Tote aus ThunerseeTäter (39) muss wegen Mordes über 17 Jahre hinter Gitter
Jasmin P. wurde bei Gunten im Januar 2021 tot aus dem Thunersee geborgen. Der mutmassliche Mörder steht vor dem Berner Regionalgericht Oberland. 20 Minuten berichtet im Ticker.
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Handelte es sich um einen Femizid?
Im Interview mit der Staatsanwältin sagt sie, dass die Definition eines Femizid ihr nicht ganz klar sei. In den letzten Jahren kommt der Begriff jedoch immer wieder im Zusammenhang mit Morden an Frauen auf. 20 Minuten definiert den Begriff so.
Das sagt die Staatsanwältin zum Urteil
Urteilsverkündung beendet
«Damit ist die Urteilsverkündung beendet», sagt Gerichtspräsident Santschi. Der Verurteilte P.R. sitzt weiterhin reglos da. Er wird in Fussfesseln aus dem Gericht geführt.
11’000 Franken Genugtuung für die Eltern
Jetzt geht es um die Zivilklage der Eltern. Das Verhältnis mit den zwischen Jasmin P. und ihren Eltern sei schlecht gewesen. Die Eltern haben keinen Kontakt zur Tochter gehabt, deswegen spricht das Gericht ihnen insgesamt 11’000 Franken Genugtuung zu.
Die Richterinnen und Richter gehen von einer Fluchtgefahr aus und ordnen drei Monate Sicherheitshaft an. Zudem wird eine ambulante therapeutische Behandlung angeordnet, und P.R. wird lebenslänglich jede Tätigkeit, in der ein regelmässiger Kontakt zu Minderjährigen erfolgt, verboten.
Das Urteil: 17 Jahre 8 Monate Haft
Langfristig war die Tötung laut Gerichtspräsident wohl nicht geplant. Er habe das Bruderholz herausgesucht, weil es so abseits vom Schuss ist und einen ungestörten Raum für sexuelle Praktiken biete.
«Er wollte Sex und das hat nicht geklappt», sagt der Gerichtspräsident. Daraufhin habe er auf sie eingeschlagen und sie stranguliert. «Die Emotionslosigkeit bei der Tat fällt auf, er ist zu keiner Zeit zurückgeschreckt», so der Gerichtspräsident.
Der Beschuldigte wird des Mordes und der Störung des Totenfriedens schuldig gesprochen. 17 Jahre Haft für den Mord an Jasmin P.. Dazu kommen sechs Monate für die Störung des Totenfriedens und zwei Monate für die Pornografie und Gewaltdarstellung.
Er konnte sie so nicht mehr zurückbringen
Der Beschuldigte gab an, die Kabelbinder alle zur selben Zeit angelegt zu haben, nämlich um den bereits toten Körper am Sockel zu befestigen. Das kann nach diesen Erkenntnissen nicht der Fall gewesen sein.
Am 15. Januar, bereits einen Tag vor der Tat, habe der Beschuldigte das Bruderholz bereits gegoogelt. Er hatte ausgesagt, dass das Opfer den Ort vorgeschlagen hätte. «Eine Gegend, wo es in der Nähe eher weniger Häuser gibt», wie der Gerichtspräsident sagt.
Bei den Befragungen gab der Beschuldigte unterschiedliche Versionen des Geschehens im Bruderholz an. Es stehe jedoch fest: Die Kopfverletzungen seien nicht mit einem Sturz auf das Steinkreuz erklärbar. Zudem lud der Beschuldigte den angeblich leblosen Körper in seinen Transporter und steuerte kein nahegelegenes Spital an. «Das macht man nur, wenn man die Verletzungen selbst zugefügt hat», sagt der Gerichtspräsident.
Die Schilderung, dass er ihren Puls nicht mehr gefühlt habe und dachte, sie sei bereits tot, ist laut Gerichtspräsident eine Schutzbehauptung. Der Beschuldigte muss sich gedacht haben, er könne das Opfer mit den Verletzungen so nicht wieder zurück nach Hause bringen.
Als sie gefesselt wurde, lebte sie noch
«Im vorliegenden Fall haben wir doch viele unbestrittene Fakten», sagt der Gerichtspräsident. Im Bruderholz habe sich Jasmin P. die Kopfverletzungen zugezogen, die beiden haben sich nach den Daten der Smartwatch um die zehn Minuten dort aufgehalten. Daraufhin fuhr der Beschuldigte zu sich nach Hause und googelte den Aare-Verlauf.
Anhand der Handydaten lasse sich die Fahrt bis zum Thunersee nachverfolgen. Dort warf er den leblosen Körper des Opfers in den See und fuhr zurück nach Hause. Am Vormittag desselben Tages reinigte der Beschuldigte den Innenraum seines Transporters.
Die Kopfverletzungen sowie die Fesselungen müssen laut dem gerichtsmedizinischen Gutachten zugefügt worden sein, als sie noch gelebt habe. Es wurden Einblutungen (sog. leukozytäre Reaktionen) an den Fesselungen festgestellt, die nur auftreten, wenn die Person noch lebt. In der Lunge wurde kein Wasser gefunden. Als sie in den See geworfen wurde, war sie also bereits tot.
Kurze Klärung der örtlichen Zuständigkeit
Das Opfer kam ursprünglich aus Basel, gefunden wurde es jedoch im Thunersee. Der Pflichtverteidiger hatte am Dienstag die örtliche Zuständigkeit des Gerichts noch angesprochen. Der genaue Ort der mutmasslichen Tötung ist unbekannt. Die Staatsanwaltschaften beider Regionen seien in Kontakt gewesen und man habe sich darauf geeinigt, dass das Regionalgericht Oberland sich des Falles annahm.
Es geht los
Der Gerichtssaal hat sich gefüllt, die Urteilsverkündung beginnt. Eine gewisse Spannung ist bei den Anwesenden zu spüren.
Um 14 Uhr wird das Urteil verkündet
Um 14 Uhr wird Gerichtspräsident Jürg Santschi das Urteil gegen P.R. verkünden. Zur Erinnerung: Vorgeworfen werden P.R. Mord, Störung des Totenfriedens, Pornographie (mehrfach) und Gewaltdarstellungen.
Der Beschuldigte gestand direkt bei seiner Festnahme einige Tage nach dem Fund der Toten, dass er sie in den Thunersee geworfen hat. Seiner Erzählung nach habe sie sich den Kopf bei einem Sturz verletzt. Drogen und Kälte hätten sie daraufhin so bewusstlos gemacht, dass er dachte, sie wäre tot. Er sei in Panik geraten und habe sie an den Sockel befestigt und in den See geworfen. Laut Pflichtverteidiger ist der Beschuldigte somit nach dem Grundsatz «in dubio pro reo» vom Mordvorsatz freizusprechen. Die Störung des Totenfriedens und der Besitz der pornografischen Inhalte sei mit insgesamt zehn Monaten zu bestrafen.
Die Staatsanwältin hingegen machte immer wieder auf Widersprüche in den Aussagen des Beschuldigten aufmerksam. Die Todesursache war, laut Gerichtsmedizin, die Strangulierung mit dem Kabelbinder. Zwischen den Kopfverletzungen, der Fesselung und der Strangulierung seien jeweils mehrere Minuten vergangen. «Der Beschuldigte versuchte wohl, das Opfer zu sexuellen Handlungen zu überreden», so die Staatsanwaltschaft. Sie fordert eine lebenslange Freiheitsstrafe mit Anrechnung der bereits abgesessenen Tage.
«Ich bereue jeden Tag, was passiert ist»
Auch die Anwaltschaft der Eltern verweist auf das Kontra der Staatsanwältin.
Der Beschuldigte sagt abschliessend: «Ich wollte ihr nie etwas antun und bereue jeden Tag, was passiert ist.»
Damit ist die Verhandlung vorbei. Am Freitag um 14 Uhr wird das finale Urteil des Gerichts verlesen.
Vielen Dank fürs Mitlesen!
Antwort von der Staatsanwältin
Die Staatsanwältin möchte noch auf das Plädoyer des Pflichtverteidigers antworten. Sie argumentiert gegen den Antrag auf fahrlässige Tötung des Verteidigers.
Das Gericht sei bei der Anklage nicht von der Version des Beschuldigten ausgegangen, sonst hätte sie die fahrlässige Tötung auch so anklagen müssen. Für sie würde es dem Schweizer Rechtsstaat nicht gerecht werden, wenn der Beschuldigte deswegen dem Mord freigesprochen werde.
Sie wiederholt, dass das gerichtsmedizinische Gutachten darauf hinweist, dass die Kopfverletzungen den Tod nicht herbeigeführt haben. Es muss der Kabelbinder um den Hals gewesen sein. An den Hand- und Fussgelenken, wo sie gefesselt worden war, wurden Einblutungen gefunden. «Es gibt keine andere Erklärung für die Merkmale an den Hand- und Fussgelenken, als dass sie sich gegen die Fesselung gewehrt hat», sagt sie.
Sie spricht mit lauter Stimme und schaut die Richterschaft beim Sprechen direkt an. «Niemand würde in Panik seine Kollegin fesseln und zu Hause nach Seen zur Entsorgung des Leichnams suchen», sagt sie.
Ein fairer Prozess
«Ich muss sagen, es ist bis heute ein fairer Prozess gewesen», sagt der Pflichtverteidiger abschliessend. Das Gericht habe sich alle Seiten angehört und auch im Vorfeld mit allen wichtigen Parteien sowie Bekannten des Beschuldigten gesprochen.
Fahrlässige Tötung anstatt Mord
Nun geht er auf den Mord ein: Aufgrund der Verletzungen hätte der Beschuldigte den Notruf rufen oder die Frau ins Spital bringen müssen. Die fahrlässige Tötung ist zwar nicht Teil der Anklage, aber nach dem Pflichtverteidiger naheliegend. Hierfür können drei Jahre Gefängnisstrafe ausgesprochen werden.
Nach U-Haft und Vollzug zu entlassen
Im Gefängnis zeige sich der Beschuldigte nicht gewalttätig und ruhig. Zu Insassen im Gefängnis und seiner Mutter habe der Beschuldigte ein gutes Verhältnis. Das widerspreche der Verhaltensbeschreibung bei der Tat.
Das psychologische Gutachten beschreibe zudem Schwierigkeiten, Ereignisse mit Daten zusammenzufügen. Das könne dafür sprechen, warum sich der Beschuldigte nicht mehr genau daran erinnere, wo er in der Tatnacht genau entlang gefahren sei.
Folglich sei der Beschuldigte nach dem Grundsatz «in dubio pro reo» vom Mordvorsatz freizusprechen. Dadurch sei die Gewaltdarstellung, die mit einem Jahr zu bestrafen sei, als die schlimmste Straftat zu beurteilen. Die Störung des Totenfriedens und der Besitz der weiteren pornografischen Inhalte insgesamt mit zehn Monaten. Die Untersuchungshaft und der weitere Vollzug seien damit anzurechnen, und der Beschuldigte von der vorzeitigen Haft zu entlassen.
BDSM-Pornos deuten nicht auf Störung hin
BDSM sei eine sexuelle Handlung, die inzwischen durch Inhalte wie «Fifty Shades of Grey» in der breiten Gesellschaft angekommen ist. Der Konsum solcher Pornografie würde deswegen nicht direkt auf eine abnormale Sexualität deuten.
Die kinderpornografischen und gewaltpornografischen Inhalte, die auf seinem Gerät entdeckt wurden, seien aus Versehen heruntergeladen worden sein, als er sich Inhalte ansah, um zu entscheiden, ob sie ihm gefallen oder nicht.
Deswegen gebe es keine Anzeichen für die im psychiatrischen Gutachten angebrachte sexuell-sadistische Störung.
Drogen und Kälte hätten sie länger bewusstlos gemacht
Im Blut des Opfers hätten sich mehrere illegale Substanzen befunden, sagt der Verteidiger. Das Opfer sei kurz vor ihrem Tod bei einer Ärztin aufgetaucht, «voll auf Heroin», wie sie zu der Ärztin gesagt haben soll. Aufgrund dessen sei es nachvollziehbar, dass sie nach den Stürzen auf den Kopf über längere Zeit bewusstlos gewesen sei.
Zudem sei es im Januar 2021 so kalt vor Ort gewesen, dass die Kälte zur Bewusstlosigkeit beigetragen hätte. Somit habe das Opfer die Fesselung und Erdrosselung nicht mitbekommen haben
Hammer oder Sturz auf Stein?
Bis heute sei keine Tatwaffe gefunden worden.
Das Opfer sei in der Bewegung zum Aussteigen gestürzt. Das Kreuz an dem Bruderholz habe auch eine scharfe Steinkante. Das passe zur Beschreibung der Tatwaffe als harter, hammer-ähnlicher Gegenstand.
Es könne nicht eindeutig geklärt werden, was für ein Gegenstand für die Kopfverletzungen verantwortlich ist.
Er habe nicht gewusst, dass sie noch nicht tot war
Den Kabelbinder um den Hals habe der Beschuldigte zur Befestigung des Leichnams am Sockel genutzt. Dabei habe er nicht gemerkt, dass die Frau noch lebte und habe sie damit ungewollt erdrosselt.
Zwei Mal hingefallen
Bis zur Ankunft im Bruderholz wiederholt der Pflichtverteidiger die Beschreibung der Staatsanwältin. Das Opfer habe sich am Bruderholz bei einem Sturz auf einen Stein mit einem Kreuz verletzt und sei zusammengebrochen. Der Beschuldigte habe dann ihren Puls gefühlt und gedacht, sie sei tot. Er habe sie dann aufgehoben und sei auf dem Weg zum Transporter mit dem Körper in den Händen ausgerutscht, was die zweite Verletzung am Kopf des Opfers erklären soll.
Er habe sie dann in den Transporter gelegt und gemerkt, dass sie tot ist. Dann sei er in Panik geraten und heimgefahren.
Kurze Pause
Vor dem Plädoyer der Verteidigung wird noch eine kurze Pause eingelegt.
Mutter möchte aus Schmerz auswandern
Die Anwältin der Mutter verweist auf die Plädoyers der Staatsanwältin und des Anwalts des Vaters. Auch sie ist überzeugt, dass der Beschuldigte für den Tod des Opfers verantwortlich ist. «Es ist egal, ob er glaubt, was er erzählt: Die Kälte gegenüber dem Opfer ist erschreckend.»
Die Eltern haben das Opfer laut Anwältin nicht verstossen. Auch die Medienberichterstattung habe die Mutter stark belastet. Sie überlege nun, auf einen anderen Kontinent auszuwandern, «es hält mich kaum noch etwas in der Schweiz», habe sie gesagt.
Anwalt des Vaters fordert 35’000 Franken Genugtuung
Der Beschuldigte hatte zehn Tage Zeit, (zwischen Tat und Festnahme im Januar 2021) sich seine Geschichte zu überlegen. Er betont, dass sich der Beschuldigte in seinen Aussagen in Widersprüche verstrickte. «Der Beschuldigte hat von Anfang an gelogen», so der Anwalt.
Die Zivilforderungen zum Schadensersatz und Genugtuung habe der Beschuldigte nicht anerkannt. Dabei handele es sich zum Beispiel um die Todesfall- und Begräbniskosten, die er nicht bezahlen wolle, «was nichts als Sprachlosigkeit hinterlässt.» Er fordert eine Genugtuung von 35’000 Franken und 1000 Franken Schadensersatz.
Den Privatklägern steht es nicht zu, Strafforderungen zu stellen.
Der Schmerz der Eltern
Nun folgen die Plädoyers der Anwälte der Privatkläger, die Eltern des Opfers. Der Anwalt des Vaters beginnt. «Es lässt sich nicht in Worte fassen, was für einen Schmerz die Eltern erleben mussten», sagt er. Er betont, dass der Beschuldigte sich nicht einmal bei den Angehörigen entschuldigte. Die Aussagen des Beschuldigten seien «schlicht abstossend».