Aufatmen nach Afghanistan-Konferenz

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Aufatmen nach Afghanistan-Konferenz

Ein Aufatmen ging durch die Reihen der deutschen Diplomaten: «Die Afghanistan-Konferenz lief besser als erwartet», sagte einer zum Abschluss der zweitägigen Beratungen an der Spree.

700 Delegierte aus fast 60 Ländern waren gekommen. Die rekordverdächtige Zahl der Zweiergespräche mit Kollegen aus vielen Ländern bescherten dem jogging-erfahrenen Aussenminister Joschka Fischer als Gastgeber einen Marathon der besonderen Art.

Der Grünen-Politiker traf nicht nur US-Aussenminister Colin Powell, dem er bei seinen Washington-Reisen in einem eingespielten Ritual stets einen Kasten Flensburger Pils mitbringt. Er sprach auch mit seiner Königlichen Hoheit, dem Aga Khan, sowie mit den Aussenministern Russlands, Pakistans, Australiens, Neuseelands, Chinas, Kirgisiens, Usbekistans, Tadschikistans und Kasachstans. Die hohen UN-Repräsentanten Lakhdar Brahimi und Ruud Lubbers standen ebenfalls auf dem Programm. Das war gewissermassen der diplomatische Profit am Rande der Geberkonferenz.

Als wichtigstes Ergebnis der Konferenz gilt, dass die Staatengemeinschaft der seit 22. Dezember 2001 amtierenden Übergangsregierung von Präsident Hamid Karsai abnimmt, dass sie es mit dem Wahltermin September, den Reformen, dem Wiederaufbau und mit dem verantwortlichem Umgang mit ausländischer Hilfe ernst meint. Ausserdem zeigte sich Karsai entschlossen, mit Terrorismus, dem Raubrittertum der Drogenbarone und Bürgerkrieg ein für alle Mal aufzuräumen - ebenfalls mit internationaler Hilfe. Das geht so aus der «Berliner Erklärung» hervor, dem Abschlussdokument.

Der Kampf ist zwar nach 28 Monaten noch nicht beendet. Noch halten Taliban und El Kaida 20 Prozent Afghanistans. Aber erstmals in seiner Geschichte unterzeichnete Afghanistan auf der Konferenz ein Abkommen mit seinen sechs Nachbarländern, den Anbau von Drogen sowie den Handel und Schmuggel langfristig niederzukämpfen. Zu den Ergebnissen der Konferenz gehört, dass der Ernst des afghanischen Drogenproblems nunmehr in vollem Umfang erkannt wurde. 80 Prozent der Opium-Weltproduktion kamen Fischer zufolge noch 2003 vom Hindukusch.

Karsais Umhang glitt von den Schultern

«Es hätte ja auch sein können, dass jeder auf der Konferenz nur lieblos eine Erklärung herunterleiert, und sich ansonsten zurückhält», hiess es in Konferenzkreisen. Aber das Gegenteil war der Fall: Karsai lieferte temperamentsprühende Auftritte, und mitten in seiner Eröffnungsrede glitt ihm sogar der legendäre Umhang von den Schultern. Seine Minister bestachen mit ihre Eloquenz und mit exzellenter Vorbereitung. Das riss die Staatengemeinschaft mit, dem kriegszerstörten Land aktiv weiterzuhelfen: 8,2 Milliarden Dollar wurden für die nächsten drei Jahre gesammelt.

Kabul wartete zudem mit einem konkreten Arbeitsprogramm auf - nicht für andere, sondern für sich selbst. Dazu gehört die Demobilisierung der alten Armee in drei Stufen: Bis Juni sollen von den 100.000 unter Kabuler Kommando stehenden Soldaten 40.000 entlassen werden. Ihre Einheiten sollen aufgelöst und sämtliche schweren Waffen in Depots zurückgezogen werden. Der Rest soll innerhalb Jahresfrist nach Hause geschickt werden.

Insgesamt müssen rund 170.000 Mann abgerüstet werden, doch diese Zahl schliesst die nicht unter Kabuler Kommando stehenden Privatmilizen ein. So wichtige Kriegsherren wie der selbst ernannte Emir von Herat, Ismail Khan, oder General Mohammad Daud von Kundus wollen sich der Demobilisierung nicht widersetzen, sagten Diplomaten.

Gleichzeitig mit der Entwaffnung der alten Streitkräfte sollen die neue Armee und die neue Polizei so aufgebaut werden, dass sie mit mehreren zehntausend Männern und immerhin auch schon einigen Polizistinnen die Septemberwahlen absichern können. Allerdings muss auch hier die Friedenstruppe ISAF mithelfen, die mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrats jetzt unter NATO-Kommando steht.

NATO für mehr Sicherheitsinseln

Die NATO will im Gegenzug die Zahl der Sicherheitsinseln - der bisher elf regionalen Wiederaufbauteams - erhöhen. So überlegt Italien, ebenso wie Deutschland eine eigene Insel einzurichten. Überhaupt hielt die Staatengemeinschaft in der « Berliner Erklärung» fest, dass die Präsenz der ISAF-Truppen «auf Ersuchen und mit Billigung der afghanischen Regierung so lange fortgesetzt wird, bis die neuen afghanischen Sicherheits- und Streitkräfte ausreichend aufgebaut und einsatzbereit sind». (dapd)

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