Mobbing-Opfer berichten«Als Bub hatte ich lange Haare – das reichte, um mich zu quälen»
Drei Erwachsene, welche in ihrer Kindheit und Jugend gemobbt wurden, teilen ihre Erfahrungen.

- von
- Erika Unternährer
Darum gehts
Ein Psychologe erklärt, was Mobbing bei den Betroffenen für Auswirkungen haben kann.
Ein Leser und zwei Leserinnen, welche lange Jahre von Gleichaltrigen gequält wurden, berichten von ihren Erfahrungen.
Laut Matthias Obrist, Leiter des Schulpsychologischen Dienstes der Stadt Zürich, hinterlässt Mobbing bei den Opfern eine seelische Narbe. Um die schlechten Erfahrungen zu bewältigen, sei es wichtig, wieder Selbstvertrauen zu erlangen. Dabei könne die Unterstützung aus dem unmittelbaren Umfeld – Familie, Freunde, Schule – des Opfers helfen. «Wichtig ist es, wieder ein Gefühl der Sicherheit herzustellen», so Obrist.
Drei Erwachsene, welche als Kind gemobbt wurden, teilen mit 20 Minuten ihre Erfahrungen. Mit ihren Geschichten wollen sie die Gesellschaft und insbesondere die Täterinnen und Täter zum Nachdenken anregen.
Jairo Thoma (27)
«Das Mobbing begann in der Primarschule. Grund dafür lieferten den Kindern bereits meine langen Haare: Als halb-Ecuadorianer trug ich einen traditionellen Pferdeschwanz, welche meine Peiniger mir eines Tages mit der Gartenschere abschnitten. Doch damit nicht genug: Ich wuchs in einer Familie mit wenig Geld auf, ich bekam selten etwas Neues. Einmal hatte ich eine neue Jacke, welche die Kinder mir wegnahmen und ins WC warfen. Ebenso bei meinen neuen Schuhen, in die sie reinpinkelten. Zudem wurden mein jüngerer Bruder und ich regelmässig von den anderen Kindern verprügelt. Als ich älter wurde, begann ich, mich zu wehren, und konnte mich aus lauter Sorgen im Unterricht nicht mehr konzentrieren. Weil meine Leistungen schlecht waren, schickte man mich in eine heilpädagogische Kleinklasse, später in ein heilpädagogisches Internat. Dort war ich intellektuell extrem unterfordert und fühlte mich von niemandem ernst genommen. Als ich das Internat verlassen konnte, kam ich an einem neuen Ort in eine neue Schule. Inzwischen war ich 15 Jahre alt. Es war die erste Klasse, in der ich mich willkommen fühlte, man gab mir eine Chance dazuzugehören. Aufgrund meiner Erfahrungen während der Schulzeit habe ich mich lange isoliert. Doch dann fasste ich Mut und begann, mich meinen Ängsten zu stellen. Ich ging raus, lernte meine heutigen Freunde und meine Partnerin kennen. Zusammen mit ihr habe ich einen vierjährigen Sohn. Ich wünsche mir von Herzen, dass er niemals das durchmachen muss, was ich ertragen musste.»
Jasmin Baldinger (28)
«Als Kind wurde ich aufgrund meines Übergewichts ausgelacht und beschimpft. Ich musste mir anhören, dass ich ein Fettsack und hässlich sei, und man sagte mir, ich solle endlich einmal etwas Anständiges anziehen. Als ich ungefähr vierzehn Jahre alt war, wandte sich eine damalige Freundin wegen einer Lappalie gegen mich. Zusammen mit 15 anderen Mädchen lauerte sie mir eines Tages vor der Schule auf, um mich brutal zu attackieren: Sie rissen mir ganze Haarbüschel aus und ein Mädchen kratzte mir das Décolleté blutig auf. Mein Lehrer sprach mich im Unterricht darauf an und wollte mir helfen. Weil ich immer weiter gequält wurde, schlug er mir vor, auf das Abschlusslager zu verzichten. Doch ich ging trotzdem hin, verzichtete dann aber zu Hause auf die Abschlussfeier. Ich feierte stattdessen mit meiner Familie, mit der ich bis heute ein sehr enges Verhältnis habe. Ich konnte mich meinen Eltern anvertrauen, sie haben mich ernst genommen, mir zugehört. Ebenso meine jüngere Schwester, die sich mehrmals vor meinen Peinigerinnen für mich eingesetzt hat. Ich habe es ihnen zu verdanken, dass ich diese Zeit ohne gravierende psychische Störungen überstehen konnte.»
Nancy C. (23)
«Ich wurde bereits im Kindergarten verprügelt und in der Primar- sowie Sekundarschule ausgegrenzt. Im Schulzimmer bewarf man mich ständig mit Radiergummi- sowie Papierresten, aus dem Whatsapp-Klassenchat wurde ich grundlos rausgeworfen und ich wurde zugespamt mit Hassnachrichten. Man nannte mich unter anderem eine Lesbe, sagte mir, ich sei hässlich. Eine Mitschülerin sagte mir eines Tages vor allen anderen: ‹Ich hoffe, du stirbst.› Dies traf mich bis aufs Mark und machte mich sprachlos. In einer politischen Debatte, welche wir im Unterricht durchführten, hinterfragte ich eine Initiative und wurde danach als Nazi – abgeleitet durch meinen Vornamen ‹Nancy› – bezeichnet und angefeindet. Doch da kamen mir eine Klassenkameradin und ein Klassenkamerad zu Hilfe. Sie machten der Gruppe klar, dass man mich aufgrund meiner Meinung nicht einfach fertigmachen darf. Diese Aktion hat mich nachhaltig geprägt – diese zwei haben mir geholfen, für mich, aber auch für andere einzustehen. Es war jedoch ein harter Weg – ich musste noch jenste Gemeinheiten über mich ergehen lassen. Ich finde es wichtig, dass Erziehungsberechtigte solche Situationen ernst nehmen und rechtzeitig eingreifen. So kann Schwerwiegendes verhindert werden.»
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche
Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein
Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer
LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133
Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Beratungsstellen für gewaltausübende Personen
Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine Depression?
Hier findest du Hilfe:
Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858
Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen
Verein Postpartale Depression, Tel. 044 720 25 55
Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen
VASK, regionale Vereine für Angehörige
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Angst- und Panikhilfe Schweiz, Tel. 0848 801 109
Keine News mehr verpassen
Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.