Unesco - Schweiz: 1.-Mai-Demo und Graffiti als Weltkulturerbe

Aktualisiert

Unesco - Schweiz1.-Mai-Demo und Graffiti als Weltkulturerbe

Pasta, Knüpfteppiche, Döner oder Flamenco wurden zu Weltkulturerben erklärt. Nach Schweizer Einträgen sucht man vergeblich. Dies soll sich ändern – und wie.

von
Felix Burch

Der Begriff des Unesco-Weltkulturerbes lässt an alte Kirchen und Ruinen denken. Doch neuerdings erstellt die Organisation der Uno auch eine repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes. Auf dieser steht mitunter auch Skurriles. Nebst dem griechischen Gyros und der italienischen Pizza gilt das französische Mehrgangmenü ebenso als Weltkultur wie die Akupunktur, die Falknerei oder die Pekingoper.

Schweizer Beiträge sind auf der Liste noch keine vorhanden, was sich bald ändern soll. David Vitali ist als Leiter Internationales beim Bundesamt für Kultur für das Projekt der «Liste der lebendigen Traditionen in der Schweiz» zuständig. Er sagt, was aus der Schweiz auf die Liste kommen könnte.

Die Kantone erarbeiten derzeit Vorschläge für die Liste mit Schweizer Kulturerbe. Was wird auf der Liste stehen?

Wir wollen der Arbeit nicht vorgreifen. Aber wir hoffen natürlich, dass die Liste neben ganz bekannten Traditionen wie der Fasnacht in Luzern oder Basel, der Fête des Vignerons in Vevey oder dem Silvesterchlausen in Appenzell auch weniger bekannte oder überraschende Elemente enthalten wird.

Konkret?

Man könnte beispielsweise an Industriehandwerk denken, soweit dieses für bestimmte Regionen spezifisch ist, etwa das Uhrmacherhandwerk im Jurabogen oder die chemische Industrie in Basel. Auch Traditionen von Gruppen mit einem Migrationshintergrund oder spezifisch urbane Traditionen können wir uns vorstellen.

Urbane Kulturen?

Ich denke da etwa an eine 1.-Mai-Demonstration oder Graffiti als Teil der Hip-Hop-Jugendkultur. Wichtig ist für uns, dass die Traditionen in der Bevölkerung wirklich verwurzelt sind.

Und Essensspezialitäten?

Es gibt dazu bereits eine sorgfältig recherchierte und gut dokumentierte Datenbank, das «Inventar des kulinarischen Erbes», das 404 typisch schweizerische Nahrungsprodukte auflistet. Um Verdoppelungen zu vermeiden, werden wir solche Produkte nicht auf die Liste aufnehmen. Aber natürlich sind traditionelle Zubereitungsarten als kulturelle oder soziale Praktiken oft in eine Tradition eingebunden, etwa die Risottata der Tessiner Fasnacht oder das Käsen in der alpwirtschaftlichen Praxis. Sicher werden wir der Unesco aber keine Kandidaturen wie Cervelat oder Zopf vorlegen.

Warum nicht?

Ein entscheidendes Kriterium ist die gesellschaftliche Verankerung. Mit anderen Worten: Eine Tradition muss von einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe in der Schweiz als Teil ihres gemeinsamen Kulturerbes anerkannt sein. Sie muss die Angehörigen dieser Gruppe durch gemeinsame Erfahrungen oder Erinnerungen verbinden. Zopf und Cervelat oder Pizza und Gyros mögen landestypisch sein, aber nach meinem Empfinden zu wenig spezifisch.

Wie viele Vorschläge werden es bis zur Unesco schaffen?

Auch für die Unesco ist das Thema ganz neu, und die Modalitäten der Einschreibung sind noch nicht endgültig geklärt. Mittelfristig kann es durchaus sein, dass die Länder pro Runde nur noch eine beschränkte Zahl von Kandidaturen oder gar nur eine einzige Kandidatur vorschlagen können, wie dies beim Weltkulturerbe der Fall ist.

Wie wichtig sind für die Schweiz Unesco-Weltkulturgüter?

Die heute insgesamt zehn anerkannten Welterbestätten sind Ausdruck der kulturellen Vielfalt und des reichen kulturellen Erbes der Schweiz. Dass die Unesco und ihre Mitgliedsländer heute nicht nur Bauwerke und Naturlandschaften, sondern auch Traditionen, Bräuche und Wissen als erhaltenswert anerkennen, ist ein wesentlicher Schritt zu einem umfassenden Verständnis von Kulturerbe.

Wann wird es das erste immaterielle Kulturgut der Schweiz geben?

Der Begriff mag neu sein, aber Traditionen und Bräuche gab es selbstverständlich schon immer. Falls sie die erste Schweizer Kandidatur bei der Unesco ansprechen, so wird es wohl 2012 so weit sein. Bis dahin werden wir die Entwicklungen bei der Unesco genau verfolgen.

Was muss Ihrer Meinung nach unbedingt Weltkulturerbe werden? Schreiben Sie uns Ihre Meinung ins Talkback.

Liste ab März Online

Die Schweiz trat 2008 der UNESCO-Konvention zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes bei. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, auf nationaler Ebene und im Rahmen internationaler Zusammenarbeit günstige Rahmenbedingungen für die Praxis und Überlieferung des immateriellen Kulturerbes zu schaffen. Dazu gehört unter anderem die Erstellung einer Liste des immateriellen Kulturerbes. Derzeit sind die Kantone dabei, Vorschläge für die Liste zu sammeln. Diese Vorschläge werden bis März 2011 beim Bund eingereicht und dort von einer Expertengruppe gesichtet. Im Frühjahr 2012 soll die «Liste der lebendigen Traditionen in der Schweiz» mit einer umfassenden Dokumentation online publiziert werden. (feb)

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