Social Media500 Kalorien am Tag und keine Schoggi – Mandelmütter-Kinder brechen Schweigen
Auf Tiktok erzählen junge Frauen von ihren Mandelmüttern und wie sie teilweise eine Essstörung entwickelten. Ernährungspsychologinnen ordnen ein.
- von
- Tim Haag
Darum gehts
Auf Tiktok findet man unter dem Hashtag Mandelmutter (almond mom) hunderte Videos.
Junge Frauen erzählen, wie ihre Mütter ihre Essgewohnheiten kontrollieren und beeinflussen.
Laut einer Ernährungspsychologin kann das für Kinder und Jugendliche gravierende Folgen haben.
Sogenannte Mandelmütter halten ihre Kinder zu kalorien- und fettarmer Ernährung an und bringen sie dazu, obsessiv auf ihr Gewicht zu achten. Auf Tiktok gehen derzeit Videos von Betroffenen viral, die ihre Mütter beschuldigen, Mandelmütter zu sein. «Bis ich zwölf Jahre alt war, durfte ich keine Schokolade essen. Meine Mutter rief sogar in der Schule an und sagte, dass sie mir keine geben dürfen», schreibt eine Userin.
Eine andere Nutzerin erzählt: «Meine Mutter und ich haben täglich verglichen, wer weniger Kalorien zu sich nimmt.» Es sei normal gewesen, dass sie pro Tag nicht mehr als 500 Kalorien zu sich nahm. Irgendwann habe sie eine Essstörung entwickelt.
Yolanda Hadid ist eine Mandelmutter
Ursprünge für Essstörung sind vielfältig
Laut Ernährungspsychologin Gigia Saladin sind die Ursprünge einer Essstörung vielfältig. Meist müssten mehrere Faktoren zusammenkommen. Neben entwicklungspsychologischen Faktoren, soziokulturellen Einflüssen, biologischen Faktoren können auch familiäre Faktoren eine Rolle spielen. «Negative und traumatische Erlebnisse, körperliche oder sexuelle Gewalt, Vernachlässigung oder auch Überfürsorge in der Familie können Einfluss haben», sagt Saladin.
Besitzt in der Familie das Aussehen und Schlanksein zudem einen hohen Stellenwert, könne dies ebenfalls eine Essstörung fördern. «Einige Eltern orientieren sich an Essideologien, die problematische Einschränkungen bei der Ernährung beinhalten. Eine solche Ernährung kann die Entwicklung von Kindern stark beeinträchtigen», so Saladin.
«Fast alle hatten Mütter, die ihnen sagten, sie sollen weniger essen»
Ernährungspsychologin Brigitte Jenni behandelt in ihrer Praxis regelmässig Personen, die wegen des Verhaltens der Eltern Essstörungen entwickelt haben: «Fast alle meine Klientinnen und Klienten hatten Mütter, die ihnen sagten, sie sollen weniger essen», sagt Jenni.
Mit gravierenden Folgen: «Die betroffenen Kinder und Jugendlichen verlieren irgendwann ihr natürliches Hunger- und Sättigungsgefühl und entwickeln ein krankhaftes Verhältnis zur Ernährung, welches sich unter anderem in Magersucht, Bulimie oder Binge Eating zeigt», so Jenni.
Dass es mehrheitlich Mütter seien, die ihren Kindern teils ungewollt eine ungesunde Beziehung zum Essen vermitteln, erklärt Jenni mit den traditionellen Rollenbildern in der Schweiz: «Oft ist es noch immer die Mutter, die täglich am Herd steht, und weil von Frauen eher als von Männern erwartet wird, schlank und hübsch zu sein, entwickeln Frauen eher Essstörungen.» Diese geben sie beim Versuch, ihre Kinder gesund zu ernähren, unbewusst weiter, so Jenni.
Ernährungspsychologin empfiehlt, sich Zeit beim Essen zu nehmen
Sie rät Eltern, sich für das Essen mit der Familie wann immer möglich Zeit zu nehmen: «Essen soll nicht nur die Funktion haben, dass der Bauch gefüllt wird, sondern auch ein soziales Ereignis sein, in dem Nähe und Geborgenheit gespürt werden.»
Zudem sollten Eltern es vermeiden, ihren Kindern gewisse Nahrungsmittel zu verbieten. «Das Gehirn mag keine Verbote und versucht deshalb, diese zu umgehen. Aus diesem Drang entsteht eine Fokussierung auf das Essen, die sich im schlimmsten Fall zu einem gestörten Essverhalten oder einer Essstörung weiterentwickeln kann», sagt Jenni.
Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine Essstörung?
Hier findest du Hilfe:
Fachstelle PEP, Beratung für Betroffene und Angehörige
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Elternberatung, Tel. 058 261 61 61
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