«Rassistisch und stigmatisierend» – Politikerinnen wettern gegen Stadt Bern

Publiziert

Organisierte BandenBern warnte vor Bettlern aus Osteuropa – Politikerinnen finden das «rassistisch»

Die Stadt Bern rief dazu auf, osteuropäischen Bettelnden kein Geld zu geben, weil sie Teil von organisierten Banden sein könnten. Laut Stadträtinnen ist das «stigmatisierend».

Zoé Stoller
von
Zoé Stoller
1 / 3
Weil es zahlreiche organisierte Banden gebe, rief die Stadt Bern die Bevölkerung dazu auf, osteuropäischen Bettelnden kein Geld zu geben.  

Weil es zahlreiche organisierte Banden gebe, rief die Stadt Bern die Bevölkerung dazu auf, osteuropäischen Bettelnden kein Geld zu geben.  

Kostas Maros / Tamedia AG
Lea Bill (Grünes Bündnis Bern) und Sofia Fisch (Juso Stadt Bern) bezeichnen diesen Aufruf als «rassistisch und stigmatisierend».

Lea Bill (Grünes Bündnis Bern) und Sofia Fisch (Juso Stadt Bern) bezeichnen diesen Aufruf als «rassistisch und stigmatisierend».

20min/Philip Salzmann
Die beiden fordern nun, dass die Stadt eine Studie in Auftrag gibt, in der untersucht wird, ob es sich bei den osteuropäischen Bettelnden tatsächlich um organisierte Banden handelt. 

Die beiden fordern nun, dass die Stadt eine Studie in Auftrag gibt, in der untersucht wird, ob es sich bei den osteuropäischen Bettelnden tatsächlich um organisierte Banden handelt. 

20min/Michael Scherrer

Darum gehts

Die Stadt Bern rief im Dezember dazu auf, Bettelnden aus Osteuropa kein Geld zu geben. Sie würden von hierarchisch straff organisierten Banden in die Schweiz geschleust. Das erhaltene Geld müssten die Bettlerinnen und Bettler der Bande schliesslich abgeben. «Der Kampf gegen den Menschenhandel ist ein erklärtes politisches Ziel. Die organisierte bandenmässige Bettelei ist eine Form davon und deshalb gehen wir dagegen vor», sagte Reto Nause, Sicherheitsdirektor der Stadt Bern.

Die Mitglieder des Stadtrats, Lea Bill (Grünes Bündnis Bern) und Sofia Fisch (Juso Stadt Bern), kritisieren die Aufforderung der Stadt Bern nun scharf und bezeichnen sie als «rassistische und stigmatisierende Aufrufe». Zudem reichten sie am Donnerstag zusammen mit weiteren Unterzeichnenden eine Motion dazu ein, wie das Nachrichtenportal «Hauptstadt» berichtet.

In der Motion forderten sie eine von der Stadt Bern beauftragte Studie, die aufzeigt, inwiefern der Menschenhandel bei osteuropäischen Bettelnden eine Rolle spielt. Ausserdem solle untersucht werden, wie wirksam und wie zugänglich die Angebote der Stadt Bern für Bettlerinnen und Bettler seien. «Die wiederholte Erzählung von organisierten Bettelbanden ist nicht belegt und somit stigmatisierend», schreiben die Motionäre.

«Rassistisch, weil pauschal geurteilt wird»

«Der Aufruf ist höchst problematisch, weil Betteln ein Menschenrecht und grundsätzlich erlaubt ist», sagt Bill gegenüber 20 Minuten. «Ein solcher Aufruf kann negative Auswirkungen auf alle Bettlerinnen und Bettler haben, die auf das Geld angewiesen sind. Die Bevölkerung kann ja kaum unterscheiden, wer nun zu ‹diesen Bettlerinnen und Bettlern› gehört und wer nicht.»

Zudem sei der Aufruf problematisch, weil er die Erzählung der organisierten Bettelbanden reproduziere «und diese mittlerweile mehrfach als nicht richtig belegt wurde», so Bill. «Der Aufruf ist dementsprechend auch rassistisch, weil über alle Bettlerinnen und Bettler aus Osteuropa pauschal geurteilt wird und ihnen pauschal mit Vorurteilen begegnet wird.» Laut der Stadträtin liege die Vermutung nahe, dass nicht in erster Linie organisiertes Betteln bekämpft, sondern in Armutsbekämpfung investiert werden müsse. 

Nicht auf Arbeitssuche in der Schweiz

Auch in Basel hegte man die Vermutung, dass Bettelnde aus Rumänien aus organisierten Banden stammten. Eine Befragung des SRF zeigte, dass viele der Bettelnden von der gleichen Familie sind. Befragte Personen bestritten jedoch, Teil einer organisierten Bande zu sein. Seit September 2021 ist das Betteln in Basel vollständig verboten. 

In einem Interview mit 20 Minuten sagte eine Bettlerin, sie sei in die Schweiz gekommen, um Arbeit zu suchen und versuche noch immer, einen Job zu finden. Diese Aussage beurteilte Michael Derrer, Rumänien-Kenner, als skeptisch. Er sagte: «Ich sehe dies als Ausrede, damit die Frau nicht sagen muss, dass sie nur zum Betteln in die Schweiz gekommen ist.» Er sei überzeugt, dies sei bei den meisten rumänischen Bettelnden der Fall. Weil diese Personen nirgends angemeldet seien, keinen festen Wohnsitz hätten und kaum Deutsch sprechen, sei es für sie grundsätzlich schwierig, Arbeit zu finden. 

Lebst du oder lebt jemand, den du kennst, in Armut?

Hier findest du Hilfe:

Tischlein deck dich, Lebensmittelhilfe

Bist du oder ist jemand, den du kennst, von Rassismus betroffen?

Hier findest du Hilfe:

Beratungsnetz für Rassismusopfer

GRA, Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Aktivier jetzt den Bern-Push!

Deine Meinung