Akuter Lehrermangel«Besser einen solchen Lehrer als gar keinen»
Die Schulen in der Schweiz suchen intensiv nach Lehrpersonal. Doch fündig werden längst nicht alle. Sie müssen auf Notlösungen zurückgreifen. Die möglichen Folgen: Weniger Schulstunden und Lehrer ohne Diplom.
- von
- meg

Ein nachdenklicher Beat W. Zemp.
Die 6. Klasse der Schule Maur sorgte diese Woche für Aufsehen. Mit dem Inserat «Coole Klasse sucht nette Klassenlehrerin», das im 20 Minuten geschaltet wurde, suchten die Schülerinnen und Schüler nach einer neuen Klassenlehrerin. Das Inserat ist heute Freitag erneut abgedruckt, eine nette Klassenlehrerin hat sich offenbar noch immer nicht gemeldet.
Die Schule Maur ist nicht die einzige, die unter Lehrermangel leidet. «Auf Maturitätsstufe ist der Markt völlig ausgetrocknet. Für die Fächer Mathematik und Naturwissenschaften findet sich keine Lehrperson», sagt Beat W. Zemp, Präsident des Schweizerischen Lehrerverbands. Die Schulen sehen sich bereits im Ausland nach Lehrkräften um. «Aber Deutschland und Österreich haben die gleichen Probleme», so Zemp weiter.
Klassen auflösen, Schüler verteilen
Der Lehrermangel nimmt dramatische Ausmasse an. «Viele Schulen müssen Notlösungen suchen und wohl auch zu drastischen Massnahmen greifen», ist Zemp überzeugt. Im schlimmsten Fall müssten ganze Klassen aufgelöst und die Schüler auf andere Klassen aufgeteilt werden. Diese Massnahme haben bereits einige Schulen als Notfallszenario angedroht, sollten nicht doch noch geeignete Lehrkräfte gefunden werden.
In Bülach überlegen sich die Schulleiter laut «Tages Anzeiger», Werklektionen zu streichen und die Schüler früher nach Hause zu schicken, obwohl dies gegen die Vorschriften ist. Zemp sagt: «Dass nach den Sommerferien ganze Klassen nach Hause geschickt werden, wird es nicht geben.» Die Schulpflicht ist gesetzlich verankert. Aber auch Zemp glaubt, dass nicht nur in Bülach der Stift angesetzt wird. «Als Notlösung dürften einige Schulen etwa Wahlfächer streichen.» Eine Massnahme, die von der Bildungsdirektion abgesegnet werden müsste.
500 Stellen sind nach Schätzungen des Schweizer Schulleiter Verbandes in der Deutschschweiz zurzeit noch unbesetzt. Und die Aussichten sind düster: 30 000 Lehrpersonen gehen bis 2020 in Pension. Waren vor 12 Jahren noch 20 Prozent älter als 50 Jahre, sind es jetzt bereits 35 Prozent. Und ausreichend Nachwuchs ist nicht in Sicht. «Wir müssen mehr Lehrkräfte ausbilden können und den Beruf wieder attraktiver machen», sagte Christian Aeberli, Chef der Abteilung Volksschule Kanton Aargau, der «NZZ am Sonntag». Letzteres soll vor allem durch höhere Löhne passieren. Sechs grossen Kantone wollen nun zwar etwa Quereinsteigern den Einstieg vereinfachen. Doch die Massnahme greift nicht vor Beginn der neuen Schulzeit.
Pädagogische Ausbildung, aber kein Diplom
Als Sofortmassnahmen müssten die Schulen zunächst versuchen, Wiedereinsteiger zu gewinnen oder pensionierte Lehrpersonen zum Bleiben zu überreden, findet Zemp. Das allein reicht aber bei Weitem nicht aus. Die Folge: Immer mehr Lehrpersonen werden eingestellt, die zwar eine pädagogische Ausbildung aber nicht die nötigen Fachdiplome besitzen. In der jetzigen Situation gilt laut Zemp: «Besser eine solche Lehrperson als gar keine.»
Das ganze Ausmass des Lehrermangels wird wohl erst nach den Sommerferien zu sehen sein. Klar ist Zemp schon jetzt: «Die Eltern werden die neuen Lehrpersonen speziell beobachten. Der Druck auf die Schulleitung wird daher wachsen.»