BaselGrundlos zugeschlagen – Mittäter soll laufen gelassen werden
Beim Lysbüchel-Mord war ein Kollege des Beschuldigten mindestens mit einer Tätlichkeit am Tatgeschehen beteiligt. Trotzdem möchte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen ihn einstellen.
Darum gehts
Am 15. August 2021 wurde auf dem Basler Lysbüchel-Areal ein 28-Jähriger Opfer eines Tötungsdelikts.
Der Haupttäter wurde inzwischen wegen Mordes angeklagt. Am Anfang der tödlichen Szene stand aber sein Kollege.
Die Staatsanwaltschaft möchte das Verfahren gegen den mutmasslichen Mittäter aber einstellen, wogegen sich die Mutter des Verstorbenen wehrt.
In einer Einvernahme vom 4. November 2021 gab der 24-Jährige zu, dem späteren Mordopfer grundlos eine Ohrfeige geschlagen zu haben. «Es hätte nicht sein müssen», gab er zu Protokoll. Damit nicht genug: Das Messer, mit dem sein Kollege kurz darauf den Mord begangen haben soll, stammte ebenfalls von ihm. In der Einvernahme äussert er dann noch viel Selbstmitleid. Er sei schockiert über den Vorfall in Basel. «Für mich ist es nicht einfach, mit diesem zu leben», sagt er. Er fühle sich auch wie ein Opfer.
Dabei hat er strafrechtlich bis jetzt nichts zu befürchten, obschon er am Ausgangspunkt des Tötungsdelikts steht. Die Basler Staatsanwaltschaft kündige an, sie wolle das Verfahren gegen ihn einstellen. Dagegen wehren sich die Mutter des Mordopfers und ihr Anwalt bis heute. Erst Ende August hiess das Appellationsgericht eine Beschwerde gut, die der Privatklägerschaft nun vollständige Einsicht in die Akten sowie Daten der Mobiltelefone der Beschuldigten gibt. Damit erhielten sie auch eine neue Frist zur Einreichung von Beweisanträgen. Ein Etappensieg.
Die Strafuntersuchung sei nicht ergebnisoffen geführt worden. In der Person des mutmasslichen Haupttäters sei rasch ein Schuldiger gefunden worden, sodass nicht mehr unvoreingenommen in alle Richtungen ermittelt worden sei, wirft die Privatklägerin der Ermittlungsbehörde vor.
Keinerlei Tatbeitrag ausser der Ohrfeige
Als die Staatsanwaltschaft ein Rechtshilfeersuchen an die USA stellte, weil sie die Standortdaten der iPhones von beiden auswerten wollte, tönte es noch ganz anders. Da war der Kollege des Mordangeklagten noch «aktiv in die Tat involviert», wie es im Ersuchen heisst. Ausserdem war der 24-Jährige bereits drei Wochen zuvor mit dem Mordangeklagten unterwegs, als sein Kollege im Hinterhof einer Bar an der Dienerstrasse in Zürich einen jungen Mann lebensgefährlich verletzte. Ob er bei der Tat anwesend war, ist unklar. In diesem Fall wird er als Auskunftsperson geführt.
Was den Mord betrifft, kam die Staatsanwaltschaft bis jetzt zum Schluss, dass ihm ausser der Ohrfeige «keinerlei Tatbeitrag nachgewiesen werden kann». Dem widerspricht die Mutter des Verstorbenen. «Es liegen zahlreiche Hinweise vor, dass er einiges mehr zum Unheil beigetragen hat», sagt sie. Dabei stützt sie sich nicht zuletzt auf Aussagen des Hauptbeschuldigten. Dieser sagte in einer Einvernahme im März 2022, dass sein Kollege aggressiv gewesen sei und jemanden verprügeln wollte. «Ich sah, wie er dem Verstorbenen eine Faust gegeben hat.»
Bis jetzt wurden damals anwesende Personen nicht als Zeugen befragt. Sie seien lediglich unmittelbar nach der Tat von Kriminalbeamten befragt worden, die zu dem Zeitpunkt noch kaum über Ermittlungsergebnisse verfügten. Der Anwalt der Privatklägerin beantragte bereits mehrfach deren Befragung. Insbesondere ein Zeuge könne detaillierte Angaben zum Tatgeschehen machen. Er müsse deshalb zu den Handlungen und dem Verhalten des mutmasslichen Mittäters befragt werden.
Zeuge sah einen zweiten Schlag
Aus den Ermittlungsakten geht weiter hervor, dass es schon circa 20 Minuten vor dem Tötungsdelikt zu einer Tätlichkeit beim Lido auf dem Lysbüchel-Areal gekommen war. Der mutmassliche Mörder schlug dort gemäss Aussagen einer Zeugin unvermittelt einen Mann zu Boden. «Die beiden Typen liefen daraufhin in unterschiedliche Richtungen davon», so die Zeugin. Sie wollte daraufhin nach Hause und sah Blaulicht, als sie das Areal mit dem Velo verlassen wollte.
An der Elsässerstrasse traf sie auf einen Kollegen, der völlig unter Schock stand. Er wurde unmittelbar vorher Zeuge des Mordes. Gegenüber der Mutter des Verstorbenen schilderte er das Tatgeschehen später detailliert und belastete dabei auch den Mittäter, der noch ein zweites Mal zugeschlagen habe, als der Angegriffene schon am Boden lag. Das könnte den Tatbestand des Angriffs erfüllen, den die Staatsanwaltschaft bis jetzt nicht in Betracht gezogen hat.
Das sagt die Staatsanwaltschaft
Die Basler Staatsanwaltschaft äussert sich nur sehr zurückhaltend und allgemein zu den Vorwürfen der Privatklägerin, weil es sich um ein laufendes Verfahren handelt. «Ganz allgemein ist es aber so, dass die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechend mutmassliche Straftaten unabhängig, ergebnisoffen und in alle Richtungen ermittelt und untersucht», teilt Sprecher Martin Schütz auf Anfrage mit. Dabei müsse die Verfahrensleitung Entscheide fällen. «Wenn die Parteien mit diesen Entscheiden nicht einverstanden sind, können sie diese – wenn vom Gesetzgeber vorgesehen – von einer übergeordneten Instanz überprüfen lassen», so Schütz weiter.
Trauerst du oder trauert jemand, den du kennst?
Hier findest du Hilfe:
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Seelsorge.net, Angebot der reformierten und katholischen Kirchen
Muslimische Seelsorge, Tel. 043 205 21 29
Jüdische Fürsorge, info@vsjf.ch
Lifewith.ch, für betroffene Geschwister
Verein Familientrauerbegleitung.ch
Verein Regenbogen Schweiz, Hilfe für trauernde Familien
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Pro Senectute, Beratung älterer Menschen in schwierigen Lebenssituationen
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