Castor-Transporte50 000 gegen den Atom-Müll
Mehrere hundert Atomkraftgegner blockieren die Durchfahrt des Atommüll-Zugs nach Gorleben. Auf den Strassen demonstrieren tausende.
Deutschlands Anti-Atom-Bewegung befindet sich im Höhenflug: Während am Samstag der Transport von Atom-Müll in Castor-Behältern in Richtung Norden rollte, kamen dort so viele Atomkraftgegner wie nie zuvor zusammen. Von 50 000 Demonstranten sprachen die Veranstalter.
Der aus Frankreich kommende Zug mit den elf Spezialbehältern passierte am frühen Samstagnachmittag im baden-württembergischen Kehl die Grenze. Massive Polizeikräfte bewachten den Transport, weil Atomkraftgegner die Gleise besetzen wollten.
Die insgesamt 154 Tonnen hochradioaktiven Mülls, die bei der Wiederaufbereitung deutscher Reaktorbrennstäbe im französischen La Hague angefallen waren, sollen ins oberirdische Zwischenlager im niedersächsischen Gorleben transportiert werden.
Nach der Ankunft im Verladebahnhof in Dannenberg sollen die Behälter die letzten rund 20 Kilometer auf der Strasse nach Gorleben gebracht werden. Dort wird der Atommüll-Transport am Montagmorgen erwartet. Über 16'000 Polizisten sind während des gesamten Castor- Transports im Einsatz.
Route geändert
Schon an der deutsch-französischen Grenze demonstrierten rund 2000 Atomkraftgegner. Später zogen nach Polizeiangaben rund 1500 Menschen zur Bahnstrecke, durchbrachen die Polizeisperre und besetzten vorübergehend die Gleise, um den Castor-Transport aufzuhalten.
Der Zug änderte aber kurzfristig seine Route und überquerte die Grenze nach Baden-Württemberg. Daraufhin brach die Polizei eine begonnene Räumung der Gleise ab. Zu Zwischenfällen sei es nicht gekommen, sagte ein Sprecher.
Grossprotest in Dannenberg
An der zentralen Kundgebung in Dannenberg unter dem Motto «Mit Gorleben kommen sie nicht durch - Rote Karte für Atomkraft!» nahmen am Samstag nach Angaben der Veranstalter mehr als 50 000 Menschen teil. Sie sprachen von der grössten Demonstration seit dem ersten Castor-Transport im Jahr 1995.
Den Organisatoren zufolge brachten allein über 400 Busse aus ganz Deutschland Atomkraftgegner nach Dannenberg. Hunderte Bauern fuhren mit ihren Traktoren in die Stadt und reihten sie am Rand der Kundgebung auf.
Linken-Fraktionschef Gregor Gysi fuhr selbst mit dem Traktor vor. Auch die Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir waren bei der Kundgebung dabei und riefen zu Sitzblockaden auf.
Die Polizei nannte die von den Veranstaltern genannte Teilnehmerzahl viel zu hoch und sprach von «etwas mehr als 20 000 Teilnehmern». Bis zum frühen Abend blieb es friedlich.
Schotter entfernen
Einige Atomkraftgegner kündigten an, mit der Aktion «Castor? Schottern!» entlang der Bahnstrecke Löcher ins Gleisbett zu graben, um die Weiterfahrt des Zuges zumindest zu unterbrechen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte die Demonstranten vor Auswüchsen. «Ich sage ausdrücklich, Demonstrieren ist eine der schönsten Freiheiten, die eine freiheitliche Gesellschaft mit sich bringt», sagte sie in Bonn beim Landesparteitag der nordrhein- westfälischen CDU.
Die Proteste müssten aber friedlich bleiben. Was so harmlos daherkomme, wie das sogenannte Entschottern, «das ist keine friedliche Demonstration, sondern eine Straftat».
Einladung zum Gespräch
SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte Merkel auf, nach Gorleben zu fahren und sich gemeinsam mit den vier Chefs der Atomkonzerne der Diskussion mit den Demonstranten zu stellen.
Sie hätten nämlich mit der Verlängerung der Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke einen «gesellschaftlichen Grosskonflikt wieder eröffnet, sagte Gabriel der «Passauer Neuen Presse» vom Samstag.
Der deutsche Umweltminister Norbert Röttgen verteidigte die Castor-Transporte als alternativlos. Es sei verantwortungslos, dagegen zu demonstrieren, weil der Müll entsorgt werden müsse, sagte er. Auch unter Rot-Grün seien Castor-Transporte genehmigt worden.
(sda/dapd)
Selbstmord eines Polizisten
Am Rande des Castor-Strecke hat sich am Samstag ein Bundespolizist bei Dannenberg mit seiner Dienstwaffe das Leben genommen. Polizeisprecher Christian Poppendieck sagte auf dapd-Anfrage, es gebe keinen Bezug zum aktuellen Castor-Einsatz. Der Selbstmord habe in einer Polizeiunterkunft stattgefunden, und der Beamte habe einen Abschiedsbrief hinterlassen, der den Angehörigen übergeben werde. Die Bundespolizei sei «traurig und betroffen». Spekulationen über einen privaten Hintergrund wollte Poppendieck nicht bestätigen.
Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bedauerte den Selbstmord: «Ich bin bestürzt über den Freitod eines Bundespolizisten. Den Angehörigen spreche ich mein tiefes Mitgefühl aus.»