Einsam und abgezocktBauern werden zunehmend sitzen gelassen
Scheidungen, Burnouts, Suizidgedanken: Das Sorgentelefon für Bauern läuft heiss. Nun will der Bauernverband Massnahmen ergreifen.
- von
- D. Pomper
365 Tage im Jahr arbeiten, kaum Ferien, wenig Zeit für die Partnerschaft. Viele Bäuerinnen haben genug vom harten Leben auf dem Hof und verlassen ihre Männer. Silvia Hohl vom Landwirtschaftlichen Zentrum SG leitet die Erfahrungsgruppe für getrennt lebende oder geschiedene Bäuerinnen in der Ostschweiz. Sie schätzt, dass sich die Anzahl Scheidungen von Bauernehepaaren in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat.
«Viele Bäuerinnen zwischen vierzig und fünfzig haben genug», sagt Hohl. Beide Partner hätten jahrelang sehr streng gearbeitet und dabei auf vieles verzichtet. Häufig gäbe es zudem Konflikte mit den Schwiegereltern, die ebenfalls auf dem Hof leben. Hohl: «Da viele Bäuerinnen heutzutage eine Erstausbildung abgeschlossen haben, wagen sie den Schritt in die Eigenständigkeit eher, vor allem wenn die Kinder ausgezogen sind.»
Einsame Bauern werden abgezockt
Zurück bleiben einsame Landwirte. Kein Wunder läuft das Sorgentelefon für Bauern heiss. «Es wird je länger je schlimmer», sagt eine Beraterin des Zentralschweizer Projekts «Offeni Tür i de Not», die anonym bleiben will. Bei rund der Hälfte der Anrufe handle es sich um alleinstehende Bauern mit Liebesproblemen. Problematisch sei vor allem der Generationenkonflikt. «Junge Bäuerinnen sind selbstbewusster und lassen sich nicht mehr wie früher von der Schwiegermutter herumkommandieren.»
Ausserdem arbeiteten viele Paare am Limit, Zeit für die Partnerschaft bleibe wenig. Dennoch staune sie immer wieder, wie schnell die Frauen die Flinte ins Korn werfen würden. Mit schlimmen Folgen: In vielen Bauernbetrieben ist die Frau neben der Arbeit auf dem Hof auch für die Buchhaltung und Administration zuständig. Verlässt sie ihren Mann, bedeutet das für ihn nicht nur mehr Arbeit, sondern nicht selten auch der finanzielle Ruin.
Es würden sich auch zunehmend verzweifelte Bauern melden, die von Frauen aus dem Ausland abgezockt wurden. In einem Fall habe sich ein Bauer gemeldet, der noch immer auf die Rückkehr der Ausländerin hoffe, der er 6000 Franken für deren Zahnprobleme gegeben habe, bestätigt die Beraterin des Luzerner Bauernverband einen Bericht der «Zentralschweiz am Sonntag». In einem anderen Fall hätte sich eine Frau aus dem Osten aus dem Staub gemacht, nachdem der Landwirt ihre kostspielige Ausbildung finanziert hatte. Man habe ihn an einen Juristen verwiesen.
Soziale Probleme werden Thema bei künftiger Agrarpolitik sein
Von der Frau verlassen, mit Arbeit eingedeckt und finanziell angeschlagen – das bleibt nicht ohne Folgen. Der Präsident des Schweizerischen Bauernverbandes, Markus Ritter, spricht von einer Zunahme von Burn Out-Fällen unter Landwirten. Statistisch erfasst werden diese Fälle allerdings nicht. In den letzten Jahren sei es auch immer wieder zu Suizidfällen gekommen. «Wir sind uns bewusst, dass es im sozialen Bereich zunehmend Schwierigkeiten gibt und wollen handeln», sagt CVP-Nationalrat Ritter.
Am kommenden Donnerstag wird der Vorstand des Bauernverbandes die Strategie für die Agrarpolitik 2018-21 beraten. Dabei werden die neuen sozialen Herausforderungen eines der Kernthemen sein. Eine wichtige Massnahme ist es laut Ritter, diese Themen vermehrt in der Ausbildung der Bauern aufzugreifen und damit ins Bewusstsein zu bringen. «Den Bauern muss frühzeitig aufgezeigt werden, wie sie den Betrieb organisieren können, so, dass auch Zeit für Freizeit und ein gesellschaftliches Leben bleibt.» Nur so können Bauern auch den notwendigen Ausgleich finden. Der Direktor des Bauernverbandes Jacques Bourgeois ergänzt: «Gelingt es, die wirtschaftliche Lage der Bauern zu verbessern, dann wäre automatisch auch ihre soziale Gesundheit weniger gefährdet.»