Geld für Aufnahmen von Crack: Vorwürfe gegen Journalist von SRF

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«10vor10»SRF-Mann zahlt 50 Franken für Crack-Aufnahmen

Ein SRF-Reporter bezahlte bei einer Recherche im Crack-Milieu fünfzig Franken. Wofür ist umstritten: Das Geld sei nur für eine «Vermittlung» bezahlt worden, sagt SRF. Vier Augenzeugen widersprechen: Das Geld sei von Anfang an für den Drogenkauf eines Randständigen bestimmt gewesen.

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Randständige in der Bäckeranlage erheben schwere Vorwürfe gegen einen SRF-Reporter. Er habe einem von ihnen Geld gegeben, damit dieser Kokain kaufe, es dann koche und schliesslich als Crack konsumiere.

Randständige in der Bäckeranlage erheben schwere Vorwürfe gegen einen SRF-Reporter. Er habe einem von ihnen Geld gegeben, damit dieser Kokain kaufe, es dann koche und schliesslich als Crack konsumiere.

20minuten
Das Filmmaterial sei dann für diesen «10vor10»-Beitrag verwendet worden. 

Das Filmmaterial sei dann für diesen «10vor10»-Beitrag verwendet worden. 

Screenshot SRF
Nick (Name geändert) kommt im SRF-Beitrag vor, wie er Crack raucht. «Die beiden SRF-Journalisten wollten unbedingt sehen, wie man Crack aufkocht und konsumiert», sagt er. 

Nick (Name geändert) kommt im SRF-Beitrag vor, wie er Crack raucht. «Die beiden SRF-Journalisten wollten unbedingt sehen, wie man Crack aufkocht und konsumiert», sagt er. 

20 Min

Darum gehts

  • Ein SRF-Journalist hat 50 Franken bezahlt, um Crack-Konsumenten beim Rauchen zu filmen.

  • Er sagt, bezahlt habe er für die Vermittlung. Die Crack-Raucher sagen: für den Kauf der Drogen.

  • Das SRF steht hinter seinem Journalisten, will das Vorgehen aber «aufarbeiten».

  • Anstiftung zum Drogenkonsum wäre ein Offizialdelikt.

  • Ethisch problematisch sei das Vorgehen so oder so, sagt der ehemalige Ombudsmann.

Verschiedene Medien berichten derzeit über die neue offene Drogenszene an der Zürcher Bäckeranlage – auch die SRF-Nachrichtensendung «10vor10» sendete einen Beitrag darüber. Darin werden mehrere Männer gezeigt, die in einem Gebüsch gegenüber einem Spielplatz Crack konsumieren. 

Nun erheben verschiedene direkt Beteiligte schwere Vorwürfe gegen einen der Journalisten: Der SRF-Reporter habe einem Drogenkonsumenten Geld gegeben, damit dieser Kokain kaufe, es dann koche und schliesslich als Crack konsumiere. Das dabei entstandene Filmmaterial sei für den Beitrag verwendet worden.

20 Minuten hat mehrere Tage an der Bäckeranlage recherchiert und mit Beteiligten gesprochen, um den Vorfall zu rekonstruieren (siehe Rechercheprotokoll).

Das sagen die Beteiligten

20 Minuten hat mit vier direkt Beteiligten und Augenzeugen gesprochen (siehe Box). Oliver* etwa sagt: «Es waren zwei SRF-Journalisten da. Sie fragten ständig, ob jemand vor ihnen Crack kochen könnte. Ich sagte: ‹Ihr müsst Geld holen, damit jemand von ihnen etwas holen kann.› Zuerst sagte ich: ‹200 Franken›, doch sie lehnten ab. Dann sagte ich: ‹Habt ihr 50 Franken für gutes Videomaterial?› Dann gingen sie abheben. Ich selbst wollte kein Geld und habe auch keines verlangt.»

Und Nick* erzählt: «Ich wurde von der Polizei kontrolliert. Sie haben aber nichts gefunden. Dann kam direkt ‹10vor10› auf mich losgerannt. Sie wollten unbedingt sehen, wie man Crack kocht. Einer der Journalisten hat mir dann 50 Franken in die Hand gedrückt. Das Geld war von Anfang an für Kokain bestimmt. Schön war es nicht, ganz ehrlich. Ich habe mich wie verkauft.»

So schildern Oliver* und Nick* den Vorfall vom 23. August. Beide waren an der Verhandlung mit der SRF-Crew beteiligt. Nick raucht später vor der Kamera Crack.

(Video: 20min)

«Werden Vorgehen intern sorgfältig aufarbeiten»

Gregor Meier, der stellvertretende Chefredaktor Video bei SRF, bestätigt, dass im Rahmen der Recherche Geld geflossen ist. «Eine Person vor Ort» habe als Vermittler zwischen dem «10vor10»-Team und den Konsumierenden gewirkt: «Ohne diese Vermittlung wären keine aussagekräftigen Aufnahmen vor Ort möglich gewesen», so Gregor Meier, der stellvertretende Chefredaktor Video bei SRF. In seinem Statement bekräftigt SRF weiter, nur die vermittelnde Person habe vom Reporter Geld erhalten. Diese sei nicht im Beitrag vorgekommen und habe da auch kein Crack konsumiert.

Geld für Vermittlungsdienste zu bezahlen, sei durch die publizistischen Leitlinien des SRF gedeckt. Dem Vermittler habe der Reporter als Entschädigung 50 Franken «für die aufgewendete Zeit» bezahlt – «von seinem eigenen Geld und weder im Auftrag und Wissen von SRF noch als Spesenaufwand verrechnet», so Meier weiter. Man werde das beschriebene Vorgehen «intern sorgfältig aufarbeiten». 

20 Minuten konfrontiert die vier Beteiligten getrennt voneinander mit dem SRF-Statement. Übereinstimmend widersprechen sie der Darstellung des Senders. «Was für ein Sch****. Ich habe es ja gesehen», sagt etwa Oliver aufgebracht. Laut ihren übereinstimmenden Aussagen erhielt nur Nick, der auch im Beitrag Crack raucht, Geld vom SRF-Reporter. Auch Nick selbst reagiert überrascht: «Okay … Wofür war (das Geld) denn dann? Ich habe mit diesen 50 Franken kein Essen oder WC-Papier gekauft.» Mit den 50 Franken sei er direkt ein halbes Gramm Kokain kaufen gegangen – wie das von Anfang an klar gewesen sei –, um es dann vor dem SRF-Team zu rauchen. Auf Rückfrage bekräftigt SRF noch einmal den Inhalt des Statements. Detailliertere Fragen zum Ablauf des Vorfalls beantwortet der Sender aber nicht.

Anstiftung zum Drogenkonsum?

Falls sich die Situation tatsächlich so abgespielt haben sollte, wie von den Beteiligten geschildert, wäre das mutmassliche Verhalten des Journalisten strafrechtlich relevant, so Strafrechtsexperte Adrian Wyss von der Kanzlei Bratschi. Sowohl die Anstiftung zum Erwerb als auch zum Konsum von Betäubungsmitteln sei grundsätzlich strafbar. Jemandem Geld zu geben, damit dieser Drogen kaufe und man den Konsum filmen könne, würde unter diesen Straftatbestand fallen, so Wyss. Das Argument: «Die abhängige Person hätte sich die Drogen später sowieso noch gekauft», ziehe in so einem Fall nicht, so Wyss: «Juristisch ist die konkrete Handlung zu diesem Zeitpunkt entscheidend.»

Bei Anstiftung zum Drogenkonsum handle es sich um ein Offizialdelikt. Die Polizei muss also von sich aus aktiv werden, sobald sie Kenntnis von einem entsprechenden Verdacht hat. Für den Journalisten gilt die Unschuldsvermutung. Geld lediglich für die aufgewendete Zeit eines «Vermittlers» auszugeben, dürfte dagegen strafrechtlich unproblematischer sein, so Wyss: «Da fehlt das direkte Hervorrufen des Tatentschlusses zum Drogenkauf oder -konsum, der für eine Anstiftung relevant ist.» SRF äussert sich auch auf Nachfrage nicht zum Vorwurf der Anstiftung zum Drogenkonsum und -erwerb.

Ethisch in jedem Fall «problematisch»

Roger Blum war jahrelang SRG-Ombudsmann und Präsident des Schweizer Presserats. Er findet den mutmasslichen Vorfall, wie er von den direkt Beteiligten behauptet wird, problematisch: «Es wird eine Situation erzwungen, die nicht authentisch ist.» Journalistische Moral verlange, dass man das Publikum nicht betrüge und ihm nichts vormache: «Sobald etwas gestellt wurde, ist es nicht ganz wahr, und sobald es bezahlt wird, ist es erst recht ein Verstoss gegen die ethischen Regeln.»

Sollte das Geld ausschliesslich an einen Vermittler geflossen sein, wäre das gemäss Blum nach strengen ethischen Regeln auch nicht ganz unproblematisch: «Hier würde es sich um einen Vermittler handeln, der die Drogenabhängigen zur Verfügung stellt, um die Situation zu filmen.» Es sei aber sicher eine mildere Form, so Blum.

*Name geändert

Die Recherche

20 Minuten hat die Vorwürfe gegen SRF mit grosser Sorgfalt und Detailtreue recherchiert. Dafür hat es die Beteiligten teils mehrmals und immer getrennt voneinander befragt. Ihre Aussagen blieben über die gesamte Recherchedauer hinweg konsistent. Das vollständige Rechercheprotokoll inklusive Aussageprotokolle findest du hier

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