Inkonsequentes Verhalten«Beim Fliegen ist der Verzicht am grössten»
Klimafreundliches Verhalten wird immer salonfähiger, doch aufs Fliegen verzichten die wenigsten. Ein Experte sagt, wieso es beim Fliegen besonders schwerfällt, konsequent zu sein.
- von
- jk
Herr Grosse Ruse*, wieso fliegt jemand, der eigentlich sehr umweltbewusst lebt, regelmässig in die Ferien?
Umwelt- und Klimaschutz haben viele Facetten und meist sehen wir nur einen Teil davon. Nehmen wir an, ich habe mein Auto verkauft und fahre nur noch mit dem Velo zur Arbeit. Für weitere Strecken nehme ich den ÖV. Ich sage mir also, dass ich mich sehr klimabewusst verhalte. Dass ich zweimal pro Jahr in die Ferien fliege, blende ich aus. Das hat nichts mit bösem Willen zu tun und ist uns oft nicht mal bewusst. Wir neigen dazu, unser Selbstbild so zu gestalten, dass es positiv aussieht.
Wieso können aber auch Personen, die sich an vorderster Front für den Klimaschutz einsetzen, die Fliegerei nicht lassen?
Leute, die sich auch politisch aktiv für den Klimaschutz einsetzen, wissen erst recht, dass das Fliegen nicht einfach ein beliebiger Teil des Klimaproblems ist, sondern ein sehr zentraler. Aber auch Wissen schützt nicht vor Verdrängung für ein positives Selbstbild. Vor allem lässt sich die Fliegerei nicht so leicht ersetzen wie etwa ein Auto. Hier kann ich auf ein Elektroauto umsteigen, ohne dabei auf etwas verzichten zu müssen. Wenn ich im Winter jedoch nur eine Woche Ferien habe und unbedingt an die Wärme will, geht das kaum anders als mit dem Flugzeug.
Das heisst, beim Fliegen ist der Verzicht am grössten?
Ja, das empfinde ich so. Deshalb ist die Flugdiskussion auch die emotionalste im ganzen Klimadiskurs. Hat man das Bedürfnis, entfernte Kulturen kennenzulernen oder bestimmte Orte am anderen Ende der Welt zu besuchen, ist die Flugreise meist die einzige Option. Solche Bedürfnisse lassen sich ohne die Fliegerei nur mit grossem Aufwand befriedigen. Beim ebenfalls klimaschädlichen Fleischkonsum hingegen weiss heute fast jeder, dass ein Menu ohne Fleisch auch lecker und gesund sein kann. Zudem gibt es hier immer bessere Ersatzprodukte.
Also hat es für mich persönlich gar keinen Nutzen, wenn ich aufs Fliegen verzichte?
Doch, ich tue dann etwas fürs Klima sowie für mein ökologisches Selbstbild und kann mich deshalb gut fühlen. Aber diesen Nutzen fürs Klima können wir mit unseren Sinnesorganen nicht direkt wahrnehmen. CO2-Emissionen lassen sich nicht riechen oder sehen, auch die Folgen des CO2-Ausstoss werden nicht direkt am Flughafen sichtbar. Bilder von entfernten Feriendestinationen, die wir verpassen, wenn wir künftig aufs Fliegen verzichten würden, sehen wir jedoch täglich. Es hilft, die Perspektive zu verändern. Auch wenn ich als klimabewusste Person fliege, verzichte ich auf einiges: auf eine fluglärm-freie Gesellschaft, oft auf ein wirklich entspanntes Reisen und auf ein gutes Selbstbild.
Was raten Sie jemandem, der sich gern ökologischer verhalten würde, aber beim Fliegen immer wieder schwach wird?
Als Erstes könnte man seine eigenen Bedürfnisse hinterfragen. Muss es wirklich Bali sein? Oder kann ich nicht auch entspannt mit dem Zug nach Frankreich reisen, um dem Alltag zu entkommen? Zudem sollte man sich bewusst sein, dass der Platz im Flugzeug nicht einfach nur leer bleibt. Je weniger die Leute fliegen, desto weniger heben die Flugzeuge ab. Mit dem Verzicht kann man also durchaus etwas bewirken.
Bedingt es nicht einen sehr starken Willen, auf die Bali-Reise zu verzichten, wenn das ganze Umfeld um die halbe Welt jettet?
Wenn der Bali-Flug auch noch günstiger ist als der Zug nach Rom oder Paris, wird es tatsächlich schwierig. Die Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen. Es kann nicht sein, dass wir für umweltfreundliches Verhalten auch noch bestraft werden. Hier würde eine faire Flugticket-Abgabe helfen. Und natürlich hilft das gute Gefühl, das Richtige zu tun – vor allem auch für die Generationen nach uns.
*Elmar Grosse Ruse ist Umweltpsychologe und Verantwortlicher für Klima und Energie beim WWF Schweiz.