Machtwechsel in ÄgyptenApplaus vom Volk - Skepsis bei Israel
Die Entmachtung des Militärs durch den ägyptischen Präsidenten Mursi kam überraschend. Tausende Ägypter bejubelten daraufhin den Entscheid. Nicht ganz so positiv sieht man die Lage in Israel.
Ägyptens islamistischer Präsident Mohammed Mursi hat für die Entmachtung der Militärspitze in der Bevölkerung Zustimmung erhalten. Israel reagierte besorgt. Das betroffene Militär blieb stumm.
Die Generäle schienen sich mit der Entlassung des Verteidigungsministers und des Generalstabchefs abzufinden. Die Truppen blieben am Montag in den Kasernen. Mursi hatte auch die Verfassungserklärung des Militärrats vom Juni ausser Kraft gesetzt, mit der die Militärs seine Macht eingeschränkt hatten.
Damit schienen sich Berichte von Staatsmedien zu bewahrheiten, wonach Mursi seinen Schritt mit der Militärführung, zumindest mit dem neuen Verteidigungsminister, dem bisherigen Chef des Militärgeheimdienstes Abdel Fattah al-Sisi, abgesprochen hatte.
Offenbar werde die überraschende Entlassung von Armeechef Hussein Tantawi sowie Stabschef Sami Anan von anderen Generälen sowie von vielen weiteren, vor allem jüngeren Offizieren gebilligt, hiess es.
«Mursi ging ein kalkuliertes Risiko ein», sagte der Politologe Amr Hamzawy von der Amerikanischen Universität in Kairo. Ob Mursi den Machtkampf aber gewonnen hat, ist unklar. «Dies ist eine entscheidende Schlacht, aber es wird nicht die letzte gewesen sein», sagte Omar Aschur vom Brookings Doha Center.
Vertreter der Revolution zollen Beifall
Am Sonntag hatten tausende Anhänger Mursis auf dem Tahrir-Platz in Kairo die Entmachtung Tantawis gefeiert. Auch Vertreter der Protestbewegung, die im Februar 2011 zum Sturz von Präsident Hosni Mubarak geführt hatte, äusserten sich positiv.
«Seine Entscheidungen verdienen unsere Unterstützung», erklärte Ahmed Maher, der Mitbegründer der Jugendbewegung 6. April, über Twitter. «Ich denke, genau das wollten wir.»
Der frühere Chef der UNO-Atomenergiebehörde (IAEA), der Liberale Mohammed al-Baradei, sprach von einem «Schritt in die richtige Richtung». Er warnte aber: «Ein Präsident, der sowohl exekutive als auch gesetzgeberische Vollmachten hat, widerspricht dem Kern der Demokratie. Das kann nur ausnahmsweise und provisorisch gehen.»
«Es ist eine Übertragung der Macht auf den Präsidenten in guter Absicht», kommentierte der moderate Islamist Abdel Moneim Abul Futuh Mursis Schritt. Mursi festigte mit seinem Coup seine Macht in beispielloser Weise. Er kann nun Gesetze erlassen und selbst den Staatshaushalt festlegen.
Machtkonzentration im Widerspruch zur Demokratie
Juristen kritisierten, Mursi habe seine Kompetenzen überschritten. «Ein Präsident hat nicht die Vollmacht, eine Verfassung zu ändern, auch nicht eine provisorische», sagte die Verfassungsrichterin Tahani al-Gabali dem Portal «alahramonline».
Allerdings hat Mursi auch Juristen auf seiner Seite. So ernannte er Richter Mahmud Mekki zu seinem Vizepräsidenten. Mekki, ein Muslim, hatte sich unter Mubarak öffentlich gegen Wahlbetrug ausgesprochen und tritt für Reformen in Ägypten ein. Allerdings stiess Mursi damit die Christen vor den Kopf, denen er versprochen hatte, «möglichst» einen Christen zu seinem Vize zu machen.
In seiner Rede am Sonntag hatte Mursi sich zum Fahrplan zur Demokratie bekannt. Nach der Ausarbeitung einer neuen Verfassung und ihrer Billigung durch ein Referendum soll ein neues Parlament gewählt werden.
Unsicherheit in Israel
Israel reagierte auf den Machtwechsel besorgt, denn seit dem Friedensvertrag von 1979 hatte Israel sich auf das ägyptische Militär verlassen können.
Nun fürchtet die Regierung, dass die Beziehungen sich verschlechtern ebenso wie die Sicherheitslage auf dem Sinai, nachdem nun ein Islamist die Macht in Ägypten auf sich konzentriert hat. Die Zeitung «Jediot Achronot» wies aber darauf hin, dass die neue Militärspitze auch gute Beziehungen zu Israel habe.
Die USA reagierten verhalten. «Es ist zu früh um zu sagen, welche Auswirkungen der Vorstoss haben wird», sagte ein Regierungsmitarbeiter in Washington. (sda)
Gemischte Pressereaktionen
Die Entmachtung der obersten Militärs durch den ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi hat Reaktionen zwischen Jubel und Sorge ausgelöst. Die Meinungen in der ägyptischen Presse waren am Montag gemischt.
Während die regierungsnahe Presse und Teile der Bevölkerung die Entlassung von Verteidigungsminister und Militärratschef Hussein Tantawi und anderen Armeevertretern als Fortsetzung der Revolution feierten, kritisierten andere die zunehmende Machtkonzentration bei den Islamisten.
«Mursi greift sich die gesamte Macht», schrieb am Montag die unabhängige Zeitung «Al-Masri al-Jum» mit Blick auf die Absetzung des 76-jährigen Marschalls Tantawi, während «Al-Schuruk» urteilte: «Mursi beendet die Macht des Obersten Militärrats».
Die unabhängige Zeitung warnte, dass der Präsident mit der ebenfalls am Sonntag verkündeten Übernahme des Rechts zur Gesetzgebung mehr Vollmachten erhielte als der im Februar 2011 gestürzte langjährige Machthaber Husni Mubarak.
Die Staatszeitung «Al-Achbar» bezeichnete die Entmachtung des Verteidigungsministers als «revolutionär». Die militärnahe «Al- Usbua» warnte vor einer «Diktatur der Muslimbrüder».
Beobachtern zufolge nutzte Mursi für seinen Schachzug die herrschenden Rivalitäten zwischen den Generälen sowie einen zunehmenden Machtverlust altgedienter Militärvertreter. Die Zeitung «Al-Tahrir» schrieb, der scheinbar allmächtige Militärrat, dem Tantawi vorstand, habe sich als «Papiertiger» erwiesen.