Därstetten BENeugeborenes bei Eiseskälte in Karton ausgesetzt – Mutter vor Gericht
Im Januar 2020 fand ein Bauer auf dem Werkhof in Därstetten ein ausgesetztes Neugeborenes vor. Trotz einem Geständnis der Mutter kurz nach der Tat wirft der Fall weiterhin viele Fragen auf. Am Dienstag steht sie nun vor Gericht.
- von
- Benedikt Hollenstein
Darum gehts
Der Fall erschütterte anfangs 2020 die ganze Schweiz: Bei eisigen Temperaturen fand ein Landwirt auf dem Werkhof im bernischen Därstetten ein alleingelassenes Baby. Das Neugeborene wurde in einem Karton aufgefunden und war lediglich in eine weisse Decke eingewickelt. Tagelang kämpften die Ärzte um das Überleben des knapp drei Wochen alten Mädchens, bevor sich sein Zustand stabilisierte. Nun muss sich die 44-jährige Mutter vor Gericht verantworten, ihr werden nebst versuchter Kindstötung auch diverse Drogendelikte vorgeworfen.
Kind bei Pflegefamilie untergebracht
Im Vorfeld des Prozesses, der am Dienstag am Regionalgericht Oberland in Thun im Kanton Bern beginnt, verteidigt der Anwalt Daniel Schütz seine Mandantin im Gespräch mit dem «Blick». Sie sei zum damaligen Zeitpunkt in einer sehr schwierigen Situation gewesen, so Schütz. «Die Mutter hat direkt zu Beginn ein Geständnis abgelegt und bereut ihre Tat.» Das Kind lebt derzeit bei einer Pflegefamilie – ob dies mit dem Einverständnis der 44-Jährigen geschah, ist nicht klar.
Die Deutsche, die in die Schweiz gezogen war, weil ihr Lebenspartner damals in Gstaad gearbeitet hatte, hatte offenbar eine turbulente Kindheit: In der Heimat soll die Verdächtige, die in einem Heim aufwuchs, mehrere Kinder haben, für die ihr das Sorgerecht in allen Fällen entzogen worden sei. Laut Freunden soll die Mutter auch regelmässig Marihuana konsumiert und in seltenen Fällen auch weiterverkauft haben. Nach dem Umzug in die Schweiz arbeitete die Frau nach eigenen Angaben in einem Spital und gab im privaten Umfeld an, als Köchin zu arbeiten. Sowohl die 44-Jährige als auch ihr Partner sollen zuletzt aber arbeitslos gewesen sein.
«Tut mir im Herzen weh»
Nach dem Fund des neugeborenen Mädchens im Januar 2020 kamen die Mutter sowie ihr Lebenspartner, bei dem bisher nicht klar ist, ob es sich auch um den Vater des ausgesetzten Kindes handelt, vorübergehend in Untersuchungshaft. Im Februar 2020 sagte der Mann, dass das Paar das Kind natürlich zurückhaben wolle. Zum Vorfall selbst sagte er: «Es tut mir im Herzen weh, was passiert ist.» Mittlerweile leben die beiden gemäss ihrem Anwalt in Österreich, wo der Mann einen Job gefunden habe. Das Urteil im Fall des ausgesetzten Neugeborenen dürfte voraussichtlich am Donnerstag fallen, es gilt die Unschuldsvermutung.
Paar war zuvor nicht aufgefallen
In Därstetten sei der Baby-Fund heute kein Thema mehr, sagt Alt-Gemeindepräsident Thomas Knutti: «Aber das dürfte sich ändern, wenn morgen der Prozess stattfindet und darüber berichtet wird.» Seit die Mutter und ihr Lebensgefährte weggezogen seien, stehe deren ehemalige Wohnung leer. Knutti kann sich noch erinnern als er die Räumlichkeiten nach dem Umzug des Paares betrat: «Alles war überstellt und dreckig – es war wirklich kein schöner Anblick.»
Bis zum Vorfall seien die beiden Deutschen jedoch kaum aufgefallen. «Der Alkohol- und Drogenkonsum fand hauptsächlich in der Wohnung statt», sagt Knutti. Dass sich eine Mutter zu einer derartigen Verzweiflungstat veranlasst sehe, sei sehr tragisch und deute auf viel Leid und Probleme in der eigenen Biografie hin, meint Knutti. Dennoch hoffe er, dass die Beschuldigte rechtmässig für ihre Tat verurteilt werde.
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