Assistenzärzte berichten von unhaltbaren Zuständen

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Assistenzärzte am LimitGegenseitige Schuldzuweisungen – verhallt Hilfeschrei der Ärzte ungehört?

Assistenzärzte berichten von unhaltbaren Zuständen in Schweizer Spitälern. Der Spitalverband wehrt sich – und sieht die Politik in der Verantwortung. Doch auch die will nicht schuld sein.

von
Christina Pirskanen
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80-Stunden-Wochen und Minusstunden bei Krankheitsausfall: Assistenzärzte berichten von prekären Arbeitsbedingungen. Der Spitalverband wehrt sich und erhebt stattdessen Vorwürfe gegen die Politik.

80-Stunden-Wochen und Minusstunden bei Krankheitsausfall: Assistenzärzte berichten von prekären Arbeitsbedingungen. Der Spitalverband wehrt sich und erhebt stattdessen Vorwürfe gegen die Politik.

20min/Vanessa Lam
Der Spitalverband spricht von «politischer Bürokratisierung» und «Überregulierung». Zudem bräuchten die Spitäler zusätzliche Mittel, um ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu erhöhen – das müsse die Politik einsehen.

Der Spitalverband spricht von «politischer Bürokratisierung» und «Überregulierung». Zudem bräuchten die Spitäler zusätzliche Mittel, um ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu erhöhen – das müsse die Politik einsehen.

20min/Vanessa Lam
«Die Massnahmen, die man in den letzten Jahren angegangen ist, um die Kosten zu senken oder zumindest nicht ansteigen zu lassen, würde ich nicht als Regulierungen sehen, die zur Überlastung der Ärzte und Notsituationen in den Spitälern führen», sagt Mitte-Nationalrat Lorenz Hess. Er kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen.

«Die Massnahmen, die man in den letzten Jahren angegangen ist, um die Kosten zu senken oder zumindest nicht ansteigen zu lassen, würde ich nicht als Regulierungen sehen, die zur Überlastung der Ärzte und Notsituationen in den Spitälern führen», sagt Mitte-Nationalrat Lorenz Hess. Er kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen.

20min/Simon Glauser

Darum gehts

  • Schweizer Assistenzärztinnen und -ärzte laufen am Limit.

  • Lange Arbeitswochen, hohe Auslastung und zu viel Bürokratie, lautet die Kritik.

  • Der Spitalverband wehrt sich gegen die Vorwürfe und kritisiert, die Politik würde die Branche «überregulieren».

  • Das sehen Mitglieder der Gesundheitskommission des Nationalrats anders.

Assistenzärzte schlagen Alarm: Sie seien komplett ausgelastet, arbeiteten bis zu 80 Stunden in der Woche und, wenn sie krank seien, würde ihnen das als Minusstunden angerechnet. Der Spitalverband H+ wehrt sich gegen diese Vorwürfe – und erhebt Vorwürfe an die Politik.

Die Politik wolle andauernd nur die Gesundheitskosten senken, gleichzeitig aber stetig neue Auflagen und Regelungen erlegen. Die Rede ist von «politischer Bürokratisierung» und «Überregulierung». Weiter müsse die Politik einsehen, dass die Spitäler ohne zusätzliche Mittel als Arbeitgeber an Attraktivität verlieren – darunter leide letztlich die Patientensicherheit.

«Sehe nicht ein, dass man noch mehr Geld in diesen Kreislauf geben soll»

Diese Vorwürfe können die Mitglieder der Gesundheitskommission des Nationalrats nicht nachvollziehen. «Die Massnahmen, die man in den letzten Jahren angegangen ist, um die Kosten zu senken oder zumindest nicht ansteigen zu lassen, würde ich nicht als Regulierungen sehen, die zur Überlastung der Ärzte und Notsituationen in den Spitälern führen», sagt etwa Mitte-Nationalrat Lorenz Hess.

Die Forderung nach mehr finanziellen Mitteln ist für Hess «sehr pauschal». Es würden teils zu viele Leistungen angeboten, also zu viel operiert und behandelt. Diese Leistungen müsse man zuerst in den Griff bekommen. «Vor diesem Hintergrund sehe ich schlecht ein, dass man jetzt noch mehr Geld in diesen Kreislauf geben sollte», so Hess. Wichtig sei jetzt der indirekte Gegenvorschlag der Pflegeinitiative. Dort werde man versuchen, zumindest für einen Teil der Leistungserbringer die Arbeitsverhältnisse attraktiver zu machen.

Kantone und Spitäler seien in der Pflicht

Auch SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen hat wenig Verständnis für die Vorwürfe. «Die Gesundheitskosten steigen jährlich, zum Teil ungerechtfertigt, und belasten die Prämienzahlenden stark. Es ist unsere Aufgabe, auch kostendämpfende Massnahmen umzusetzen», sagt sie. In den letzten Jahren seien solche Massnahmen aber häufig erfolgreich von mächtigen Gesundheitsakteuren bekämpft worden.

Der Bund müsse dringend investieren, damit mehr Pflege- und Ärztepersonal ausgebildet werde. Schlussendlich sieht Wasserfallen auch die Spitäler und Kantone in der Verantwortung – sie seien zuständig für die Gesundheitsversorgung und Spitalplanung. «Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen mit der Einführung von mehr Erholungspausen, einer besseren Überzeit- und Arbeitszeitregelung oder einer Lohnerhöhung können die Spitäler und Kantone sofort umsetzen. Wenn das Gesundheitspersonal dadurch gesund und länger im Beruf bleibt, steigt die Versorgungsqualität und es gewinnen alle», so Wasserfallen.

«Spitäler müssen sich selbst an der Nase nehmen»

«Alles in unserem Land wird mehr und mehr reguliert», meint hingegen die SVP-Nationalrätin Verena Herzog. Die Bürgerlichen kämpften gegen weitere Regulierungen – solange die Patientensicherheit dabei nicht beeinträchtigt werde. «Assistenzärzte und auch das Pflegepersonal müssen sich wieder mehr um die Patienten kümmern können, statt sich mit Papierkram herumschlagen zu müssen», so Herzog.

Auch für Herzog sind allen voran die Kantone zuständig, wenn es um die zusätzliche Finanzierung geht. «Die Spitäler müssen sich aber auch selber an der Nase nehmen: Sie müssten sich schon lange regional organisieren – ein Spital alleine muss nicht alles können und sämtliche medizinischen Geräte anschaffen, die dann amortisiert werden müssten und das ganze Gesundheitswesen verteuern», sagt sie. So hätten die Spitäler mehr Mittel zur Verfügung. «Wenn ich sehe, wie viele Milliarden bereits für Renovationen und Bauten bis 2035 geplant sind, frage ich mich schon, was davon wirklich notwendig ist», so Herzog.

Einfache Lösungen gibt es scheinbar nicht, es sind vor allem viele Vorwürfe im Raum. Genau vor solchen gegenseitigen Schuldzuweisungen warnt die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren. «Wir müssen gemeinsam Lösungen suchen, sei es bei der Ausbildung, der Finanzierung, der Verbesserung von Arbeitsabläufen oder den Arbeitsbedingungen», sagt Mediensprecher Tobias Bär.

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