Kreisgericht WilEhemaliger Kunstturn-Trainer muss sechs Monate ins Gefängnis
Ein 43-Jähriger musste sich am Dienstag in Flawil vor Gericht verantworten. Der ehemalige Cheftrainer der Kunstturnerinnen des RLZ Ostschweiz soll eine damals 15-jährige Kunstturnerin sexuell misshandelt haben.
- von
- Seline Bietenhard
Darum gehts
Am Dienstag musste sich der Ex-Cheftrainer der Kunstturnerinnen des RLZO vor Gericht verantworten.
Er soll 2018 eine 15-Jährige sexuell misshandelt haben.
Das Kreisgericht verurteilte den 43-Jährigen zu einer Gefängnisstrafe und einem Landesverweis.
Am Dienstag stand der ehemalige Cheftrainer der Kunstturnerinnen des Regionalen Leistungszentrums Ostschweiz (RLZO) vor dem Kreisgericht Wil. Er musste sich wegen mehrfacher sexueller Nötigung, mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern sowie der versuchten Nötigung vor dem Kreisgericht verantworten.
Der gebürtige Ungar soll 2018 eine damals 15-jährige Kunstturnerin in seiner Wohnung sexuell misshandelt haben. Bereits zuvor soll er sich ihr gegenüber übergriffig verhalten haben. Vor Gericht äusserte sich der 43-Jährige nicht zu den Vorwürfen.
«Das Turnen ist mein Leben»
Die heute 20-Jährige, die die Vorwürfe 2019 zur Anzeige brachte, trat an der Verhandlung als Privatklägerin auf. An jenem Tag, an dem der Vorfall passierte, sei sie zur Wohnung des Beschuldigten gegangen, wo sie Alkohol tranken. Dann sei es passiert. Sie habe sich die ganze Zeit vergebens gewehrt. «Irgendwann schaffte ich es, zu gehen.» Später habe sie der Beschuldigte angerufen und sie erneut zu seiner Wohnung gebeten, wo er sie ein zweites Mal misshandelte. Tags darauf habe er ihr mit Konsequenzen gedroht, sollte sie jemandem etwas erzählen.
Als sie die Anzeige erstattete, habe sie alles verloren. «Alle meine Freundinnen und auch ihre Eltern waren gegen mich», so die 20-Jährige weiter. Sie habe die anderen Mädchen nicht mehr sehen und nicht mehr in der Halle trainieren dürfen. Schlussendlich habe sie das Turnen auf den Rat der Eltern ganz aufgegeben. Es sei ihr sehr schwergefallen, denn: «Das Turnen ist mein Leben.»
Wie Vater-Kind-Beziehung
Der Staatsanwalt hielt in seinem Plädoyer an allen gestellten Anträgen fest. Er forderte für den 43-Jährigen eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten, von denen zehn Monate vollziehbar seien. Weiter beantragte er einen zehnjährigen Landesverweis sowie ein lebenslanges Tätigkeitsverbot mit Minderjährigen. «Seit 2014 bestand zwischen dem Opfer und dem Beschuldigten ein Vertrauensverhältnis, ähnlich einer Vater-Kind-Beziehung», eröffnet der Staatsanwalt sein Plädoyer.
Sie habe jeweils 26 Stunden pro Woche mit dem Trainer verbracht, länger als mit anderen Personen. «Der Beschuldigte hat dieses Vertrauensverhältnis ausgenutzt.» Bereits zuvor sei es zu sexuellen Nötigungen gekommen. Die Schilderungen des Opfers seien glaubwürdig dargestellt. Es sei der 20-Jährigen nicht leicht gefallen, ihren Trainer und Vaterersatz anzuzeigen. «Sie befürchtete Konsequenzen, die schliesslich auch eintrafen», sagt der Staatsanwalt.
«Beschuldigter hat das Vertrauensverhältnis schamlos ausgenutzt»
Die Anwältin der 20-Jährigen forderte analog der Staatsanwaltschaft für den beschuldigten Ex-Cheftrainer einen Schuldspruch. Weiter forderte sie eine Genugtuung von 10’000 Franken für ihre Mandantin. «Ihr Trainer war wie ein zweiter Vater für sie», so die Anwältin. Er habe sie sportlich motiviert und gefördert, seit sie zwölf Jahre alt war. «Sie konnte ihm alles erzählen, nicht nur über den Sport», sagt die Verteidigerin weiter. Der Ex-Cheftrainer habe dieses Vertrauensverhältnis schamlos ausgenutzt.
Der 20-Jährigen sei es seit den ersten Vorfällen sehr schlecht gegangen. Sie habe unter familiären und schulischen Problemen gelitten. «Der Vorfall 2018 war ein Höhepunkt dieser Übergriffe», so die Anwältin. Ihre Mandantin soll Angst gehabt haben, die Vorwürfe früher anzusprechen. «Sie hatte Angst, alles kaputtzumachen, auch die Karrieren ihrer Turnerfreundinnen», sagt die Verteidigerin. Es sei nicht ungewöhnlich, dass viele Opfer von Sexualdelikten aus Angst vor Konsequenzen schweigen würden.
Opfer forderte laut Verteidigung des Beschuldigten viel Aufmerksamkeit
Die Anwältin des Ex-Cheftrainers forderte in ihrem Plädoyer einen vollumfänglichen Freispruch. «Bei der Privatklägerin handelt es sich um eine bedürftige Turnerin, die ausserordentlich viel Aufmerksamkeit forderte», so die Verteidigerin in ihrem Plädoyer. Sie habe ihr gesamtes Leben in die Turnhalle getragen. «2018 war sie oft verletzt und ihre Karriere ging bergab», so die Verteidigerin. Sie sei eifersüchtig gewesen, dass sie nicht mehr im Fokus des Cheftrainers stand.
Weiter gebe es Unstimmigkeiten in früheren Befragungen. «Die Privatklägerin änderte in ihren Befragungen die Geschehnisse, es ist unklar, zu welchem Zeitpunkt diese geschehen sein sollten.» Die Vorwürfe in der Anklageschrift können somit laut der Verteidigerin gar nicht zutreffen. Da die Anzeige gegen den 43-Jährigen erst viel später erfolgt sei, würden objektive Beweismittel weitgehend fehlen. «Es gibt weder forensische noch körperliche Untersuchungen, auf die man sich stützen könnte», so die Verteidigerin.
«Diese Vorwürfe sind unverständlich»
Zuletzt hatte der Beschuldigte die Gelegenheit für ein Schlusswort. «Das Kunstturnen war mein Leben», sagte er. Da ihm eine eigene Turnerkarriere keinen Erfolg brachte, habe er als Trainer anderen zum Erfolg verhelfen wollen. Er habe wohl einen Fehler begangen, da er den Athletinnen auch bei ihren privaten Problemen helfen wollte. «Diese Vorwürfe sind unverständlich. Es ist unvollstellbar, dass ich mit Anschuldigungen konfrontiert werde, die offensichtlich nicht zutreffen», schliesst der Beschuldigte.
43-Jähriger muss sechs Monate ins Gefängnis
Das Kreisgericht Wil sprach den 43-Jährigen der mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern sowie der mehrfachen sexuellen Nötigung schuldig. Vom Vorwurf der versuchten Nötigung wurde der Ex-Cheftrainer freigesprochen. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt. Davon sollen sechs Monate vollzogen werden, die restlichen 24 Monate werden zugunsten einer Probezeit von zwei Jahren aufgeschoben.
Weiter wird der gebürtige Ungar für zehn Jahre des Landes verwiesen. Zudem erhielt er vom Gericht ein lebenslanges Tätigkeitsverbot mit minderjährigen, weiblichen Personen. Der 20-Jährigen muss er eine Genugtuung von 10’000 Franken bezahlen und für die Verfahrenskosten aufkommen. «Die Aussagen des Opfers waren stets glaubhaft und in ihrem Kern gleich», begründet der Gerichtspräsident das Urteil. Zudem habe ein klares Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Privatklägerin und dem Beschuldigten bestanden. «Somit ist auch klar nachvollziehbar, warum die Anzeige erst später erfolgte», so der Gerichtspräsident weiter.
Bist du minderjährig und von sexualisierter Gewalt betroffen? Oder kennst du ein Kind, das sexualisierte Gewalt erlebt?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Kokon, Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene
Castagna, Beratungsstelle bei sexueller Gewalt im Kindes- und Jugendalter
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Bist du selbst pädophil und möchtest nicht straffällig werden? Hilfe erhältst du bei Forio, Beforemore und bei den UPK Basel.
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