Lehrer in WindelnBabys sollen Schüler Emotionen lehren
Babys als Dozenten für eine friedliche Gesellschaft: So wirbt ein Programm, das erstmalig in der Schweiz vorgestellt wurde. Fachleute sind allerdings skeptisch.
- von
- Raffaela Moresi

Der 7-monatige Henrik war der Star im Sihlfeld-Schulhaus.
«Du bist du – und das find ich gut», singen die Schüler für den siebenmonatigen Henrik, der sie mit seiner Mutter im Schulhaus Sihlfeld besucht. Die Erstklässler merken rasch, dass sich der Kleine mit einem Liedchen bestens beruhigen lässt. Das Baby dankt es ihnen mit fröhlichem Glucksen.
Grund für Henriks Besuch im Klassenzimmer war das Programm «Roots of Empathy». Die Verantwortlichen rund um die kanadische Pädagogin Mary Gordon möchten das Projekt bald in die Schweiz bringen. Ihre Idee: Alle drei Wochen kommt ein Säugling aus der Nachbarschaft in die Schule. Die Kinder beobachten dessen Entwicklung und lernen seine Gefühle und Bedürfnisse kennen.
«Mobbing und Aggressivität verhindern»
Laut dem Programm werde so «die Empathie gestärkt und Mobbing wie auch Aggressivität verhindert». Dies sei wissenschaftlich untermauert, sagt Gordon, die «Roots of Empathy» 1996 entwickelte und damit nach eigenen Angaben mehr als 500'000 Primarschüler rund um den Globus erreicht. So sei etwa in Schottland die Gewalt unter Jugendlichen durch die Implementierung des Programmes markant zurückgegangen.
Die Erstklässler des Sihlfeld-Schulhauses interessieren sich nicht für Wissenschaftliches. Sie sind ganz offensichtlich fasziniert vom 7-Monatigen, kommentieren jede seiner Bewegungen und löchern dann die Mutter mit Fragen. «Wenn Henrik aufs WC muss, gehen Sie dann mit?», will etwa ein Mädchen wissen. Mary Gordon ist begeistert. «Diese Kinder lernen Henriks Körpersprache, sie sehen, wie es ihm geht, was er braucht und was er nicht mag.» Dies helfe ihnen, ihre eigenen Wünsche zu äussern und sich gegen Unrecht oder Grausamkeiten zu wehren. Der Kleine ist dabei sozusagen «everybody's darling». Gordon: «Egal, was er tut, alle lieben Henrik. Einem Baby kann man nicht böse sein.»
«Empathie ist viel komplexer»
Das stimme so nicht, kritisiert Allan Guggenbühl, Psychologe und Experte für Jugendgewalt. «Kinder sind durchaus ambivalent Babys gegenüber.» Das Programm klinge zwar interessant, «viel verspreche ich mir aber nicht davon - schon gar nicht im Sinne der Gewaltprävention.»
Empathie sei etwas äusserst Komplexes, das gerade auch über Konflikte gefördert werde. «Mit einem Baby geht das nicht.» Ähnlich sieht das das auch der Zürcher Psychotherapeut Robin Mindell. «Auf den ersten Blick finde ich das Programm eher bedenklich: Kinder sollten Empathie unter Gleichaltrigen lernen.»
Schulleitung ahnungslos
Die Präsentation des Programms sorgte gestern im Sihlfeld-Schulhaus für einen regelrechten Auflauf von Medienleuten und andersweitig Interessierten. Dumm nur: Die Schulleitung hatte erst am Vorabend erfahren, dass in ihren Räumen überhaupt eine solche Veranstaltung stattfindet - ebenso wie Myrta Studer, Präsidentin der zuständigen Kreisschulpflege Limmattal. Die Lehrerin sei direkt von der Pädagogischen Hochschule angefragt worden, ob sie eine Lektion zur Verfügung stelle. «Sie hat dann zugesagt, obwohl so etwas über mich laufen müsste.» Sanktionen habe die «sehr seriöse Lehrerin» aber nicht zu befürchten