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Suizid nach Mobbing
15. April 2019 04:48; Akt: 15.04.2019 15:41 Print
Tochter tot – Mutter will Insta-Sperre für Mobber
Céline nahm sich mit 13 Jahren das Leben. Jetzt fordern ihre Eltern neue, griffige Instrumente gegen Cybermobbing.
Es war der 28. August 2017: Als Mutter N. Pfister um 17.30 Uhr nach Hause kam, hatte sich ihre Tochter Céline das Leben genommen. Zuvor war die Spreitenbacherin in den sozialen Netzwerken übel gemobbt worden. Für die Justiz ist der Fall inzwischen abgeschlossen. Zwei Jugendliche aus Dietikon ZH wurden wegen Nötigung beziehungsweise versuchter Drohung und Beschimpfung verurteilt. Sie müssen laut der «Schweiz am Wochenende» einen gemeinnützigen Arbeitseinsatz von wenigen Tagen leisten. Einen Zusammenhang zwischen dem Suizid und dem Mobbing sah die Jugendanwaltschaft nicht.
Suizidgedanken? Hier finden Sie HilfeBeratung:
Dargebotene Hand, Tel. 143, (143.ch)
Angebot der Pro Juventute: Tel. 147, (147.ch)
Kirchen (Seelsorge.net)
Anlaufstellen für Suizid-Betroffene:
Nebelmeer – Perspektiven nach dem Suizid eines Elternteils (Nebelmeer.net);
Refugium – Geführte Selbsthilfegruppen für Hinterbliebene nach Suizid (Verein-refugium.ch);
Verein Regenbogen Schweiz (Verein-regenbogen.ch). «Sie war keine Aussenseiterin»
Seit dem Tod von Céline ist für ihre Eltern nichts mehr, wie es einmal war. Unbegreiflich wird der Tod ihrer Tochter für sie bleiben. «Sie war fröhlich, keine Aussenseiterin, hat getanzt», sagt Mutter N. Pfister. «Sie war überall top. In der Bezirksschule hatte sie einen Schnitt von 5,2.» Das zeige, dass Cybermobbing jeden treffen könne.
Auf Célines Instagram-Account postet die Familie jetzt Fotos aus Kindertagen, Videos, auf denen Céline ausgelassen singt und tanzt. Unter dem Hashtag #célinesvoice wird gegen Cybermobbing aufgerufen. In Erinnerung an Céline fotografieren Freunde und Angehörige Célines Beerdigungskärtchen an verschiedenen Orten oder tragen es unter der Handyhülle. Der Zuspruch im Netz sowie das private Umfeld geben den Eltern die Kraft, mit dem Fall an die Öffentlichkeit zu gehen. «Auf Célines Insta-Seite kann man sehen, was man uns genommen hat», sagt der Vater. Tragischer Tod
Der Suizid von Céline (13) erschütterte die Schweiz. Die Bez-Schülerin verliebte sich in einen Buben aus Dietikon, mit dem sie eine On-off-Beziehung führte. Er gelangte in Besitz eines freizügigen Selfies, das er an seine eifersüchtige Ex-Freundin weiterleitete, die Céline ebenfalls kannte. Die Ex verbreitete das Foto eine Woche vor dem Suizid via Snapchat, während der Angehimmelte Céline nötigte, weitere Fotos zu schicken. Dutzende Jugendliche mischten sich via Social Media in den Streit ein und stellten Céline bloss. Und an einem Fest in Baden wurde Céline von der Ex ihrer Affäre blossgestellt. Tags darauf war die 13-Jährige tot.
Nicht abgeschlossen ist der Fall für Célines Eltern, die ihr einziges Kind verloren haben. Sie gehen an die Öffentlichkeit, um die Politik zum Handeln zu bewegen. Die Mutter sagt zu 20 Minuten: «Wir denken beim Aufstehen an Céline und wenn wir ins Bett gehen.» Die Strafe sei viel zu mild.
«Verlust von Followern wirkt mehr als gemeinnützige Arbeit»
Für die Eltern zeigt der Fall ihrer Tochter, dass das heutige Gesetz die Opfer von Cybermobbing zu wenig schützt. «Man kann wegen Beschimpfung, Drohung oder allenfalls Nötigung belangt werden. Das ist ein Hohn und wird dem Phänomen niemals gerecht. Unsere Welt hat sich verändert», sagt Pfister.
Es gehe ihr nicht darum, Täter «in den Steinbruch zu schicken». Es brauche aber eine höhere Mindeststrafe und auch ganz neue Instrumente. «Cybermobber sollen von sozialen Netzwerken wie Instagram oder Snapchat ausgesperrt werden.» Damit beraube man die Täter der Instrumente, mit denen sie ihre Taten verübt hätten. «Die ganzen Follower zu verlieren, trifft Jugendliche härter als ein paar Stunden gemeinnützige Arbeit.»
Die Idee unterstützt auch der Psychologe Thomas Spielmann: «Es bräuchte zum Beispiel ein dreijähriges Verbot, ins öffentliche Netz zu gehen oder Facebook und andere soziale Medien zu brauchen», sagt er zu Tele M1. Auch Raser treffe man nur, wenn man ihnen das Tatwerkzeug, wegnehme, also das Auto beschlagnahme.
«In einem solchen Fall ist die verordnete gemeinnützige Arbeit zu wenig streng», findet auch SVP-Nationalrat Lukas Reimann. Dass die betroffenen Jugendlichen weitermobbten, sei gut möglich. «Es wäre darum sinnvoll, wenn Richter ein Social-Media-Verbot auszusprechen könnten.» Er werde dieses wichtige Anliegen in der Rechtskommission einbringen.
IT-Anwalt Steiger zweifelt an «Kommunikationsverbot»
Laut IT-Anwalt Martin Steiger wäre eine Social-Media-Sperre für verurteilte Mobber machbar. Sie werde bei internetbezogenen Delikten im Ausland teilweise schon angewandt: «Ein Gericht könnte sie wie eine Massnahme anordnen. Technisch lückenlos wäre die Sperre nicht – man kann immer neue Accounts eröffnen –, aber die grossen Plattformen würden wohl mitmachen. Sie setzen ja schon heute Filter ein.»
Für Steiger wäre eine Sperre aber der falsche Weg: «Bei Jugendlichen läuft fast alle Kommunikation über Social Media. Ein virtuelles Kommunikationsverbot wäre ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte.» Das Jugendstrafrecht sei auf Erziehung und Schutz, nicht auf Bestrafung ausgelegt. «Der Fall Céline ist tragisch. Dennoch dürfen wir nicht unser Strafrecht am Extremfall ausrichten.» Diskutieren könne man über eine eigene Strafnorm im Bereich Mobbing oder Stalking. Doch ein neuer Straftatbestand bewirke nicht zwingend mehr Schutz.
Ein Fall wie jener von Céline müsse von der Justiz beurteilt werden. Es dürfe niemand verurteilt werden, der unschuldig sei: «Ob es einen Kausalzusammenhang zwischen Mobbing und einem Suizid gibt, kann schwierig zu beurteilen sein.» Selbst wenn ein Abschiedsbrief vorliege, in dem eine Person beschuldigt werde, sei dies allein nicht zwingend ein Beweis für einen Zusammenhang. «Das Gericht muss in jedem Einzelfall sorgfältig prüfen, ob sich die Person auch tatsächlich deswegen das Leben genommen hat.»
(daw)