronik bestand – «voll auf Drogen», so Thomas. Danach ist er auf der Gasse gelandet. «Ich war im Bienenhüsli, am Platzspitz, am Schellenacker – also dabei bei all den offenen Drogenszenen.»
1999 kam dann der «Super-GAU», wie Thomas sagt, nämlich als die «Kügeli-Dealer» aufkamen. «Dann bin ich wirklich auf die Strasse und habe alles verloren. Bis ins Jahr 2003 habe ich mir täglich 30 bis 35 Schüsse gesetzt.» Thomas hat kaum mehr geschlafen und wurde «völlig wahnsinnig». Das ging so weit, dass die Bevölkerung via Zeitung vor Thomas gewarnt wurde. «Ich habe Leute aufs Übelste um ihr Geld betrogen, habe teilweise ganze Existenzen zerstört, nur um an Geld für Drogen zu kommen», sagt der 51-Jährige. Vereinzelt hat er sich sogar prostituiert, um seine Sucht zu stillen.
«Voll auf Medis», bekam er vom Entzug gar nichts mit
Während der letzten vier Jahre seiner Sucht erlitt Thomas mehrere Überdosen und wusste: «Es könnte eng werden, wenn ich nicht zum Arzt gehe. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden, weil ich bei den Drogen bleiben wollte.» Als Thomas schliesslich mit einem Herzstillstand ins Spital eingeliefert wurde, änderte sich sein Leben schlagartig. «Die Ärzte sagten meiner Mutter, sie solle sich bei mir verabschieden. Ich hörte aber eine Stimme in mir, die sagte, ‹geh zurück› und dann bin ich aufgewacht.»
Nach seinem Herzstillstand, der durch eine septische Thrombose ausgelöst wurde, verbrachte Thomas weitere sieben Monate im Spital, und weil er «voll auf Medis» war, bekam er vom Entzug gar nichts mit. «Ich hatte seitdem nie mehr das Bedürfnis zu konsumieren», sagt Thomas, der auch in seinem neu gewonnenen Glauben Kraft schöpfte. Nach seiner Entlassung kehrte der clean gewordene Thomas mit dem Rucksack in die Szene zurück, um zu helfen. «Ich wusste, das war meine Bestimmung.»
«Mit unserem Engagement haben es viele aus der Drogenszene geschafft»
Er gründete im Jahr 2004 den Verein «Endless Life», wo er denen hilft, die es wollen und brauchen. «Anfangs glaubte niemand aus der Szene an mich. Sie kannten mich alle von früher und belächelten mich. Mittlerweile bin ich gern gesehen als Helfer. Ich bin einer von ihnen», so Thomas. Mit seinem Verein helfen er und zahlreiche Freiwillige aber nicht nur den Süchtigen, sondern allen, die Hilfe benötigen. Von Suchtberatungen, über Gassenarbeit bis hin zu Notschlafunterkünften, bietet der Verein die ganze Palette an Hilfsoptionen.
Seit seiner Rehabilitation erlebte Thomas zahlreiche Erfolgsgeschichten. «Mit unserem Engagement haben es viele aus der Drogenszene geschafft», erzählt er stolz. Trotzdem sei es «eine Berufung zwischen Freude und Leid», denn gleichzeitig gibt es jene, die sich nicht helfen lassen wollen. Das sei auch in Ordnung, «das ist deren Entscheidung und das muss ich akzeptieren.» Thomas hat gelernt, sich emotional abzugrenzen. Dennoch erinnert ihn ein Teil seines Jobs an das Leid, das er seinen Liebsten zugefügt hat. «Ich mache auch Coachings für Angehörige und da wird es oft sehr emotional. Das erinnert mich daran, was meine Mutter durchgemacht hat.»
Mit seiner Mutter hat der zweifache Familienvater heute ein «sensationelles» Verhältnis. Er hat sich gefangen und sein Erscheinungsbild lässt kaum erahnen, dass er einiges durchgemacht hat. «Ich habe viele körperliche Schäden: Titan im Rücken, kaputte Venen, einen Bruch an der Hand, den man nicht mehr richten kann.» Emotional geht es ihm aber «sehr gut». Thomas hat seine Berufung gefunden und weiss heute auch, wer er ist.
Hast du oder hat jemand, den du kennst, ein Problem mit Suchtmitteln?
Hier findest du Hilfe:
Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen
Feel-ok, Informationen für Jugendliche
Infodrog, Information und Substanzwarnungen
Anonyme Alkoholiker, Tel. 0848 848 885
Narcotics Anonymous, Selbsthilfegruppe für Suchtbetroffene
Stopsmoking.ch, Tel. 0848 000 181
Vergiftungsnotfälle, Tel. 145
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