St. Gallen«Betrunkenen mussten wir schon Windeln anlegen»
Mit der Fasnacht beginnen auch die vermehrten Alkoholexzesse. Ein Arzt erzählt, was er in der Notaufnahme des Kantonsspitals St. Gallen erlebt.
- von
- tso
Die Erfahrungen von Dr. Dieter von Ow, stv. Chefarzt der zentralen Notaufnahme am Kantonsspital SG. (Video: viv/tso)
Fasnacht ausser Rand und Band: Der übermässige Alkoholkonsum an Fasnachtsfeiern führte in Eschenbach SG jüngst zu Schlägereien und Randale, wie die St. Galler Kantonspolizei in einer Mitteilung schrieb. Das Kantonsspital St. Gallen behandelt jährlich rund 260 Alkoholvergiftungen, die Fälle häufen sich besonders zu Festzeiten und am Wochenende. Gemäss Dieter von Ow, stellvertretender Chefarzt der zentralen Notfallaufnahme, dürfte die Zahl noch höher sein: «Wenn jemand zudem noch Verletzungen aufweist, was oft der Fall ist, wird er in der Notfallaufnahme unter Umständen mit einer anderen Diagnose erfasst.»
Besonders stark vertreten ist die Gruppe der 21- bis 30-Jährigen, sagt von Ow. «Allzu oft sind die Patienten auch Jugendliche.» Jeder Patient wird grundsätzlich erst auf Verletzungen untersucht und mit Flüssigkeit versorgt. Jugendliche sorgen öfters für zusätzlichen Aufwand: «Gerade bei Jugendlichen kommt oft ein ganze Clique mit, die dann ein Rambazamba in der Notfallaufnahme veranstaltet.» Da die Mitglieder dieser Cliquen oft selbst schon betrunken seien, komme es regelmässig zu Aggressionen, Beleidigungen und offener Randale. «In manchen Fällen muss die Polizei für Ordnung sorgen.» Seit an Wochenenden und zu Festzeiten ein Securitas mit Hund anwesend sei, habe sich die Situation etwas beruhigt. «Nur wenn die Patienten dann allein mit Ärzten und Pflegern sind, scheren sie gern wieder aus, sofern dazu überhaupt in der Lage sind.»
Kontrolle über Körperfunktionen total verloren
Die Bandbreite des Verhaltens reiche von sturzbetrunken aber ansprechbar bis zur Bewusstlosigkeit. Doch ab wann kann man von einer Alkoholvergiftung sprechen? «Streng genommen schon dann, wenn man dem Patienten den Alkoholkonsum von aussen anmerkt», erklärt von Ow. «Die meisten Menschen dürften also schon eine Alkoholvergiftung erlebt haben.» Gefährlich werde es, wenn der Patient nicht mehr alleine gehen könne: «Dann sollte Hilfestellung geleistet werden, weil die Verletzungsgefahr gross ist.» Todesfälle infolge Verletzungen im Rausch kämen immer wieder vor. Dass die Alkoholmenge allein tödlich sei, sei eher selten.
Dass Patienten der Magen ausgepumpt wird, ist heute kein Thema mehr: «Heute weiss man, dass der Verlauf der Vergiftung dadurch nicht gross beeinflusst wird.» Die damit verbundenen Risiken seien grösser als der Nutzen. «Windeln hingegen kamen in Einzelfällen schon zum Einsatz», so von Ow. Diese würden dann benötigt, wenn Patienten die Kontrolle über ihre Körperfunktionen verloren haben. «Der Patient wird dann überwacht, bis wir sagen können, dass sich sein Zustand nicht verschlimmert.» Infusionen hälfen, den Alkohol schneller auszuscheiden und den Körper zu hydrieren.
Jugendlichen rät der Arzt, sich eine Clique zu suchen, die auch Nicht-Trinker akzeptiert. Oder zumindest eine, die Trinken nicht als eine Art Sport ansehe. Er habe Jugendliche kennengelernt, die fast jedes Wochenende schwer betrunken sind. «Da werden Präventionsmassnahmen schwierig, denn eigentlich müssten sie beginnen, bevor es so weit ist.»
