Coronavirus-Mutationen: «Bereits riskante Situationen werden durch die britische Variante noch riskanter»

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Coronavirus-Mutationen«Bereits riskante Situationen werden durch die britische Variante noch riskanter»

Bis zu 70 Prozent ansteckender soll das mutierte Virus aus Grossbritannien sein. Doch wie kommt man überhaupt auf diesen Wert und was bedeutet das für unseren Alltag?

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In London und Teilen Südenglands steht das Leben weitgehend still. 

In London und Teilen Südenglands steht das Leben weitgehend still.

AFP via Getty Images
Grund dafür ist eine neue Variante des Coronavirus Sars-CoV-2, die von Experten aus mehreren Gründen als potenziell beunruhigend gewertet wird. 

Grund dafür ist eine neue Variante des Coronavirus Sars-CoV-2, die von Experten aus mehreren Gründen als potenziell beunruhigend gewertet wird.

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Angaben des britischen Premierministers Boris Johnson zufolge soll es bis zu 70 Prozent ansteckender sein. Allerdings handelt es sich bei diesem bisher nur um eine Hypothese, die aktuell mit Hochdruck geprüft werde, wie Adrian Egli, Fachleiter Bakteriologie / Mikrobiologie am Universitätsspital Basel sagt.

Angaben des britischen Premierministers Boris Johnson zufolge soll es bis zu 70 Prozent ansteckender sein. Allerdings handelt es sich bei diesem bisher nur um eine Hypothese, die aktuell mit Hochdruck geprüft werde, wie Adrian Egli, Fachleiter Bakteriologie / Mikrobiologie am Universitätsspital Basel sagt.

Adrian Egli/Universitätsspital Basel

Darum gehts

  • In Grossbritannien breitet sich eine Variante des Coronavirus aus, die deutlich ansteckender sein soll als die bei uns vorherrschenden.

  • Wie schafft das Virus das?

  • Und was bedeutet das für unser Leben?

  • Zwei Experten geben Auskunft.

Knapp ein Jahr nach dem ersten Nachweis des Coronavirus Sars-CoV-2 sorgt eine neue Variante des Erregers aus Grossbritannien für Aufsehen: Sie soll laut dem britischen Premierminister Boris Johnson «bis zu 70 Prozent ansteckender» sein als jene Varianten, mit denen wir es bisher zu tun haben. Auch die Europäische Gesundheitsbehörde ECDC nennt diesen Wert aufgrund britischer Daten.

Allerdings handelt es sich bei diesem bisher nur um eine Hypothese, die aktuell mit Hochdruck geprüft werde, wie Adrian Egli, Fachleiter Bakteriologie/Mikrobiologie am Universitätsspital Basel sagt. Für das starke Vorkommen für die VUI-202012/01 genannte Variante könnte es theoretisch auch andere Erklärungen geben: etwa, dass weniger andere Virus-Varianten nach Grossbritannien gekommen sind, mit denen VUI-202012/01 konkurrieren musste, und sie sich deshalb durchgesetzt hat.

«Laut mathematischen Modellen scheinen aber Veränderungen am Virus selbst dafür verantwortlich zu sein», so Egli. Diesen zufolge könnte die neue Variante den R-Wert, also die Anzahl weiterer Personen, die ein Infizierter ansteckt, erhöhen. Zudem weist VUI-202012/01 mehrere Mutationen am Spike-Protein auf, die ihm dazu verhelfen, sich auszubreiten. Eine davon ist die Mutation N501Y, die sich auch auf der in Südafrika nachgewiesenen Sars-CoV-2-Variante befindet. Von ihr weiss man, dass sie dafür sorgt, dass sich der Erreger besser an menschliche Zellen binden kann.

Wie erkennt man Mutationen?

Dies geschieht mittels der sogenannten Sequenzierung, die regelmässig durchgeführt wird. Dafür wird die gewonnene Erbgutinformation der Viren (die sogenannte RNA) mit dem anderer bekannter und bereits sequenzierter Varianten abgeglichen. «Die Erbgutinformation von Sars-CoV-2 – sozusagen seine Bauanleitung – umfasst etwa 30’000 genetische Buchstaben», sagt Egli. Jeder einzelne davon werde im Labor mit Bioinformatikern aufgeschlüsselt und mit bereits vorhandenen Daten verglichen. «Man prüft, ob die Buchstaben übereinstimmen oder anders sind», so Egli weiter. «Ist Letzteres der Fall, liegt eine Mutation vor.»

Was eine solche im Einzelfall bewirkt, muss dann untersucht werden, erklärt Egli: «Sie können sich das so wie bei einem Ikea-Schrank vorstellen: Die einen bauen ihn entsprechend der Bauanleitung auf, andere machen sich auf gut Glück ans Werk: Da kann es vorkommen, dass er dann eine Schraube über hat.» Das sei dann ein mutierter Schrank, der dann weniger gut hält. «Möglicherweise ergibt sich durch die Abänderung aber auch ein Vorteil, weil er zum Beispiel schöner aussieht.»

Warum kann man dann nicht sicher sagen, ob die neue Variante schon in der Schweiz ist?

Dies ist auf die geringe Grösse der hierzulande untersuchten Stichproben zurückzuführen, sagt Emma Hodcroft, Epidemiologin an den Universitäten Basel und Bern. «Es werden monatlich maximal nur 500 zufällig ausgewählte Proben sequenziert – und das bei rund 30’000 Neuinfektionen im selben Zeitraum.» Sie hält es jedoch nicht für sinnvoll, jede positive Probe zu sequenzieren: «Das wäre viel zu zeitaufwendig, arbeitsintensiv und teuer.» Stattdessen schlägt sie vor, die bisherigen PCR-Tests dahingehend zu modifizieren, dass sie nicht nur Corona-positive Personen identifiziert, sondern auch Träger der britischen Variante. «Dann müsste man nur noch deren Proben sequenzieren, um wirklich sicher zu sein.»

Warum mutieren Viren überhaupt?

Viren mutieren regelmässig. Das Coronavirus baut etwa alle zwei Wochen eine Veränderung ein. Dabei handelt es sich um zufällige Mutationen. «Um beim Schrank-Beispiel zu bleiben: Wenn Sie 100 Leute den Schrank aufbauen lassen, dann gibt es eine gewisse Anzahl von Leuten, die den Schrank nicht richtig zusammenbauen. Und so ist das, wenn sich Viren vermehren, dann gibt es ab und zu Replikationsfehler», veranschaulicht Egli.

Gleichzeitig sind Viren aber auch in der Lage, sich gezielt zu verändern. Dafür gibt es laut Egli wiederum zwei Gründe: zum einen den sogenannten Immundruck, der vom menschlichen Immunsystem aufgebaut wird. Dieses versucht, das Virus zu bekämpfen. Um nicht auszusterben, muss das Virus sich diesem entziehen. Das macht es durch Veränderung. «Das ist etwa bei der Influenza der Fall, bei der sich das Virus jedes Jahr verändert, sodass wir jedes Jahr einen neuen Impfstoff brauchen.» Egli hält es für möglich, dass das auch bei Sars-CoV-2 der Fall sein wird.

Zum anderen gibt es den sogenannten Diagnostikdruck. Darunter versteht man, dass das Virus durch Mutation alles daran setzt, nicht mehr bei Tests erkannt zu werden. «Das ist, als würden Sie beim Autofahren in der Nacht das Licht abstellen», erklärt Egli. «Dann sieht Sie niemand mehr.» Für das Virus ist diese Unsichtbarkeit von Vorteil, weil es sich dann unentdeckt weiter ausbreiten kann. Um das zu verhindern, sei in der Schweiz der Grossteil der PCR-Tests so codiert, dass er mehrere markante Stellen von Sars-CoV-2 überprüft und Veränderungen rechtzeitig wahrnimmt, bevor das Virus abtauchen kann.

Was passiert, wenn man nicht so vorsichtig ist, zeigt ein Blick auf Schweden vor 15 Jahren: Damals mutierte das Chlamydien-Bakterium so, dass es bei den gängigen Tests nicht mehr nachgewiesen werden konnte. Während die Behörden also dachten, ihre Präventionsarbeit hätte funktioniert, grassierte das Bakterium ungebremst weiter. «Erreger sind wirklich einfallsreich, wenn es darum geht, ihr Überleben zu sichern», so Egli.

Sollte sich bestätigen, dass die britische Variante ansteckender ist und in der Schweiz zirkuliert: Was bedeutet das für unser Leben?

Die bereits empfohlenen Schutzmassnahmen (siehe Box) werden noch bedeutender sein, weil riskante Situationen aufgrund der besseren Übertragbarkeit des Virus noch riskanter werden, da sind sich Hodcroft und Egli einig. Vor allem, da man wahrscheinlich nicht alle Träger der neuen Variante ausfindig machen kann. Es gelte alles, was die Fallzahlen ansteigen lassen könnte, zu verhindern. «Denn mehr Infizierte bedeutet mehr Hospitalisationen und mehr Tote», so Hodcroft. Deshalb sollte man sicherstellen, dass man sich an so viele Massnahmen wie möglich hält. «Die letzten Monate waren hart, und wir alle haben die Nase voll von diesen Einschränkungen. Darum sollten wir alles dafür tun, dass sie nicht noch weiter verschärft werden müssen.»

Egli ergänzt: «Es ist in unserem Interesse: Wenn wir schnell wieder zurück zu mehr Normalität wollen, müssen wir uns aus der Übertragungskette rausnehmen – sei es durch zu Hause bleiben oder indem wir uns impfen lassen.»

Was heisst AHA-L?

Die AHA-L-Regel bezeichnet – vor allem in Deutschland – die zur Eindämmung der Corona-Pandemie empfohlene Kombination der Vorsorgemassnahmen. Mitunter wird die Regel noch um ein C ergänzt. Dafür stehen die Buchstaben:

A – Abstandsregeln einhalten

H – Hygieneregeln beachten

A – (Alltags-)Maske tragen

L – Regelmässig und richtig lüften

C – Corona-Warn-App nutzen

Hast du oder jemand, den du kennst, Mühe mit der Corona-Zeit?

Hier findest du Hilfe:

BAG-Infoline Coronavirus, Tel. 058 463 00 00

Dureschnufe.ch, Plattform für psychische Gesundheit rund um Corona

Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige

Pro Juventute, Tel. 147

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