VierschanzentourneeAmmanns 15. Anlauf
Vergangenes Jahr trat Simon Ammann grippegeschwächt bei der Vierschanzentournee an, nun will der Toggenburger wieder angreifen. Der erstmalige Sieg bei seinem 15. Versuch scheint aber nicht realistisch.
Die 61. Vierschanzentournee verspricht Spektakel in vollen Stadien. Die Gastgebernationen Deutschland und Österreich stellen die Favoriten. Simon Ammann tritt als Aussenseiter an, doch grosse Bühnen und Hexenkessel beflügeln ihn. «Mit Freude und geschärftem Blick». Mit diesem Motto nimmt der Ostschweizer seine 15. Vierschanzentournee in Angriff.
Der vierfache Olympiasieger drückte seine Ambitionen für den Klassiker über die Neujahrstage nicht in Zahlen aus. «Ich will meine besten Sprünge zeigen und hoffe, dass ich damit vorne eine Rolle spiele», sagte der 31-Jährige. Nach seinem enttäuschenden Auftritt in Engelberg war es auch angebracht, unverbindlich zu bleiben. Ammann wollte nicht über einen möglichen Tourneesieg spekulieren, mit dem er die letzte Lücke in seinem grandiosen Palmarès schliessen würde.
«Es ist schwieriger geworden»
Gleichwohl liess der Toggenburger durchblicken, dass er seinem Potenzial vertraut. Er sprach von einer gelungenen Serie von Sprüngen im Trainingskurs unmittelbar vor Weihnachten in Oberstdorf. Sein Blick auf Take-offs mit Prädikat Weltklasse scheint wieder geschärft. Ammann darf für sich in Anspruch nehmen, dass er die Umstellung auf die engeren Anzüge im Vergleich zum Gros der Konkurrenz rasch geschafft und sowohl im Sommer als auch im Winter Podestplätze abgeliefert hatte. «Es ist schwieriger geworden, einen Lauf zu entwickeln. Das geht nicht nur mir so», sagte der Toggenburger.
Vor einem Jahr war Ammann bereits vor dem Tourneestart geschlagen gewesen. Eine Grippe raubte ihm die Kraft, er war nicht konkurrenzfähig. Im Rückblick tut der Schweizer dieses Malheur als reines Pech ab. Spezielle hygienische Vorkehrungen, die über das normale Mass einen Sportlers hinausgehen, traf er nicht. «Diesen Stress tue ich mir nicht an. Ich will mit Freude ans Werk gehen», sagte er. «Ich bin jedenfalls gesund und habe wie im Vorjahr Weihnachten mit der Familie gefeiert», fügte er hinzu.
Der grosse Coup fehlt noch
Die Tournee beginnt bei Null. Auf dieser banalen Weisheit basiert diesmal die Hoffnung des vierfachen Olympiasiegers, um die letzte Lücke in seinem Palmarès zu schliessen. Der Toggenburger trat auch schon als Weltcupführender zum Klassiker über die Neujahrstage an, doch selbst aus dieser Position blieb Ammann der grosse Coup verwehrt: Insgesamt elf Podestplätze an Tourneespringen mit den Tagessiegen im Garmisch-Partenkirchen (2011) und Oberstdorf (2008) bescherten ihm in der Overall-Wertung zweimal die Ränge 2 (2011 und 2009) sowie Platz 3 (2007).
Unmittelbar vor Weihnachten und wenige Tage nach seinem Absturz in Engelberg reiste Ammann für zwei Tage nach Oberstdorf, wo am Sonntag um 16.00 Uhr der Kampf um eine der prestigeträchtigsten Trophäen im Wintersport beginnt. In vier Trainingseinheiten auf der Schattenbergschanze feilte der Toggenburger am vertikalen Hub in seinem Sprung. Der Blick war nach vorne gerichtet. «Wir haben Engelberg gar nicht mehr gross thematisiert», sagte sein Trainer Martin Künzle. «Simon wollte etwas erzwingen, es hat nicht geklappt.»
Ammans Wettquote stieg auf 1:25
Die missratene Hauptprobe am Fusse des Titlis mit den Rängen 41 und 26 warf Ammann aus dem Favoritenkreis. Seine Wettquote auf den Gesamtsieg stieg auf 1:25. Sie wird sich wieder drastisch senken, sofern der Schweizer von Beginn an, also auch in den Trainingssprüngen und der für ihn fakultativen Qualifikation, an die Leistungen vor Engelberg anknüpft. Im Gegensatz zum Vorjahr, als Ammann zu Saisonbeginn vergeblich um den Anschluss gekämpft hatte, klappte diesmal der Einstieg in den Winter gut. Mit den Rängen 3 und 6 und 8 in fünf Springen biss er sich in den Top Ten fest.
Ammann hat es in seiner Karriere schon mehrmals geschafft, die Puzzleteile des Erfolgs im entscheidenden Moment zusammenzufügen. Und winkt ihm eine Chance, dann packt er sie in der Regel auch. Viele Athleten scheitern mit der Aussicht auf den Erfolg an ihren Nerven. Für Ammann hingegen fängt in dieser Situation der Spass erst richtig an. Er kriegt einen Lauf und lässt mit spitzbübischem Lächeln und unerschütterlichem Selbstvertrauen die Konkurrenz links liegen. Ausgerechnet in den Arenen von Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen würde er den grossen Skisprung-Nationen Österreich und Deutschland einmal mehr vor der Sonne stehen. Damit es aber soweit kommt, muss wirklich alles zusammenpassen.
Austria-Adler kreisen nicht mehr unbeschwert
Die Überflieger-Generation aus Österreich wird erstmals seit vielen Jahren ernsthaft herausgefordert. Das Team von Alex Pointner stellte in den letzten vier Austragungen mit vier verschiedenen Springern (Loitzl, Kofler, Morgenstern, Schlierenzauer) den Sieger. Die Siegquote betrug mit 13 von 16 möglichen Tageserfolgen über 80 Prozent. Einzig Ammann mit zwei Siegen und Tom Hilde durchbrachen die Phalanx der Österreicher.
Nun haben die deutschen Springer unter dem ehemaligen Schweizer Trainer Werner Schuster die Rückkehr an die Weltspitze geschafft. Mit Severin Freund, dem 17-jährigen Youngster Andreas Wellinger und Richard Freitag figurieren gleich drei Springer in den ersten sieben Positionen des Gesamtweltcups. Im Nationenklassement sind sie mit den Österreichern auf Augenhöhe. Schuster nimmt das Wort «Tourneesieg» nicht in den Mund, doch bei den deutschen Fans sind die Hoffnungen auf den ersten Gesamtsieg seit Sven Hannawalds «Viererpack» gross. Der Mann aus dem Schwarzwald hat bisher als Einziger den Tournee-Grandslam geschafft.
Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, besagt ein Sprichwort. Für einen solchen Coup kommen neben Ammann primär der Norweger Anders Bardal - in den bisher sieben Wettkämpfen nie schlechter als im 11. Rang klassiert - und der Slowene Jaka Hvala, zusammen mit Wellinger die Entdeckung der Saison, in Frage.