Militärpsychologe: «Befehle zu schreien, kommt nicht mehr gut an»

Aktualisiert

Militärpsychologe«Befehle zu schreien, kommt nicht mehr gut an»

Mehr Schlaf oder Marsch in Turnschuhen: Ein Psychologe erklärt, warum das die Rekrutenschule nicht zum «Spassverein» macht.

von
P. Michel
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Eine Anpassung der Rekrutenschule betrifft die Essenspause: Dafür haben die Rekruten nun mehr Zeit.

Eine Anpassung der Rekrutenschule betrifft die Essenspause: Dafür haben die Rekruten nun mehr Zeit.

Keystone/Gaetan Bally
Ebenfalls wird auch ein Fokus auf die «menschenorientierte Führung» gelegt. Das heisst: Weniger Drill, dafür mehr «Sinnvermittlung» der Aufgaben.

Ebenfalls wird auch ein Fokus auf die «menschenorientierte Führung» gelegt. Das heisst: Weniger Drill, dafür mehr «Sinnvermittlung» der Aufgaben.

Keystone/Christian Beutler
Die Rekruten haben nun auch die Möglichkeit, in den ersten Wochen der Rekrutenschule auf ziviles Schuhwerk wie Turnschuhe auszuweichen

Die Rekruten haben nun auch die Möglichkeit, in den ersten Wochen der Rekrutenschule auf ziviles Schuhwerk wie Turnschuhe auszuweichen

Keystone/Martin Ruetschi

Herr Annen, warum braucht es mehr Freizeit, «menschenorientierte Führung» und Märsche in Turnschuhen in der Rekrutenschule?

Die Jugendlichen erwarten heute von der Armee, dass ihnen der Sinn der Tätigkeit aufgezeigt wird. Auch ein Lernender akzeptiert heute nicht mehr, wenn der Lehrmeister nicht erklärt, warum jetzt ein Arbeitsschritt nötig ist. Einfach Befehle zu schreien, kommt nicht gut an. Wir müssen den Rekruten erläutern, warum sie etwas tun oder warum es eben Momente gibt, in denen Wartezeiten unausweichlich sind. Da ist das Kader gefordert. Einige junge Offiziere denken kurz nach ihrer Ausbildung: ‹Jetzt zeigen wir den Jungen, was Militär ist.› Das ist zwar nachvollziehbar, aber der falsche Weg. Beim Programm, das nun in der ersten Rekrutenschule 2018 umgesetzt wurde, geht es darum, einen sanfteren Einstieg zu schaffen. Neben einer Führung mit Sinnvermittlung und ruhigerem Umgangston sind auch mehr Freizeit und die Jokertage ein Motivationsfaktor.

Haben Sie dieses Jahr die Rekrutenschule absolviert und möchten von Ihren Erfahrungen erzählen? Dann melden Sie sich.

Wie wichtig ist die zusätzliche Freizeit für die Motivation der Rekruten?

Die Jugendlichen kommen aus dem zivilen Leben und können in der RS nicht komplett ihre Bedürfnisse ablegen. Sie wollen in den sozialen Netzwerken mit ihrem Umfeld in Kontakt bleiben. Dazu dient beispielsweise die zusätzliche Freizeit oder der Ausgang ab der ersten RS-Woche. Die Armee hat zwar einen klar definierten Auftrag. Da sie aber ihr Personal aus Zivilisten rekrutiert, kann sich nicht eine Gegenwelt bilden. Sie muss sich dem gesellschaftlichen Wandel anpassen.

Da drängen sich Begriffe wie «Wellness-RS» oder «Softie-RS» auf.

Keinesfalls. Die Massnahmen sind wissenschaftlich abgestützt. Die Erfahrungen zeigen, dass jene Rekruten, die mit der Methode des sanfteren Einstiegs begonnen haben, nach elf Wochen genauso leistungsfähig sind wie ihre Kollegen, die im alten Modell angefangen haben. Zudem sind sie weniger oft verletzt und psychisch fitter. Für zusätzliche Motivation und positiv auf die Befindlichkeit wirkt sich der zusätzliche Schlaf aus. Wer von Wellness spricht, hängt einer veralteten Vorstellung der Armee nach. Die Armee muss ihre Rekruten so ausbilden, dass sie ihre Aufträge erfüllen können. Und wie die ersten Erfolge zeigen, sind diese Massnahmen dafür geeignet.

Es besteht doch die Gefahr, dass die RS zum Ferienlager wird.

Es ist keineswegs das Ziel, dass die Armee zum Spassverein wird, wo es alle miteinander gut haben. Der Auftrag der Armee hat sich ja nicht verändert. Und auch die Rekruten wollen ihre Ziele erreichen und sind motivierter, wenn sie individuell und im Team Fortschritte machen und Erfolge erzielen. Dabei kann der korrekt eingesetzte Drill, der die Regeln des menschlichen Umgangs einbezieht und sich nicht auf Schikane stützt, gute Resultate in der Ausbildung erzielen.

Hubert Annen ist Dozent für Militärpsychologie und Militärpädagogik an der Militärakademie der ETH Zürich.

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