Schluss mit HomeofficeAngestellte müssen trotz Angst ins Büro zurück
Bei Coop, Aldi und Denner gehts seit kurzem wieder ins Grossraumbüro. Manche Mitarbeiter empfinden das als Zumutung.
- von
- Raphael Knecht
Darum gehts
- Viele Detailhändler pfeifen die Angestellten in der Verwaltung ins Büro zurück.
- Die Mitarbeiter sind verunsichert.
- Nötig wäre es nicht, wie der Vergleich zu anderen Branchenvertretern zeigt.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat die Homeoffice-Empfehlung zurückgezogen – seit kurzem müssen viele Schweizer Arbeitskräfte, die wegen der Krise lange von zu Hause aus arbeiteten, wieder ins Büro.
So ist es auch in der Verwaltung im Detailhandel: Anfang Monat rief etwa die Coop-Gruppe sämtliche Mitarbeitenden in der Administration ins Büro zurück – Ausnahme sind Mitarbeitende, die zu einer Risikogruppe gehören und ein ärztliches Attest vorweisen können. Auch bei Aldi Suisse arbeiten alle Mitarbeitenden seit Anfang Monat wieder hauptsächlich in den Büros. Dasselbe bei Denner.
Die Rückkehr ins Büro verunsichert manche Angestellte: «Angesichts der steigenden Fallzahlen ist das eine Zumutung», schreibt ein 20-Minuten-Leser. Personalexperte Michel Ganouchi von Recruma kann das nachvollziehen: «Viele haben im Homeoffice positive Erfahrungen gemacht – jetzt soll man ins Büro zurück, ohne gute Argumente und trotz der Fallzahlen sowie der Angst vor einer zweiten Welle.»
Ganz unbegründet sind die Bedenken nicht, wie Volker Thiel vom Eidgenössischen Departement des Inneren eingesteht: «Natürlich besteht aus virologischer Sicht immer eine Chance der Ansteckung, wenn mehrere Menschen in geschlossenen Räumen zusammenkommen. Am Arbeitsplatz ist dies nichts anderes.» Es sei darum besonders wichtig, die Fallzahlen auf niedrigem Niveau zu halten und die Vorgaben des BAG zu beachten. Das beinhaltet laut Thiel:
- Allgemeine Hygiene
- Abstand wahren
- Masken anziehen wo immer möglich
- Swiss-Covid-App benutzen
Bei den Detailhändlern verweist man ebenfalls auf den Bund: «Für die Mitarbeitenden in der Administration halten wir uns an den Bundesrat», sagt Coop-Kommunikationschefin Rebecca Veiga zu 20 Minuten. Im Büro seien die Angestellten angehalten, die BAG-Massnahmen weiterhin einzuhalten. Bei Aldi Suisse und Denner tönt es gleich.
Siemens
Homeoffice für 140’000 Mitarbeiter
Manche Firmen wollen so schnell wie möglich wieder in die Grossraumbüros zurück – aber einige Unternehmen gehen in die andere Richtung. So hat der Siemens-Konzern am Donnerstag angekündigt, dass Homeoffice beim Unternehmen zum weltweiten Standard werden soll. Mehr als die Hälfte der Mitarbeiter werde künftig zwei bis drei Tage von zu Hause aus arbeiten. Das betrifft weltweit um die 140’000 Arbeitskräfte, wie die Deutsche Presse-Agentur schreibt.
Die Konkurrenz zeigt jedoch, dass auch im Detailhandel Büropräsenz kein Muss ist: Bei der Migros gilt weiterhin die Weisung, wenn möglich von zu Hause aus zu arbeiten, wie Sprecher Marcel Schlatter auf Anfrage sagt.
Lidl Schweiz gibt an, dass man zwar grösstenteils ins Büro zurückgekehrt ist – für Mitarbeiter, die gern weiter von zu Hause aus arbeiten möchten, habe man aber individuelle Lösungen gesucht. Dass viele Firmen die Homeoffice-Regelung jetzt trotzdem wieder rückgängig machen, findet Personaler Ganouchi enttäuschend: «Homeoffice ist ein wachsendes Bedürfnis bei den Arbeitskräften.»
Chefs haben wenig Vertrauen und Kompetenz
Dass sich manche Firmen derart gegen Homeoffice sträuben, liegt laut dem Experten wohl daran, dass viele Chefs ihren Angestellten nicht genügend vertrauen. Zudem fehle gerade älteren Vorgesetzten oft die virtuelle Führungskompetenz – sie wissen also nicht, wie sie trotz physischer Distanz Nähe zu den Angestellten schaffen können. «Manche Führungskräfte kann man da in noch so viele Weiterbildungen stecken – es wird nie besser.»
Unternehmer werden laut Ganouchi spätestens dann merken, dass der Widerstand gegen Homeoffice ein Fehler ist, wenn sie keine Bewerber mehr finden. Denn besonders für jüngere Arbeitskräfte sei die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, ein wichtiges Kriterium bei der Jobsuche.
Thema Homeoffice noch nicht abgehakt
Dazu komme, dass Homeoffice ökologisch nachhaltiger sei, Pendlerstress vermeide und gleichzeitig das Verkehrsaufkommen reduziere. Viele Studien zeigen zudem, dass einige Tage Homeoffice pro Woche die Produktivität steigern können. «Arbeitgeber schaufeln ihr eigenes Grab, wenn sie Homeoffice grundsätzlich ablehnen», ist Ganouchi überzeugt.
Bei Coop ist darum das Thema Homeoffice noch nicht definitiv abgehakt: «Wir werden die Erfahrungen aus der Zeit des Lockdown mit nötiger Distanz evaluieren. Dazu gehört auch das Thema Homeoffice», sagt Sprecherin Veiga.