KorruptionsaffäreAlstom im Visier der Bundesanwaltschaft
Die Bundesanwaltschaft untersucht in der Korruptions- und Geldwäschereiaffäre beim französischen Alstom-Konzern verdächtige Transaktionen von mehr als einer halben Milliarde Franken. Dies geht aus Entscheiden des Bundesstrafgerichts hervor, das allerdings Vorbehalte zu den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft macht.
Die Bundesanwaltschaft (BA) hatte am vergangenen 21. August Razzien in Baden, im Raum Zürich und in der Innerschweiz durchgeführt und einen Schweizer Manager verhaftet, der beim französischen Alstom-Konzern eine leitende Stellung in der Compliance hatte und Mitglied der Geschäftsleitung der Schweizer Tochtergesellschaft Alstom Prom gewesen war. Es geht um den Verdacht, dass der Grosskonzern für Stromerzeugung und Schienentransport über die Alstom Prom in Baden Schmiergeldzahlungen an ausländische Amtsträger abwickelte, um Aufträge in verschiedenen Ländern zu ergattern.
Aus den Urteilen des Bundesstrafgerichts - es ging um die Haftverlängerung des inzwischen wieder aus der Untersuchungshaft entlassenen ehemaligen Alstom-Managers und um die Aushändigung von Kopien beschlagnahmter Dokumente bei einer der betroffenen Firmen - werden nun weitere Einzelheiten zu dem Fall bekannt. Demnach verdächtigt die Bundesanwaltschaft den Alstom-Konzern, durch fiktive Beraterverträge jährlich Gelder in der Höhe von 70 Millionen Franken aus der Konzernbuchhaltung ausgeschleust zu haben. Bei den von der BA untersuchten Tathandlungen, die bis ins Jahr 2000 zurückgehen, seien solche Beraterhonorare von über 500 Millionen Franken ausgelöst worden.
Ein grosser Teil dieser Zahlungen müsse nach dem heutigen Erkenntnisstand als verdächtig bezeichnet werden, erklärte die Bundesanwaltschaft. Denn zahlreiche Berater hätten gar keine Dienstleistungen erbracht, sondern ihre Konten für die Weiterleitung der Rechnungsbeträge an Dritte zur Verfügung gestellt. In einzelnen Fällen wie bei Projekten in Italien, Sambia und Mexiko seien Gelder nachgewiesenermassen an ausländische Funktionäre geflossen. Die BA nannte zwei Firmen mit Sitz in der Schweiz, die Rechnungen von über zehn Millionen Franken beziehungsweise rund 300.000 Euro gestellt hatten, wobei die Beträge dann teilweise in bar an Dritte weiterflossen. Im Falle Sambias sollen zwischen Ende Januar 2001 und April 2003 Gelder von rund einer Million Euro über verschiedene Offshore-Firmen an einen Minister des Landes geflossen sein.
Den Urteilen ist weiter zu entnehmen, dass die Bundesanwaltschaft in der Angelegenheit bereits seit Dezember 2004 ermittelt hatte, das Verfahren im Oktober 2006 aber provisorisch einstellte. Nach dem Vorliegen neuer Erkenntnisse wurde das Verfahren ein Jahr später, im Oktober 2007, wieder aufgenommen. Ob diese Erkenntnisse aus dem Fall des unter Geldwäschereiverdacht stehenden ehemaligen Privatbankier Oskar Holenweger stammen, wollte die Bundesanwaltschaft auf Anfrage nicht sagen.
Die I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts folgte der Bundesanwaltschaft allerdings nur bedingt. So bewilligte sie im Falle des inhaftierten Managers aus Gründen der Verhältnismässigkeit die Haftverlängerung nur bis Ende Oktober, statt wie von der BA beantragt bis am 4. Dezember. Die BA selber hat den Inhaftierten bereits am vergangenen 10. Oktober aus der Haft entlassen, weil der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr weitgehend entfiel. Weiter hiess das Bundesstrafgericht die Beschwerde einer Firma gut und verfügte, dass die BA umgehend Kopien von beschlagnahmten Unterlagen aushändigen muss. Der Schluss, dass sämtlicher Zahlungsverkehr dieser Firma einen kriminellen Hintergrund aufweisen solle, scheine als zu weit gehend.
Die BA wollte sich auf Anfrage nicht zu den Erwägungen des Bundesstrafgerichts äussern. Sie gab der AP aber bekannt, dass sie inzwischen die Entsiegelung des bei Alstom beschlagnahmten Materials beantragt hat. Auch darüber muss Bellinzona entscheiden.
(dapd)