«Riesige Dunkelziffer»Straftaten nehmen zu – schon Zehnjährige verbreiten Kinderpornos
Exklusive Zahlen zeigen, dass schon unter Elfjährige Kinderpornos verschicken. Polizei und Fachleute warnen vor den Folgen.
- von
- Noah Knüsel
- Christina Pirskanen
Darum gehts
Laut Zahlen der Kantonspolizei Aargau wurden im Jahr 2022 bis November bereits fünf Kinder unter elf Jahren beschuldigt, verbotene Pornografie verbreitet zu haben.
Drei dieser fünf Kinder hätten kinderpornografisches Material verbreitet.
Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, dass diese Straffälle in der gesamten Schweiz ansteigen.
2019 waren es noch acht Kinder unter elf Jahren, welche Kinderpornos verbreitet haben – 2021 waren es bereits 29 Beschuldigte.
Polizei und Beratungsstellen sind besorgt und warnen vor den Folgen.
Jüngst machte die Walliser Kantonspolizei einen Fall von Kinder-Sexting öffentlich. Eine Fünfjährige hatte sich mit dem Handy ihres Bruders beim Duschen gefilmt und das Video auf Tiktok hochgeladen. Nun zeigen neue Zahlen: Dabei handelt es sich um ein schweizweites Phänomen.
Auf Anfrage von 20 Minuten hat die Kantonspolizei Aargau vorläufige Zahlen für 2022 zur Verfügung gestellt. Daraus geht hervor: Bis Anfang November waren fünf Kinder unter elf Jahren wegen Vergehen im Zusammenhang mit verbotener Pornografie beschuldigt – drei davon, weil sie Kinderpornos verbreitet hatten.
Auf nationaler Ebene zeigt sich ein steigender Trend: Während es 2019 noch acht Kinder unter elf Jahren waren, die Kinderpornos verbreitet hatten, stieg die Zahl 2021 auf 29 Beschuldigte. Das zeigen Daten des Bundesamts für Statistik (BFS).
So ist die Rechtslage
Das Gesetz benennt drei Formen von verbotener Pornografie: pornografische Darstellungen mit Kindern, Tieren und Gewalttätigkeiten. Deren Verschicken oder Besitz sind Offizialdelikte – die Behörden sind verpflichtet, diese zu verfolgen. Zudem ist es verboten, jegliche Pornografie unter 16-Jährigen zu zeigen oder zugänglich zu machen. Filmt oder fotografiert sich eine Person unter 16 Jahren etwa aufreizend, nackt oder bei einer sexuellen Handlung und verschickt diese Aufnahmen, hat sie somit Kinderpornografie hergestellt und verbreitet – und macht sich damit strafbar. Eine Ausnahme gilt für Personen zwischen 16 und 18 Jahren: Senden sich die Jugendlichen einvernehmlich gegenseitig sexualisierte Aufnahmen und diese gelangen nicht an Dritte, bleiben sie straflos.
Polizei steht vor Problemen
Bei der Jugendpolizei Winterthur kann man das bestätigen: «Weil heute Handys zum Alltag gehören, haben wir viel mehr zu tun als noch vor einigen Jahren», sagt Rahel Egli, Sprecherin der Stadtpolizei. Aus ihrer Erfahrung stosse man bereits bei Jugendlichen ab 13 Jahren auf illegale Videos. Man weise daher schon bei Schulbesuchen in der 5. Klasse auf die Problematik hin.
Zudem dürfte die Dunkelziffer riesig sein, so Egli: «Oft finden wir solche Videos nur durch Zufall, wenn wir etwa in Zusammenhang mit einem anderen Delikt Handys beschlagnahmen.» Man sei darauf angewiesen, dass Personen die illegalen Inhalte meldeten.
Auch die Kantonspolizei St. Gallen berichtet von Herausforderungen: «Werden beispielsweise solche Aufnahmen über Whatsapp verbreitet, dann sehen wir dies nicht, weil wir die einzelne Konversation nicht überwachen», sagt Sprecher Florian Schneider.
Diese Strafen drohen
Polizistin Rahel Egli rät, etwa bei verbotenen Pornos entsprechende Gruppenchats sofort zu verlassen und die Videos wieder vom Handy zu löschen. Sonst mache man sich strafbar. Laut der St. Galler Staatsanwaltschaft können Jugendliche von zehn bis 14 Jahren mit einem Verweis oder einer persönlichen Arbeitsleistung von bis zu zehn Tagen bestraft werden. Ab 15 kommen dann noch Bussen und Gefängnisstrafen dazu.
«Eltern müssen genau hinschauen»
Für Pro-Juventute-Sprecherin Lulzana Musliu-Shahin ist klar, dass die Eltern in der Verantwortung sind: «Sie müssen genau hinschauen, was ihre Kinder am Bildschirm machen.» Am wichtigsten sei, dass Eltern ihre Kinder in die digitale Welt begleiteten: «Und dass sie früh sensibilisiert werden, dass sie sich auch strafbar machen können.»
Unbeaufsichtigte Bildschirmzeit sei für kleine Kinder generell nicht empfehlenswert, so Musliu-Shahin: «Bis zum Alter von zwei Jahren sollten Kleinkinder wenn möglich gar nicht oder nur wenige Minuten am Tag am Bildschirm sein.» Dann empfehle man eine schrittweise Erhöhung, ab zehn Jahren rechne man für jedes Lebensjahr eine Stunde pro Woche.
Auch Florian Schneider von der Kantonspolizei St. Gallen sieht die Verantwortung bei den Eltern: «Sie sollten diesen Medienkonsum mit ihren Kindern unbedingt thematisieren – was die Kinder dann schlussendlich machen, ist wieder etwas anderes.» Immer jüngere Kinder hätten ein Smartphone, so Schneider. Diese seien sehr versiert im Umgang mit diesen Geräten und hätten so Zugang zu Inhalten wie etwa Pornografie.
Hast du schon Nacktbilder von dir verschickt?
Bist du minderjährig und von sexualisierter Gewalt betroffen? Oder kennst du ein Kind, das sexualisierte Gewalt erlebt?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Kokon, Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene
Castagna, Beratungsstelle bei sexueller Gewalt im Kindes- und Jugendalter
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Wirst du oder wird jemand, den du kennst, sexuell belästigt?
Hier findest du Hilfe:
Belästigt.ch, Onlineberatung bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz
Verzeichnis von Anlaufstellen
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
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