Mühleberg-RückbauÄtzen, sägen, abklingen – so wird ein AKW zerlegt
Trotz dem Nein zum Atomausstieg: Das AKW Mühleberg wird 2019 abgestellt. 20 Minuten erklärt, wie der aufwändige Rückbau funktioniert.
- von
- P. Michel
20,653 Milliarden Franken: Mit diesem Betrag rechnen die Schweizer AKW-Betreiber laut der neusten Kostenstudie aus dem Jahr 2011 für die Stilllegung und den Rückbau ihrer Kernkraftwerke sowie der Endlagerung. Nach dem Nein zur Atomausstiegsinitiative der Grünen haben die meisten Betreiber noch Zeit, sich mit dem Rückbau zu beschäftigen. Dennoch ist klar: Der Abbruch eines AKW ist aufwändig und teuer.
Das erste Atomkraftwerk, das trotz dem Nein der Stimmbürger vom Netz geht, ist Mühleberg. 2019 werden die Bernischen Kraftwerke (BKW) das AKW stilllegen. Budgetiert sind dafür inklusive Endlagerung 2,1 Milliarden Franken.
So funktioniert der Rückbau
Nachdem der Reaktor vom Netz geht, müssen zuerst die hochradioaktiven Brennelemente aus dem Reaktor in das benachbarte Abklingbecken gebracht werden, wo sie etwa fünf Jahre im Wasser lagern müssen. «In dieser Zeit klingt die Radioaktivität so weit ab, dass sie in Transportbehälter verladen und ins Zwischenlager gebracht werden können», erklärt Horst-Michael Prasser, Professor für Kernenergiesysteme an der ETH Zürich.
Die Brennstäbe aus Mühleberg werden im Zwischenlager Würenlingen aufbewahrt, bis ein Endlager gebaut ist. Zurzeit prüft die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle verschiedene Standorte. Sie rechnet damit, dass der Bau eines Tiefenlagers 2050 beginnen kann.
Brennstäbe müssen fünf Jahre lang abklingen
Bei Mühleberg geht die BKW davon aus, dass von den insgesamt 200'000 Tonnen Baumaterial 2 Prozent radioaktiver Abfall anfällt – davon sind 3 Prozent hochverstrahlt. Nachdem die Brennelemente abtransportiert wurden, beginnt die Reinigung der restlichen Anlage.
«Maschinenteile wie etwa eine Turbinenschaufel, auf der nur oberflächlich strahlende Stoffe abgelagert sind, können etwa mit Säure gereinigt werden», sagt Horst-Michael Prasser. Dabei werde die radioaktive Schicht weggeätzt. «Bei Betonteilen muss man die Oberfläche Zentimeter für Zentimeter abtragen, um sie von der Radioaktivität zu befreien.»
25 Lastwagen voll Bauschutt – pro Tag
Den restlichen Bauschutt kann der Betreiber entsorgen oder wiederverwerten. Auf dem Höhepunkt des Rückbaus in Mühleberg fahren laut BKW täglich 20 bis 25 Lastwagen ins Zwischenlager und in andere Deponien. Bis 2030 soll dann jeglicher strahlender Abfall weg sein. Nach Planung der BKW könnte im Jahr 2034 die Fläche umgenutzt werden.
Wie ein Rückbau in der Praxis aussehen kann, zeigen die Arbeiten am deutschen Kernkraftwerk Greifswald, dem grössten Kraftwerk der ehemaligen DDR. Die Anlage wurde Anfang der 1990er-Jahre aufgrund erheblicher Sicherheitsmängel abgeschaltet. Seit 1995 sind 830 Mitarbeiter der Energiewerke Nord (EWN) für den Rückbau der fünf Reaktorblöcke im Einsatz.
Dabei sind die deutschen Rückbau-Experten nicht nur mit technischen Fragen, sondern auch mit praktischen Problemen konfrontiert: Beispielsweise hielt die Unterwasserkamera eines Roboters, der die Zerlegung von hochradioaktiven Teilen überwachen sollte, der Strahlung nicht stand. Oder die Sägeblätter von Bandsägen rissen dauernd, weil die Betonwände und -decken mit einer speziellen Abschirmung versehen waren.
Rückbau in Deutschland: «Selbst Experten können nicht alles planen»
«Ein AKW-Rückbau ist dermassen komplex, dass selbst Experten nicht alles vorausplanen können», erklärt EWN-Sprecherin Marlies Philipp. Darum dauere es oft länger, bis taugliche Lösungen für ein Problem gefunden würden. «Zudem dachten die Ingenieure damals nicht daran, dass die Kraftwerke irgendwann abgebrochen werden müssen», sagt Philipp, «ansonsten hätten sie diese wohl anders konstruiert.»
Der Rückbau stellte sich in Greifswald als wesentlich teurer und langwieriger heraus als geplant: Zu Beginn gingen die Betreiber davon aus, dass das Gelände bis 2009 von allen kontaminierten Bauteilen gereinigt wäre. Heute rechnet die Rückbaugesellschaft damit, dass der Prozess noch bis 2028 dauern wird. Auch die Kostenprognose musste nach oben korrigiert werden: Die aktuelle Schätzung beläuft sich auf 6,6 Milliarden Euro, geplant waren ursprünglich 3,2 Milliarden.
Dass die Erfahrungen von vermehrten Rückbauten die Kosten und die Dauer deutlich senken werden, glaubt Marlies Philipp indes nicht. «Mit mehr Rückbauten steigt zwar die Erfahrung, aber jede Anlage ist individuell, was sich direkt auf die Kosten und die Komplexität auswirkt.»