Rorschacherberg SG: «Androhung von Amoktaten ist in jedem Fall ernst zu nehmen»

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Rorschacherberg SG«Androhung von Amoktaten ist in jedem Fall ernst zu nehmen»

Ein 16-Jähriger nannte sich auf Social Media «angehender Schulschütze» und sprach gemäss seinem Umfeld von einem Amoklauf. Zwei Experten ordnen ein.  

Maike Harder
Monira Djurdjevic
von
Maike Harder
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Monira Djurdjevic
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«Möglich ist, dass die Person einfach Aufmerksamkeit erhalten wollte, was durch ein drastisches Auftreten in den sozialen Medien möglich ist», sagt Gewaltexperte Dirk Baier.

«Möglich ist, dass die Person einfach Aufmerksamkeit erhalten wollte, was durch ein drastisches Auftreten in den sozialen Medien möglich ist», sagt Gewaltexperte Dirk Baier.

20 Minuten
«Zu solchen Fällen kommt es meist durch eine Häufung von verschiedenen Risikofaktoren», sagt Leonardo Vertone, Co-Leiter und Chefpsychologe am Zentrum für Kinder- und Jugendforensik der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.

«Zu solchen Fällen kommt es meist durch eine Häufung von verschiedenen Risikofaktoren», sagt Leonardo Vertone, Co-Leiter und Chefpsychologe am Zentrum für Kinder- und Jugendforensik der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.

PUK
Nach der Evakuierung des Schulhauses Steig in Rorschacherberg SG wurde ein 16-Jähriger abgeführt und sitzt in U-Haft.

Nach der Evakuierung des Schulhauses Steig in Rorschacherberg SG wurde ein 16-Jähriger abgeführt und sitzt in U-Haft.

Gemeinde Rorschacherberg

Darum gehts

  • Nach der Evakuierung des Schulhauses Steig in Rorschacherberg SG wurde ein 16-Jähriger abgeführt und sitzt in U-Haft.

  • Der Schüler nannte sich auf Social Media «angehender Schulschütze» (20 Minuten berichtete).

  • Ein Kinder- und Jugendforensiker und ein Gewaltexperte sagen, wie es zu solchen Vorfällen kommen kann und ob man die Drohungen ernst nehmen muss. 

Wie ist der Vorfall einzuschätzen? 

«Möglich ist, dass die Person einfach Aufmerksamkeit erhalten wollte, was durch ein drastisches Auftreten in den sozialen Medien möglich ist. Man posiert in den sozialen Medien, um Anerkennung und Likes zu erhalten», sagt Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Möglich sei aber auch, dass es sich nicht um eine reale Radikalisierung handele, an deren Endpunkt ein Amoklauf als einzige Form der Verarbeitung der eigenen Problemlage stehe.

Wie kann es dazu kommen? 

«Zu solchen Fällen kommt es meist durch eine Häufung von verschiedenen Risikofaktoren», sagt Leonardo Vertone, Co-Leiter und Chefpsychologe am Zentrum für Kinder- und Jugendforensik der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. So könne es sein, dass sich der Jugendliche durch verschiedene Missstände im Kontext der Schule ausgestossen, beleidigt und herabgewürdigt gefühlt habe. «Durch solche Konflikte kann ein Gefühl von Ohnmacht aufkommen. Eine aggressive Kompensation, also die Androhung von Gewalt, gibt einem dann das Gefühl, die Situation vermeintlich wieder unter Kontrolle zu haben.»

Das droht dem 16-Jährigen

Müssen solche Drohungen ernst genommen werden?

«Das Ankündigen und Androhen von Amoktaten ist in jedem Fall ernst zu nehmen», sagt Baier. Die Amokforschung zeige, dass vor solchen Taten meist deutliche Hinweise vorlagen, dass eine solche Tat geplant werde. Gleichzeitig folge nicht aus jeder Ankündigung auch ein Amoklauf. «Die Androhung von Amokläufen ist leider zu einem Phänomen geworden, welches immer wieder zu beobachten ist», so Baier. «Einzuschätzen, wie ernst die Lage ist, ist eine hohe Kunst. Man muss hier zwischen flüchtigen und ernst zu nehmenden Drohungen unterscheiden, was Expertise und Erfahrung benötigt», sagt Vertone. Diese Beurteilung sei Bestandteil des Bedrohungsmanagements der Polizei, welche nach Bedarf Rücksprache mit Fachpsychologinnen und Fachpsychologen hält. «Im Grunde sollte man aber Drohungen immer ernst nehmen und lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig intervenieren.»

Was bedeutet dieser Vorfall für sein familiäres und soziales Umfeld? 

«Für das Umfeld dürfte es ein grosser Schock sein. Sie empfinden vermutlich eine gewisse Ohnmacht und fragen sich, wie sie ihm helfen können und was sie in der Vergangenheit übersehen haben», so Vertone. Es sei grundsätzlich wichtig, dass man solche Themen nicht tabuisiere und totschweige. «Wenn man merkt, dass die Aussagen einer Person gewisse Grenzen überschreiten oder unheimlich werden, sollte man die Person direkt darauf ansprechen. Diesen Dialog zu suchen, braucht aber viel Mut.» Es gebe zudem wertvolle offizielle Beratungsstellen, an die man sich vertrauensvoll (auch anonym) wenden könne und solle. 

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