F/A-18-AbsturzRichter zu Lotse: «Sie haben den Tod verursacht, aber fahrlässig»
2016 zerschellte ein Kampfjet an einer Felswand beim Sustenpass. Am Anfang des Unglücks steht ein falscher Funkspruch. Am Dienstag wurde das Urteil verkündet.
Deine Meinung zählt
Ende der Urteilsverkündigung
Damit haben die Richter die Urteilsverkündung beendet. Gegen das Urteil kann innerhalb von fünf Tagen Einspruch eingelegt werden. Wie der 20-Minuten-Reporter vor Ort berichtet, haben viele der Anwesenden Tränen in den Augen. Der Lotse wird weiterhin bei Skyguide angestellt bleiben. Damit beenden wir die Berichterstattung. Wir danken für das Interesse und verabschieden uns.
«Ihr einziger Fehler»
Der Richter würdigt die Umstände: Der Pilot habe noch andere Flieger zu leiten gehabt und eine weitreichende Entscheidung in Sekundenbruchteilen fällen müssen. «Sie haben unbewusst fahrlässig gehandelt und ihre Berufsführung war tadellos. Das war Ihr einziger Fehler. Und Sie haben Anteil gezeigt gegenüber den Angehörigen der Opfer.»
«Sie haben den Tod verursacht»
«Ihr Verschulden ist als vergleichsweise leicht zu bezeichnen», sagt Gerichtspräsident Hofer, angesprochen darauf, dass es bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe hätte geben können. «Sie haben objektiv zwar den Tod verursacht, in subjektiver Art aber fahrlässig gehandelt.» Der Lotse sei unter grossem Stress gestanden und es habe eine Verkettung unglücklicher Umstände gegeben.
Lotse hätte korrigieren können
Der Lotse hätte laut den Richtern Möglichkeiten gehabt, die zumutbar gewesen wären: Am naheliegendsten wäre es gewesen, Fluglevel 150 anzugeben. Auch eine Warnung an den Piloten nach dem falschen Funkspruch wäre zumutbar gewesen. «Mit der sofortigen Übergabe an die Zentrale entzogen Sie sich aber der Möglichkeit, ihren Fehler wieder zu korrigieren.»
Stresssituation für den Piloten
Der Pilot habe sich während des Break-Locks in einer Stresssituation befunden. Der Lotse habe gewusst, dass der Pilot sich in einer dichten Wolkendecke befunden habe. «Dadurch kam Ihnen als Fluglotse eine besondere Verantwortung zu», sagt der Richter.
Haben Warnsysteme nicht funktioniert?
Die Experten haben festgestellt, dass die Warnsysteme der verunglückten F/A-18 erst wenige Sekunden vor dem Aufprall oder gar nicht funktioniert haben. Dem Piloten sei - wenn überhaupt - nur theoretisch eine Ausweichmöglichkeit geblieben. Praktisch hatte er wohl keine Chance.
«Wetterverhältnisse nicht ideal»
Das Gericht habe sich den Flugverlauf genau angesehen. «Beim Start waren die Wetterverhältnisse nicht ideal. Deshalb wurde mit dem Instrumentenleitsystem geflogen.» Was deklariert werden könne, sei, dass der Leader-Pilot die Parameter des «Quebec Climbs» nicht nahtlos eingehalten habe. «Festgestellt wurde auch, dass der Mindestabstand in der Luft nicht eingehalten werden kann, wenn nur mit 15 Sekunden Abstand gestartet wird.» Das war hier der Fall.
Dennoch kam das Gericht zum Schluss, dass der Pilot nicht dafür zur Verantwortung gezogen werden kann, dass es zu einem «Break Lock» gekommen sei. Denn: Auch der verunfallte Pilot sei abweichend geflogen.
«Viele unglückliche Umstände kamen zusammen»
Weiter sagt der Gerichtspräsident: «Festzuhalten ist, dass viele unglückliche Umstände zusammengekommen sind. Sie haben einen fehlerhaften Entscheid in einer Stresssituation gefällt. Diesen haben Sie versucht zu korrigieren, leider aber ohne Erfolg.»
Beim Piloten sieht das Gericht hingegen keine Schuld. Der Pilot habe den «fatalen Funkspruch» nicht gehört und hätte somit auch seinen Kollegen nicht warnen können.
Urteilsbegründung
Nach der Verkündung des Urteils führt Gerichtspräsident Hofer aus, wie man zum Urteil kam. «Das Verfahren hat lange gedauert, sehr lange. Das bedeutet eine enorme Belastung für alle Beteiligten, für alle Beschuldigten - aber auch für die Opferangehörigen.» Mit dem heutigen Urteil hoffe er, dass man einen Schlussstrich ziehen und Frieden gefunden werden könne.
Danach richtet sich der Gerichtspräsident an der verurteilten Fluglotsen: «Sie haben mit ihren letzten Worten am Donnerstag zur Opferfamilie Anteilnahme gezeigt und damit einen Teil zum Rechtsfrieden beigetragen.» Dies sei ihm anzurechnen. Dennoch sehe das Gericht die Verantwortung für das Geschehene bei ihm.
Urteil
Das Militärgericht Muttenz 2 hat am Dienstagnachmittag das Urteil im F/A-18-Prozess verkündet. Der Leader-Pilot wurde freigesprochen. Der Fluglotse von Skyguide wurde hingegen der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen. Er wird mit einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 170 Franken bestraft. Zudem muss der Fluglotse für einen Teil der Verfahrenskosten (über 40'000 Franken) aufkommen.
Verteidiger fordern Freisprüche
Wie der «Blick» berichtet, fordert der Verteidiger des Fluglotsen für seinen Mandanten einen Freispruch in allen Punkten. Auch der Verteidiger des angeklagten Leader-Piloten fordert für seinen Mandanten einen vollständigen Freispruch, soweit die Vorwürfe inzwischen nicht bereits verjährt seien.
Verteidiger des Fluglotsen spricht
Jetzt folgen die Plädoyers der Verteidiger. Der erste Verteidiger erinnert daran, dass der Pilot im Cockpit für die Mindestflughöhe verantwortlich sei, nicht in erster Linie der Controller. Dessen Aufgabe sei es auch nicht, einen Zusammenprall zu verhindern. Der Pilot hätte wissen müssen, dass man im Flight Level 100 die Berge um Meiringen nicht überqueren könne. Der Unglückspilot habe sich eigenverantwortlich selber gefährdet.
«Braucht eine gerechte Strafe»
Der zweite Opferanwalt führt ausserdem aus, dass der Fluglotse sich nie bei der Familie des verstorbenen Piloten gemeldet habe. Danach spricht noch ein dritter Anwalt, jener der Mutter der verstorbenen Piloten. Er sagt, es brauche eine gerechte Strafe. «Es ist an der Zeit, die Erinnerung an den Sohn zu ehren.» Nach einer kurzen Pause geht es weiter mit den Plädoyers der Verteidiger.
Opferanwalt 2: War ein Experte befangen?
Der zweite Opferanwalt, der den Vater des verstorbenen Piloten vertritt, kritisiert das Radar-Gutachten und stellt infrage, ob die Experten unabhängig gewesen seien: Einer der beiden kenne den angeklagten Fluglotsen persönlich.
Opferanwalt 1: Keine finanziellen Forderungen
Als nächstes spricht der Rechtsanwalt, der die Freundin des verstorbenen Piloten vertritt. Das Paar war vor dem tödlichen Unglück schon jahrelang zusammen. Der Anwalt kritisiert die Dauer des Verfahrens und sagt, für seine Mandantin und die Verarbeiten von ihrem Schmerz wäre es besser gewesen, wenn das schneller gegangen wäre. Die Militärversicherung habe der Freundin bereits eine Wiedergutmachung bezahlt, er stellt deshalb keine weiteren finanziellen Forderungen.
12 Monate und 9 Monate gefordert
Ankläger Aepli fordert, den angeklagten Fluglotsen zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten zu verurteilen. Für den angeklagten Leader-Piloten fordert er eine bedingte Haftstrafe von neun Monaten.
Der Ankläger stellt seine Forderung: Er plädiert für eine Freiheitsstrafe von maximal 4,5 Jahren.
«Abweichungen bleiben Abweichungen»
«Der Pilot hat vier der fünf vorgegebenen Richtlinien nicht eingehalten. Diese Tatsache lässt sich auch durch einen eventuellen Durchschnittswert nicht relativieren. Entscheidend sind die Abweichungen, die der Pilot aufwies», erklärt der Ankläger mit Nachdruck. Er unterstreicht während seines Pladoyers deutlich: «Abweichungen bleiben Abweichungen.»
Auditor Aepli äussert sich zum Verhalten des Fluglotsen und dessen Rolle im Unglück: «Das Handeln des Fluglotsen hat zumindest zur Begünstigung des Unfalls beigetragen. Der Unfall war für ihn vorhersehbar».
«Es muss eine strafrechtliche Verurteilung geben»
«Es muss eine strafrechtliche Veurteilung geben», betont der Ankläger, noch bevor er seine spezifische Forderung formuliert. Aus seiner Sicht ist klar, dass eine Bestrafung erfolgen muss, wobei es noch offenbleibt, auf welchen genauen Straftatbestand sich die geforderte Verurteilung bezieht. Die schwerwiegendste mögliche Anklage in diesem Kontext könnte sich auf fahrlässige Tötung beziehen, bei der das höchste Strafmass zu erwarten ist.
Aepli stellt klar: «Hätte der Angeklagte nicht die Anweisung ‚Flight Level 100 erteilt, wäre der Trailer-Pilot nicht auf dieser Flughöhe geflogen.» Er hebt hervor, dass der Fluglotse mit seiner Anweisung die grundlegende Regel der Mindestflughöhe von 15’000 Fuss für die betreffende Piste des Flughafens Meiringen missachtet hat. «Die Einhaltung der Mindestflughöhe ist eine fundamentale Vorschrift», unterstreicht der Ankläger.
Ankläger Aepli erklärt, dass die Untersuchung eines Flugunfalls stets darauf abzielt, aus Fehlern zu lernen und die Flugsicherheit zu erhöhen. In diesem Fall, liegen keine absichtlichen Delikte vor, sondern fahrlässiges und pflichtwidriges Handeln, das zum Absturz geführt hat, so Aepli. «Trotz der umfangreichen 6000 Seiten an Untersuchungsakten ist der Fall eigentlich nicht komplex.»
Er wiederholt, dass der Leader-Pilot mehrere Anforderungen des «Quebec Climbs» nicht erfüllt hat. Der Ankläger betont, es handle sich um Fahrlässigkeit: «Die Angeklagten haben die Konsequenzen ihres Handelns nicht bedacht.»
«Unser Ziel ist es nicht, die Angeklagten zu diskreditieren.»
Zu Beginn seines Plädoyers betont Ankläger Aepli: «Unser Ziel ist es nicht, die Angeklagten zu diskreditieren. Beide Angeklagten sind gewiss keine Schwerverbrecher. Sie sind beide anerkannte Fachleute in ihren Berufen.» Er fügt hinzu: «Es gibt keinen Grund, an ihren grundlegenden beruflichen Fähigkeiten zu zweifeln.»
Erklärungsvideo über Radargerät
«Nachdem wir bereits eine Einführung in das Cockpit des F/A-18 hatten, können wir nun auch das Radargerät näher betrachten.» Mit diesen Worten leitet der Verteidiger des Fluglotsen die Vorführung eines vierminütigen Videos im Gerichtssaal ein. Das Video veranschaulicht die Bedienung des Radargeräts, das zum Zeitpunkt des Absturzes in Meiringen in Betrieb war. Nach der Vorführung des Videos wird die Beweisaufnahme offiziell abgeschlossen.