Kampf für die Unabhängigkeit9 Fakten zur Abstimmung in Katalonien
Am 1. Oktober wollen die Katalanen über die Abspaltung von Spanien abstimmen. Noch ist unklar, ob die Wahllokale überhaupt geöffnet werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
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- nk
Die Fronten in Katalonien sind verhärtet: Am 1. Oktober soll die Bevölkerung über die Abspaltung vom Zentralstaat Spanien abstimmen. Die Regierung in Madrid will das unter allen Umständen verhindern. 20 Minuten liefert die wichtigsten Antworten:
• Wie steht Katalonien zum Zentralstaat Spanien?
Katalonien ist eine von 17 Regionen, die jeweils unterschiedlich ausgeprägte Autonomierechte haben. Obwohl es viele Freiheiten geniesst, ist Katalonien insbesondere mit der Steuerregelung nicht zufrieden. Das Baskenland und die dazugehörige Provinz Navarra dürfen als Einzige ihre Steuern selber einziehen. So beteiligen sie sich auch nicht gross an den Ausgaben des Zentralstaats und steuern hauptsächlich zum Militär und dem Solidaritätsfonds der Regionen etwas bei. Besonders weil Katalonien rund 20 Prozent zum Bruttoinlandprodukt (BIP) Spaniens beiträgt, empfinden viele Bewohner der Region diese Bevormundung als ungerecht.
• Was wollen die Separatisten?
Sie wollen Katalonien vom Zentralstaat Spanien abspalten und einen eigenen Nationalstaat gründen. Der Regionalpräsident Kataloniens, Carles Puigdemont, sagte, er wolle den Konflikt mit Madrid von einer innenpolitischen auf eine europäische Ebene heben. Sollten die «Ja»-Stimmen überwiegen, werde er einen Aufruf an die Europäische Gemeinschaft starten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. «Weil wir unser Recht, gehört zu werden, gewonnen haben werden. Etwas, das bisher nicht passiert ist, weil die Europäische Kommission bisher immer (für Katalonien) taub war.» Mit der Abstimmung am Sonntag werde Europa «die Stimme Kataloniens sehr laut und stark» hören.
• Was will die Bevölkerung?
Aktuellen Umfragen zufolge ist das Volk gespalten, Befürworter und Gegner der Abspaltung halten sich etwa die Waage. Einig sind sich die Katalanen aber über eines: Sie wollen über das Referendum abstimmen können.
• Wie ist die aktuelle Situation?
Walther Bernecker, Professor und Spanien-Experte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, schätzt die Lage als «äusserst kritisch und ausweglos» ein. «Seit drei Jahren hoffen beide Parteien, dass die jeweils andere einknickt.» Das sei aber nicht geschehen, und so hätten sich die Fronten immer mehr verhärtet. Am Mittwoch kündigten katalanische Schüler etwa die Besetzung ihrer Schulgebäude an. Damit wollen sie nach eigenen Angaben das Referendum ermöglichen.
• Warum ist der Konflikt eskaliert?
Am 6. September verabschiedete das katalanische Regionalparlament ein Gesetz, das den Weg zu einem Unabhängigkeitsreferendum ebnen sollte. Die Zentralregierung liess daraufhin die für den 1. Oktober geplante Abstimmung vom Verfassungsgericht für illegal erklären, beschlagnahmte fast zehn Millionen Stimmzettel und liess hochrangige katalanische Beamte verhaften. Wütende Proteste waren die Folge. Nun ist unklar, was am 1. Oktober geschehen wird. Die katalanische Regionalpolizei, die Mossos d'Esquadra, befindet sich in einem Dilemma. Ob die Abstimmung durchgeführt werden kann, hängt wohl schlussendlich von ihr ab.
• Wieso will die Zentralregierung die Abstimmung verhindern?
Die Zentralregierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy vertritt eine kompromisslose Haltung gegenüber dem Referendum. Experte Bernecker sagt: «Die restlichen Regionen Spaniens verfolgen argwöhnisch, wie die Zentralregierung mit den anderen autonomen Gemeinschaften umgeht.» Bekäme Katalonien eine Sonderbehandlung, hätte das eine Signalwirkung für die anderen Regionen. «Das will Rajoy unbedingt verhindern», erklärt er.
Der Experte weiter: «Rajoy ist juristisch ganz klar im Recht, denn das Referendum ist illegal. Puigdemont hingegen verteidigt das Recht auf Selbstbestimmung und die Souveränität seines Volkes.» Und: «Madrid ist das Problem jahrelang falsch angegangen. Bei einem so emotionalen Thema kann man nicht nur mit juristischen Argumenten kommen.»
• Was macht die katalanische Polizei?
Die katalanische Regionalpolizei, die Mossos d'Esquadra, befindet sich in einer verzwickten Lage: Offiziell wurde sie jüngst dem Kommando des spanischen Innenministeriums unterstellt. Kataloniens regionaler Innenminister Joaquim Forn wies das aber entschieden zurück. Nach seinen Angaben hat der Polizeichef der Mossos den spanischen Behörden klar zu verstehen gegeben, dass das regionale Kommando unter keinen Umständen an Madrid abgegeben werde. «Wir werden nicht nur die Volksbefragung nicht verhindern, sondern das Gegenteil tun», versprach Forn kürzlich in einem Interview der katalanischen Zeitung «El Punt-Avui». «Wir werden es möglich machen, dass das Referendum stattfindet.»
So sind die Polizisten in einem Dilemma. «Wir haben nur einen Wunsch: Dass sie uns nicht zwischen die Fronten stellen», sagt Francesc Vidal, der seit 16 Jahren der Truppe angehört. «Wir haben keine Ahnung, wie wir uns verhalten sollen. Wir bekommen Befehle von beiden Seiten.»
• Was wäre das Worst-Case-Szenario?
Bernecker: «Am schlimmsten wäre, wenn alles so weitergehen würde wie bisher.» Dann sei es nur eine Frage der Zeit, bis es zu ernsthaften Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten käme.
• Was wäre der Idealfall?
Beide Parteien müssten eine Zäsur machen und sich an einen Tisch setzen, so Bernecker. Denn: «Dieser Konflikt kann nicht über Sieger und Verlierer gelöst werden, sondern nur über Verhandlungen.» (nk/afp)