Basel«Frage der Verwahrung steht im Raum»
Gewaltdelikte, versuchte vorsätzliche Tötung, Drogenmissbrauch und weitere Delikte. Die Gefahr, die vom mutmasslichen Mörder ausging, war bekannt. Gerichtspsychiater Frank Urbaniok ordnet den Fall ein.
Darum gehts
Am 15. August 2021 wurde in Basel ein 28-jähriger Mann während eines Nachtflohmarkts auf dem Lysbüchelareal durch eine Stichwaffe getötet.
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft offenbart ein langes Vorstrafenregister des Beschuldigten.
Nur drei Wochen zuvor hatte der Beschuldigte in Zürich im Hinterhof einer Bar einen Mann niedergeschlagen und schwer verletzt.
Gerichtspsychiater Frank Urbaniok ordnet ein, wie es zur Tat kommen konnte, obwohl das Gefahrenpotential des Täters bekannt war.
Auf dem Basler Lysbüchel-Areal wurde am 15. August 2021 ein 28-Jähriger bei einer Auseinandersetzung mit einer Stichwaffe getötet. Die Anklage lautet auf Mord. Die Anklageschrift, die 20 Minuten vorliegt, offenbart ein langes Sündenregister des mutmasslichen Mörders. Er wurde mehrfach wegen teils schweren Gewaltdelikten verurteilt. Im Mai 2019 wurde er wegen versuchter vorsätzlicher Tötung und weiterer Delikte noch unter Jugendstrafrecht zu 18 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Nach seiner Entlassung im März 2021 konsumierte er laut der Anklageschrift exzessiv Alkohol und Kokain und verabreichte sich anabole Steroide. Nur drei Wochen vor der Tat auf dem Lysbüchel-Areal hatte der Beschuldigte in Zürich im Hinterhof einer Bar einen Mann niedergeschlagen und schwer verletzt. Der mutmassliche Täter kam allerdings davon und wurde erst nach dem Tötungsdelikt auf dem Basler Lysbüchel-Areal festgenommen.
Dass es dazu kommen konnte, dass der Beschuldigte trotz des einschlägigen Vorstrafenregisters nicht aufgehalten werden konnte, wirft Fragen auf. Der bekannte Gerichtspsychiater Frank Urbaniok ordnet ein.
Der Beschuldigte war schon früher wiederholt äusserst gewalttätig. Überrascht es Sie, dass er nach der Entlassung aus dem Massnahmenzentrum Uitikon sofort wieder gewalttätig wurde und schliesslich gar einen Menschen getötet hat?
Frank Urbaniok: Jugendliches Alter kann bei schweren Gewalttaten zweierlei bedeuten. Bei manchen Tätern gibt es gute Erfolgsaussichten, weil das Verhalten in der Persönlichkeit aufgrund des jugendlichen Alters noch nicht verfestigt ist. Bei einer anderen Gruppe ist es genau umgekehrt: Der frühe Beginn der Kriminalität ist dann genau eine Folge einer in der Persönlichkeit stark verankerten Gefährlichkeit. Es ist sehr wichtig, beide Gruppen zu unterscheiden. Der Beschuldigte dürfte zur zweiten Gruppe gehören.
Hat das Jugendstrafrecht ein Problem mit schweren Gewalttätern?
Ja. Zum Teil wird zu wenig zwischen den beiden erwähnten Gruppen unterschieden und deswegen zu lange zugewartet. Schwere Jugendkriminalität muss konsequent bekämpft werden und hier braucht es vielleicht auch gesetzliche Anpassungen.
Hätte man das Gefahrenpotential beim Beschuldigten nicht spätestens im Rahmen der ambulanten Therapie, der er unterzogen wurde, erkennen müssen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen?
Risikobeurteilungen sind ein integraler Bestandteil der spezialisierten Therapien für Straftäter. So wie ich die Arbeit des Massnahmenzentrums kenne, würde es mich wundern, wenn dort die Problematik des Täters nicht erkannt worden wäre. Eine andere Frage ist, welche rechtlichen Möglichkeiten, zum Beispiel Auflagen, nach der Entlassung noch vorhanden waren und was tatsächlich umgesetzt wurde.
Nebst der Gewaltproblematik fällt auch der exzessive Drogenkonsum beim Beschuldigten auf. Inwiefern wirkt dies auf sein aggressives Verhalten und seine Steuerungsfähigkeit?
Das ist vermutlich ein Faktor, der zusätzlich Hemmschwellen verringert hat. Berücksichtigt man aber die Vorgeschichte und die Art der Delikte, dann ist das Hauptproblem die Persönlichkeit des Täters, wie die Identifikation mit Gewalt, eine leichte Auslösbarkeit von schwerster Gewalt und das Mitführen und Einsatz eines Messers.
Angesichts der Täterbiografie stellt sich unweigerlich die Frage, ob diese Tat vermeidbar gewesen wäre?
Diese Frage stellt sich. Um sie seriös zu beantworten, müssen alle Fakten auf den Tisch und die offenen Fragen mit kühlem Kopf analysiert werden.
Was sind die wichtigsten Fragen?
Zum Beispiel wie wurde die Gefährlichkeit des Täters eingeschätzt? Welche Massnahmen wurden ergriffen? Gab es Auflagen, Drogenkontrollen, Überwachung? Gab es Hindernisse, zum Beispiel rechtliche, bei der Umsetzung von Massnahmen?
Wäre in diesem Fall eine ordentliche Verwahrung für den Beschuldigten angezeigt oder gar zwingend?
Angesichts der schweren Delikte, der hohen Gewaltbereitschaft und der Wirkungslosigkeit bisheriger Massnahmen steht diese Frage im Raum.
Revolutionär des Justizvollzugs
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche
Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein
Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer
LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133
Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Beratungsstellen für gewaltausübende Personen
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