Strafgericht BS«Gericht ist erschüttert» - Täter zeigt kein Mitgefühl für Opfer
Im August 2022 wurde ein Mann aufs Schwerste verletzt und ist seither auf Hilfe angewiesen. Drei Männer müssen sich wegen versuchter vorsätzlicher Tötung vor Gericht verantworten.
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Zusammenfassung
Für das heute 54-jährige Opfer gibt es ein Leben vor und ein Leben nach dem 12. August 2022. Damals geriet er in den frühen Morgenstunden vor der Basler Buddha Bar an drei junge Männer. Aus nicht wirklich geklärten Gründen begaben sie sich gemeinsam Richtung Lohweg-Unterführung, wo der 25-jährige Haupttäter den Mann brutal zusammenschlug. Er musste in der Folge notoperiert werden und überlebte nur knapp. Seither ist er im Rollstuhl und ein Pflegefall. Vorher war er ein DJ, der schon in den 1990er-Jahren in namhaften Clubs im In- und Ausland auflegte.
Der Hauptbeschuldigte wurde vom Basler Strafgericht am Donnerstag wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Die Anklage forderte «nur» zehneinhalb Jahre. Dass im vorliegenden Fall nur eine versuchte vorsätzliche Tötung vorliege, sei unerheblich. «Dass das Opfer nicht gestorben ist, ist reiner Zufall», befand Gerichtspräsident Roland Strauss. Dem Versuch sei folglich also keine Rechnung zu tragen. Das Gericht behandelt den Fall also gleich wie eine vollendete vorsätzliche Tötung. Dafür setzte das Gericht eine Einsatzstrafe von zwölf Jahren ein. «Mit Blick auf die Folgen für das Opfer kann sich das Gericht keinen schwereren Fall vorstellen», so Strauss. Bei der Tat erbeutete das Trio das Portemonnaie des Opfers und bezog in der Folge mit dessen Karten Waren für 256 Franken. Geld war denn auch das mutmassliche Motiv der Tat.
Mit dem Raub und den Nebenanklagepunkten sowie der Täterkomponente ergab das in der Summe dann 14 Jahre. Der deutsche Staatsangehörige kassiert zudem einen Landesverweis von 15 Jahren und muss dem Opfer eine Genugtuung von über 50'000 Franken ausrichten. Dass der vorbestrafte Gewalttäter selbst dann kein Mitgefühl mit dem Opfer zeigte, als dieses die Verhandlung besuchte, habe das Gericht erschüttert, so Strauss.
Die Mittäter (31 & 26) kamen vergleichsweise mit einem blauen Auge davon. Der Ältere muss 32 Monate ins Gefängnis wegen Raubs und unterlassener Nothilfe. Aufgrund seiner Vorstrafen kam ein bedingter Vollzug für den Ghanaer nicht in Frage. Der jünger Kongolese kassierte 18 Monate bedingt wegen unterlassener Nothilfe. Bei beiden sah das Gericht von einem Landesverweis ab.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Damit schliessen wir die Berichterstattung über den Fall. Vielen Dank fürs Mitlesen.
Unterschied zu vollendeter Tötung völlig unerheblich
In der jüngeren Rechtsprechung finde sich kein auch nur annähernd so gravierender Fall, führt Gerichtspräsident Roland Strauss aus. Die Fünferkammer des Basler Strafgerichts hat ein deutlich schärferes Urteil als von der Staatsanwaltschaft gefordert gefällt – 14 statt zehneinhalb Jahre. Strauss begründet das Strafmass nun.
Dass im vorliegenden Fall nur eine versuchte vorsätzliche Tötung vorliege, sei unerheblich. «Dass das Opfer nicht gestorben ist, ist reiner Zufall.» Dem Versuch sei folglich also keine Rechnung zu tragen. Das Gericht behandelt den Fall also gleich wie eine vollendete vorsätzliche Tötung. Dafür setzte das Gericht eine Einsatzstrafe von zwölf Jahren ein. «Mit Blick auf die Folgen für das Opfer kann sich das Gericht keinen schwereren Fall vorstellen», so Strauss. Der heute 54-jährige Geschädigte ist jetzt im Rollstuhl und für den Rest seines Lebens ein Pflegefall.
Er besuchte am Montag kurzzeitig die Verhandlung. Das hatte den Haupttäter nicht beeindruckt. Der 25-jährige, einschlägig vorbestrafte Gewalttäter zeigte im Verfahren keine Reue und auch im Gerichtssaal keine Regung von Empathie. «Das hat das Gericht erschüttert.»
Die Täterkomponente kam nebst den Nebenanklagepunkten strafverschärfend hinzu. In der Summe ergibt das dann den Strafrahmen von 14 Jahren. Dem Opfer muss der Haupttäter zudem eine Genugtuung von 50'000 Franken ausrichten.
Das Motiv bleibt schleierhaft
Die Tathintergründe bleiben weiterhin schleierhaft. Gerichtspräsident Roland Strauss rekonstruiert in seiner Urteilsbegründung die Tat, soweit sie für das Gericht nachvollziehbar ist. Es gibt zwar klare Beweise und eine Fülle von Indizien, die das Tatgeschehen erklären. Etwa einen Schuhabdruck des Haupttäters auf der Wange des Opfers. Das Motiv aber bleibt unklar. Die angeblichen Schulden, die das Opfer beim Haupttäter gehabt haben soll, gab es nicht. Das gab der Beschuldigte später sogar zu. Warum das Schläger-Trio gemeinsam mit dem späteren Opfer von der Buddha Bar bei der Heuwaage in die Lohweg-Unterführung gelaufen sind, ist unklar.
Das Opfer kann dazu heute keine Angaben mehr machen. Der frühere DJ kann sich an die Tat nicht mehr erinnern. Er erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und wird zeitlebens schwer behindert bleiben. Demgegenüber haben die Beschuldigten nur vage und vor allem taktisch ausgesagt.
Das wahrscheinlichste Motiv bleibt aber Geld. «Der Haupttäter habe um jeden Preis an Geld kommen wollen», ist für den Gerichtspräsidenten klar. Das Mass an Gewalt sei aber für einen Raub nicht nötig gewesen. «Wir wissen nicht, warum er derart ausgetickt ist.» Der 25-Jährige sei auf das Gesicht des Geschädigten getreten, das sei noch heftiger, als ein Kick gegen den Kopf. «Das Leben des Opfers hing am seidenen Faden. Er wäre wahrscheinlich gestorben, wäre nicht kurze Zeit später durch Unbeteiligte die Polizei und Sanität gerufen worden.»
Schuldig in allen Punkten
Der 25-jährige Hauptbeschuldigte wird von der Fünferkammer des Basler Strafgerichts zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Das Strafmass fällt damit wesentlich höher aus als von der Anklage gefordert. Diese beantragte eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten. Der Schuldspruch erfolgte in allen angeklagten Punkten, wobei die versuchte vorsätzliche Tötung am schwersten wiegt. Zudem wird er für 15 Jahre des Landes verwiesen. Das ist der längst mögliche Landesverweis, der ausgesprochen werden kann.
Die Mitbeschuldigten wurden beide von diesem Anklagepunkt freigesprochen und kommen mit wesentlich tieferen Strafen von 32 und 18 Monaten davon. Beide kassierten auch keinen Landesverweis.
Zusammenfassung der Parteiverhandlung
«Er kann uns aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht mehr sagen, wie sein Leben vor der Tat war», sagte der Anwalt des Opfers gestern vor Gericht. Das Vorgehen der Beschuldigten bezeichnete er als «äusserst brutal und grausam». Seit dem Raub im August 2022 ist der damals 53-jährige Mann auf Hilfe angewiesen. Am ersten Tag der Verhandlung war er kurz im Saal.
Während der 25-Jährige, dem die Staatsanwaltschaft den Grossteil der Gewaltausübung anlastet, machte vor Gericht keine Angaben zu den Vorwürfen. Die 30- und 26-jährigen Mitbeschuldigten belasteten vor allem den Deutschen und wollten mit der brutalen Attacke nichts zu tun haben. Ihre Rechtsvertretungen stellten sich hinter diese Aussagen und verlangten Freisprüche von den Hauptvorwürfen der versuchten vorsätzlichen Tötung und des Raubes. Ebenso plädierten sie, auf Landesverweise gegen ihre aus Deutschland, Ghana und der Demokratischen Republik Kongo stammenden Mandanten zu verzichten.
Anders sah das die Staatsanwältin und forderte Schuldsprüche gemäss Anklageschrift. Der 25-Jährige soll für zehn Jahre und sechs Monate ins Gefängnis und dann für 15 Jahre des Landes verwiesen werden. Für den 30-Jährigen beantrage sie eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten sowie einen Landesverweis von fünf Jahren. Der 26-Jährige soll laut der Staatsanwaltschaft noch für vier Jahre und drei Monate ins Gefängnis. Auf einen Landesverweis sei aber gemäss Härtefallregelung abzusehen. Die Fünferkammer des Strafgerichts Basel-Stadt wird nun beraten. Das Urteil soll am Donnerstag um 14 Uhr folgen.
Plädoyer der Verteidigung des 26-Jährigen Mitbeschuldigten
«Das was dem Opfer angetan worden ist, ist sehr schlimm», beginnt die Anwältin des 26-jährigen Mitbeschuldigten. Ihr Mandant bestreite die Vorwürfe aber. Zwar gebe er zu, anwesend gewesen zu sein. Dass er allerdings an den Gewalthandlungen und am Raub teilnahm, sei «reine Spekulation» der Staatsanwaltschaft. Der Beschuldigte sei von der Tat «geschockt» gewesen. Dass der 26-Jährige das Opfer noch getreten habe, sei nur Hörensagen und kein objektiver Beweis. Ein solcher sei aber für eine Verurteilung notwendig.
Und sogar wenn ihr Mandant die Tat gebilligt hätte, wäre es unzureichend, um eine Mittäterschaft zu konstruieren. Auch für die Gehilfenschaft reicht es nicht, sagt sie. Er habe schliesslich nicht einmal gewusst, was der Hauptbeschuldigte vorhatte.
Den Angriff durch den Hauptbeschuldigten habe er nicht erwartet, er sei überfordert gewesen, plädiert die Verteidigerin. Er sei einfach weggerannt, ohne jegliches Diebesgut. Dass er keine Hilfe anforderte, sei jedoch zutreffend, gibt sie zu. Bei der Unterlassung der Nothilfe müsse ein Schuldspruch erfolgen. Dem könne aber mit einer bedingten Strafe Freiheitsstrafe Genüge getan werden. In den Hauptvorwürfen soll er freigesprochen werden.
Nun äussert sich die Anwältin zum Landesverweis: es sei ein Härtefall anzuerkennen und von einer Landesverweisung abzusehen. Ihr Mandant sei mit sechs Jahren in die Schweiz gekommen und seine Familie und vor allem sein Kind seien hier.
Plädoyer der Verteidigung des älteren Mitbeschuldigten
Es spricht der Anwalt des 30-jährigen Mitbeschuldigten. Er sagt, nicht einmal die Staatsanwaltschaft wisse, wie sein Mandant anzuklagen sei. So habe sie, im Zweifel gegen den Beschuldigten, die härtere Variante gewählt. Der 30-Jährige habe den Plan des Hauptbeschuldigten nicht gekannt und nicht wissen können, dass seine Ohrfeige gegen das Opfer einen solchen Gewaltexzess zur Folge haben könnte. Auf eine Inkaufnahme des Todes könne daraus nicht geschlossen werden. Eine Ohrfeige sei eine Tätlichkeit, dies sei aber nicht angeklagt.
Vielmehr beweise die Ohrfeige, dass er eben nicht schwere Gewalt gutgeheissen habe. Er habe lediglich auf die Beschimpfung reagiert. Der Verteidiger bestärkt seinen Mandanten darin, dass dieser nicht wirklich etwas mitbekommen haben will: «Er wandte sich ab, weil er nichts damit zu tun haben wollte.» Sein Tatbeitrag könne als nicht notwendig für den Erfolg oder auch nur begünstigend betrachtet werden, sagt der Anwalt. Sein Mandant habe Angst vor dem Hauptbeschuldigten gehabt.
Der Anwalt bestreitet, dass die Berücksichtigung des Straftatbestands der unterlassenen Hilfeleistung rechtmässig ist. Man müsse den Beschuldigten und ihren Rechtsvertretern genug Zeit einräumen, um sich gegen alle Vorwürfe verteidigen zu können. Auch den Angriff könne man seinem Mandanten nicht vorwerfe: «Er hat den Hauptbeschuldigten in keiner Weise unterstützt, sondern sich entfernt». Bezüglich des Raubs stellt er sich ebenfalls hinter die Aussage des 30-Jährigen. Er habe die Taschen lediglich verwechselt und hatte keine unrechtmässige Bereicherungsabsicht. Für die Nutzung der Karten durch seinen Mandanten gebe es keine objektiven Beweise.
Er fordert für seinen Klienten Freisprüche in den Hauptanklagepunkten und die Zivilforderungen abzuweisen. Er sei lediglich zu büssen für einen Hausfriedensbruch und einen geringfügigen Diebstahl.
Plädoyer der Verteidigerin des Hauptbeschuldigten
Das Opfer ist nun anwesend und verfolgt die Verhandlung aus dem Publikum.
Am Nachmittag beginnt die Verhandlung mit dem Plädoyer der Verteidigerin des Hauptbeschuldigten. Ihr Mandant bestreite die Vorwürfe. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass es unklar sei, was eigentlich geschehen ist. Die Beweislage sei unsicher. So gehe aus dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin nicht eindeutig hervor, dass die entstandenen Verletzungen den Handlungen der Beschuldigten, respektive ihres Mandaten, kausal zuweisbar sind. Zudem seien die belastenden Aussagen der Mitbeschuldigten nicht zuverlässig. Sie würden ihre Beteiligung bewusst kleinreden und sich dabei in Widersprüchen verstricken. Ohnehin gebe es keine unabhängigen Zeugen.
Auch zweifelt die Anwältin an, dass man die Abdrücke so genau den Schuhen ihres Mandanten zuweisen könne. Ohnehin stimme die ungefähre bestimmte Schuhgrösse nicht. Ebenso kritisiert sie, dass die DNA ihres Mandanten nur im Mischprofil an der geraubten Tasche vorhanden war und nicht die des Mitbeschuldigten, der die Tasche mitgenommen haben soll. Auch am Opfer seien keine DNA-Spuren des Hauptbeschuldigten gefunden worden. Sie kann sich nicht erklären, wie ihr Mandant das Opfer in den in der Anklageschrift beschriebenen Zustand gebracht haben soll, ohne Spuren zu hinterlassen. Weiter stellt sie die These auf, dass eine vierte Person präsent gewesen sein könnte.
Die Verteidigerin des Hauptbeschuldigten belastet zudem den 30-jährigen Mitbeschuldigten. Es seien deutliche Blutspuren am Hut des Letzteren gefunden worden. Sie geht von einem weit grösseren Anteil des 30-Jährigen an der Gewaltausübung aus. Und die auf Videoaufnahmen ersichtliche Flucht aller Beschuldigten spreche dagegen, dass der ältere Mitbeschuldigte dem Opfer lediglich eine Ohrfeige verpasst habe.
Der 26-jährige Beschuldigte soll zudem damit geprahlt haben, das Opfer getreten zu haben, als es schon am Boden lag. Aus den obengenannten Gründen hält sie es für unverhältnismässig, die Gewalt grösstenteils dem Hauptbeschuldigten, ihrem Mandanten, zur Last gelegt wird. Schlussendlich könne nicht genau rekonstruiert werden, wie sich der Vorfall genau abgespielt habe. Ebenso verhalte es sich mit den Kreditkarten: Einerseits gibt es aus ihrer Sicht keine Beweise, dass ihr Mandant die Kreditkarten verwendete. Auf der anderen Seite sei eher der ältere Mitbeschuldigte für solche Delikte behördlich bekannt.
Sie fordert für ihren Mandanten vollumfängliche und kostenlose Freisprüche und eine Abweisung der Zivilforderungen.
«Äusserste Grausamkeit für 256 Franken»
«Er kann uns aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht mehr sagen, wie sein Leben vor der Tat war», so der Opfervertreter. Er sei aber von Bekannten als fröhlicher Mensch, der viel lachte, beschrieben worden. Auch der Opferanwalt wehrt sich gegen die Andeutung, sein Mandant habe etwas mit Drogen zu tun gehabt. Es sei schliesslich nie etwas gefunden worden.
«Selbst als er noch am Boden lag, schlugen und traten sie noch auf das Opfer ein», sagt der Opfervertreter. Er bezeichnet das Vorgehen als äusserst brutal und spricht von «äusserster Grausamkeit». Dann geht er auf die Verletzungen seines Mandanten ein. Das Opfer habe in Lebensgefahr geschwebt, und zwar gleich aus mehreren Gründen. In der Bewusstlosigkeit seien seine Schutzreflexe ausgefallen, wodurch er Mageninhalte einatmete und einen septischen Schock erlitt. Das Schädel-Hirn-Trauma sei ebenso potenziell lebensbedrohlich und habe seinen Mandanten langfristig geschädigt: «Mein Mandant hat bleibende neurologische und kognitive Schäden». Auch die stark blutende Kopfwunde sei ebenfalls lebensgefährdend gewesen. Und das alles, um am Ende 256 Franken von seinen Kreditkarten abzuheben.
Der Opfervertreter geht genauer auf die Leiden seines Mandanten ein. Er zeichnet eine traumatische Leidensgeschichte. «Mit ihrer Tat haben die Beschuldigten ihm die Möglichkeit genommen, am Leben teilzunehmen», so der Anwalt. Sie seien dafür verantwortlich, dass er sein Leben nicht mehr selbst bestreiten könne. Eine Rückkehr in seine eigene Wohnung sei ausgeschlossen, da er auf Unterstützung angewiesen sei.
Er fordert für entstandene Kosten einen Schadenersatz von 14’860 Franken. Zudem habe der nicht-materielle Schaden ein solches Ausmass angenommen, dass ein Schadenersatz gezahlt werden müsse. Diesen beziffert er mit 50’000 Franken.
Strafzumessung
«Kaum in Basel ist er innert kürzester Zeit gegen drei Personen gewalttätig geworden», sagt die Staatsanwältin zum Hauptbeschuldigten. Sie beschreibt ihn als tickende Zeitbombe, die ohne Skrupel und Reue vorgehe. Nur die Verhaftung habe ihn davon abgehalten, weitere Delikte vorzugehen. Es sei nur dem Zufall zu verdanken, dass jetzt kein vollendetes Tötungsdelikt verhandelt werde. Sie fordert eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten und einen Landesverweis von 15 Jahren. Dazu sollen eine Geldstrafe von zehn Tagessätzen zu 30 Franken und eine Busse von 600 Franken für weitere Delikte kommen.
Auch das Verschulden des 30-jährigen Mitbeschuldigten wiege schwer. Er habe mit der Ohrfeige gegen das Opfer die «Gewaltorgie» des Hauptbeschuldigten initiiert. Für ihn beantragt die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten sowie ein Landesverweis von fünf Jahren. Wegen weiterer Delikte soll ihm noch eine Busse von 300 Franken auferlegt werden.
Das Verschulden des 26-Jährigen wiege noch am leichtesten. Er soll für vier Jahre und drei Monate ins Gefängnis, so die Staatsanwaltschaft. Von einem Landesverweis soll aufgrund der Härtefallregelung abgesehen werden.
«Bei einer Attacke, die solche Spuren und Verletzungen hinterlässt, muss er den Tod des Opfers zumindest in Kauf genommen haben», so die Staatsanwältin. Dass dieser nicht eintrat, sei nicht dem Hauptbeschuldigten zu verdanken, sondern schnellen medizinischen Hilfe durch die Rettung. Damit qualifiziert sie die Tat als versuchte vorsätzliche Tötung.
Alle drei seien daran beteiligt gewesen, auch wenn sich nicht gleichermassen Gewalt ausübten. Denn die Mitbeschuldigten hätten gewusst, dass der Hauptbeschuldigte gewalttätig war. Sie hätten mit einer Ohrfeige und einem Tritt ebenfalls auf das Opfer eingewirkt. Zudem wäre den beiden zumutbar gewesen, zumindest die Sanität zu alarmieren. Das geschah aber erst durch Drittpersonen. Sollte das Gericht ihre mindere Gewalt nicht als versuchte vorsätzliche Tötung einstufen, sei die Unterlassung der Hilfeleistung zu prüfen, erklärt die Staatsanwältin.
Staatsanwaltschaft zum Kokain
«Es ist nicht glaubhaft, dass Erinnerungen mit zeitlichem Abstand besser werden», sagt die Staatsanwältin zur Aussage, es sei Kokain konsumiert worden. Zur Erinnerung: Diese Aussage wurde am Dienstag zum ersten Mal gemacht, nachdem das Verfahren schon 1,5 Jahre dauert. Darauf könne nicht abgestellt werden.
Plädoyer der Staatsanwaltschaft
Das Beweisverfahren ist abgeschlossen. Nun plädiert die Staatsanwältin. Sie hält zunächst die schwerwiegenden Folgen für das Opfer fest. Danach beschreibt sie, wie die Beschuldigten als mutmassliche Täter identifiziert wurden. Sie verweist auf verschiedene Aufnahmen von Überwachungskameras, die beweisen sollen, dass sich alle drei zusammen zum Tatzeitpunkt am Tatort befanden und schliesslich dabei gefilmt wurden, wie sie diesen rennend verliessen.
Beim Schädel-Hirn-Trauma handle es sich um eine lebensbedrohliche Verletzung, so die Staatsanwältin. Diese könne langfristige Folgen für das Opfer haben. «Leider hat sich das bewahrheitet». Das Opfer habe in jedem Bereich Therapie benötigt und sei nun in der höchsten Pflegestufe eingeteilt. Zudem reagiert die Anklage auf die Behauptungen der Beschuldigten, es sei Kokain konsumiert worden: «Im Blut des Opfers wurde kein Kokain gefunden».
Zusammenfassung zum Raub
Grundsätzlich bestreiten die beiden Mitbeschuldigten die Ereignisse nicht. Sie machen nicht geltend, gar nicht dort gewesen zu sein. Sie wollen allerdings mit der Gewalt und dem Raub der Tasche nichts zu tun haben. Die Verantwortung für die brutale Attacke gegen das Opfer legen sie klar auf den 25-jährigen Hauptbeschuldigten. Sie selber seien nicht daran beteiligt gewesen, hätten auch kaum etwas mitbekommen. Der Hauptbeschuldigte äussert sich nicht dazu.
Das Gericht gibt sich grundsätzlich skeptisch gegenüber ihren Aussagen. Es hält es offenbar für unwahrscheinlich, dass sie so nah an einem solch brutalen Vorfall waren, ohne es wirklich mitbekommen zu haben. Es gibt auch Widersprüche zur geraubten Tasche und verschiedenen Überwachungsaufnahmen, die dem Gericht vorliegen.
Die Beschuldigten müssen sich natürlich nicht belasten, allerdings gibt es doch erhebliche Unterschiede zwischen ihren Aussagen und der Anklageschrift. Vor allem scheint bei den beiden Mitbeschuldigten eine erhebliche Lücke rund um die Kernereignisse zu bestehen. Es bleibt abzuwarten, wie die Verteidiger der Beschuldigten die Aussagen einordnen.
Zum Raub
Der 30-Jährige spricht weiter, nun doch zum Raub selber. Der Hauptbeschuldigte soll Kokain konsumiert haben und sei immer aggressiver geworden, habe wieder Geld gefordert. Der Hauptbeschuldigte habe das Opfer gepackt, das will der Befragte noch gesehen haben. Da habe er aber schon das Feld räumen wollen. «Ich wollte nur vom Tatort weg», sagt er. Er habe den 26-Jährigen da dazu aufgefordert, den Ort zu verlassen. Das Opfer habe er nie am Boden liegen sehen, gibt er weiter an.
Der 30-Jährige sagt, er habe eine Tasche mitgenommen, von der er dachte, sie gehöre dem anderen Mitbeschuldigten. Erst später habe sich herausgestellt, dass es sich um die Tasche des Opfers handelte. Das Gericht bleibt in der Befragung kritisch, was die Aussagen angeht. Die Taschen seien sich gar nicht ähnlich und das Opfer habe seine immer mit dem Riemen über die Schulter getragen. Wie soll sie plötzlich am Boden gelegen haben?
30-Jähriger wird befragt
Der 30-Jährige spricht nun. Er sei seit Jahren mit dem anderen Mitbeschuldigten befreundet. Er beschreibt eine engere Beziehung, als es der 26-Jährige tat. Den Hauptbeschuldigten habe er erst später kennengelernt. «Am Anfang war er eigentlich ganz gemütlich, wurde mit der Zeit aber immer aggressiver», sagt er zum Charakter des Hauptbeschuldigten. Das habe aber nicht am Alkohol gelegen.
Der Befragte sei mit Freunden in der Stadt gewesen und habe Alkohol getrunken. Die beiden anderen seien später hinzugestossen. Dann seien sie zusammen in die Bar. Das Gespräch zwischen dem Hauptbeschuldigten und dem Opfer sei entstanden, weil der mutmassliche Haupttäter behauptet habe, das Opfer schulde ihm Geld. Es sei um Drogen gegangen. «Das hören wir in diesem Verfahren das erste Mal», bemerkt Strauss.
Unter der Brücke, also der Lohweg-Unterführung, soll das Opfer einen Minigrip mit Kokain ausgepackt haben, behauptet der Beschuldigte. Der Hauptbeschuldigte soll Kokain konsumiert haben. Das Opfer habe aus «gutem Willen» Kokain zur Verfügung gestellt, die Stimmung sei im weiteren Verlauf noch aggressiver geworden. Ob das Opfer ebenfalls konsumierte, will das Gericht wissen. Das weiss der Beschuldigte nicht, sagt er.
«Warum hören wir das heute zum ersten Mal?», fragt Strauss nach. «Ich habe viel darüber nachgedacht und es kommen Sachen hervor», sagt der Beschuldigte. Ob es tatsächlich um Drogen ging, ist schwer zu sagen. In der Rechtspraxis ist man in der Regel skeptisch gegenüber Aussagen, die plötzlich an der Hauptverhandlung auftauchen.
Videoaufnahmen
Es gibt Videoaufnahmen, die zeigen, dass die drei Beschuldigten davongerannt sind. «Wieso sind Sie davongerannt?», will der Gerichtspräsident wissen. «Weil die anderen gerannt sind», so der Beschuldigte. Er will mit den Gewalthandlungen und dem Raub der Tasche nichts direkt zu tun gehabt zu haben. Er habe kaum etwas mitbekommen. Strauss merkt an, dass er dann aber doch dazu fähig war, mit den anderen zu rennen. Eine Erklärung dafür hat der Beschuldigte nicht.
Das einzige, was er noch wisse, sei, dass er das Opfer nicht getreten habe. Auch hier zeigt sich das Gericht skeptisch. Strauss fasst zusammen: «Sie waren betrunken, sahen nichts und haben nichts mitbekommen, aber das wissen Sie wiederum.»
Raub
Die Beschuldigten werden zum Vorwurf des Raubs befragt. Der 25- und der 30-Jährige wollen dazu keine Aussagen machen. Der 26-Jährige hat eingewilligt, auszusagen. Er habe den 30-Jährigen gekannt, sie seien aber nicht befreundet gewesen. Der 30-jährige Mitbeschuldigte sei ihm zufällig begegnet und sei bereits in Begleitung des Hauptbeschuldigten gewesen. Man habe sich spontan entschlossen, den Abend zusammen zu verbringen. Sie seien direkt in die Bar gegangen, in der sie das spätere Opfer trafen. An Details mag er sich nicht erinnern. Er sei zu betrunken gewesen.
Er gibt an, das Opfer nicht gekannt zu haben. Die anderen beiden seien in einem Gespräch mit ihm verwickelt gewesen und der Beschuldigte sei später dazugestossen. Das Thema, die Bar zu verlassen, sei aufgekommen. Er habe vermutet, man wolle in die Stadt weitergehen, um noch etwas zu trinken. Der Gerichtspräsident merkt an, dass man die Bar aber in die falsche Richtung, nämlich in Richtung Heuwaage verlassen habe. Dort gebe es nichts zu trinken. «Haben Sie sich keine Gedanken dazu gemacht?», will das Gericht wissen. «Nein», sagt er, da er zu betrunken gewesen sei. Was gesprochen wurde, wisse er auch nicht.
Das Opfer soll in der Unterführung am Lohweg eine rassistische Beleidigung ausgestossen haben, so der Beschuldigte (bei den drei Beschuldigten handelt es sich um People of Color). Er will aber nicht nahe genug dran gewesen sein, um es selber gehört zu haben. Der Gerichtspräsident fragt immer wieder nach Details. Wer hat was wann gesagt? Wie wusste er davon, wenn er es nicht gehört hat? Das Gericht ist offenbar skeptisch, was die Aussagen angeht. Dass das Opfer niedergeschlagen wurde, will er nicht mitbekommen haben. Er habe nur gesehen, dass er getreten wurde. «Ich war betrunken», beteuert der Beschuldigte. «Ja, klar», sagt Strauss, sichtlich verärgert.
Beschuldigte zur Person
Die drei Beschuldigten werden zur Person befragt. Sie stammen aus schwierigen bis zumindest komplizierten Verhältnissen. Der Hauptbeschuldigte, ein 25-jähriger Deutscher, ist in Deutschland mehrfach vorbestraft und delinquierte bereits als Jugendlicher. Er ist Vater zweier Kinder. Eine Ausbildung und ein geregeltes Leben kann er nicht vorweisen. Zu einer möglichen Landesverweisung möchte er sich nicht äussern.
Der eine mutmassliche Mittäter, ein 30-jähriger Mann aus Ghana, kam bereits als Kind mit seinen Eltern in die Schweiz. Er hat die obligatorische Schulzeit in der Schweiz absolviert und eine Lehre angefangen, die LAP aber nicht absolviert. Er ist mehrfach wegen Vermögensdelikten vorbestraft. Sollte er in der Schweiz bleiben können, möchte er eine Lehre oder ein Praktikum finden. Einen Landesverweis empfindet er als sehr schlecht für ihn, weil sein ganzes Leben in der Schweiz sei.
Der andere Mitbeschuldigte, ein 26-jähriger Mann aus der Demokratischen Republik Kongo, ist seit 2003 als vorläufig aufgenommener Flüchtling in der Schweiz. Auch er hat die Schule in der Schweiz absolviert. Er habe zwar eine Lehre abgeschlossen, wie er sagt, konnte im Berufsleben aber nie wirklich Fuss fassen. Er sagt, es sei schwierig, mit seinem Status eine Stelle zu finden, obwohl er sich immer wieder bewerbe. Er hat ein eineinhalb Jahre altes Kind. Bei einem Landesverweis würde er sich verloren fühlen, sagt er. Sein Kind und sein Leben seien ja in der Schweiz. Er hat gemäss Anklageschrift keine Vorstrafen, ist aber verschuldet.
Verhandlung beginnt
Die Verhandlung hat begonnen. Vor der Fünferkammer, präsidiert von Richter Roland Strauss, sitzen die drei Beschuldigten, dahinter Staatsanwaltschaft, drei Verteidiger, Opfervertretung und relativ viel Publikum.
Das Gericht kündigt zunächst an, dass es zusätzlich zur Anklageschrift auch die Straftatbestände des Angriffs und der unterlassenen Nothilfe prüfen wird.
Vorschau
Drei Männer müssen sich am Dienstag wegen versuchter vorsätzlicher Tötung vor dem Strafgericht Basel-Stadt verantworten. Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt wirft den Beschuldigten vor, in gemeinsamer Begehung einen damals 53-Jährigen brutal zusammengeschlagen und ausgeraubt zu haben. Sie sollen den Tod des Opfers zumindest billigend in Kauf genommen haben, heisst es in der Anklageschrift.
Das Opfer erlitt bei der Attacke mitunter schwere Kopfverletzungen und kann sein Leben nicht mehr alleine bestreiten. Der Mann ist auf Hilfe angewiesen. Die Beschuldigten müssen sich zudem dem Vorwurf stellen, dass sie dem Opfer die Kreditkarten raubten und von ihnen Geld bezogen, nachdem sie den Mann in lebensbedrohlichem Zustand seinem Schicksal überliessen.