Facebook-Terror: «Bitte diese Psychos melden!»

Aktualisiert

Facebook-Terror«Bitte diese Psychos melden!»

Auf Facebook tobt ein digitaler Bürgerkrieg zwischen Linken und Rechten. Mit Pseudo-Profilen werden Andersdenkende anonym angeschwärzt – zahlreiche Nutzer haben ihr Konto verloren.

von
Oliver Wietlisbach

Wer auf Facebook mit einem SVP-kritischen oder Islam-freundlichen Statement auffällt, wird von nationalistischen Kreisen zum Abschuss freigegeben und muss damit rechnen, dass sein Profil schon bald gesperrt wird. In der Facebook-Gruppe «Vehement gegen krankhafte Profil- und Gruppenmeldungen» haben sich rund 60 Nutzer vom rechten politischen Rand zusammengerottet. Der Name der Gruppe ist allerdings ein Täuschungsmanöver. Laut dem Insider Fabian M.* sind zahlreiche Profile selbst Fake-Profile, mit denen die Konten politischer Gegner massenhaft gemeldet werden. Aber auch in linken Kreisen werden unerwünschte Personen bei Facebook angeschwärzt.

Andersdenkende mundtot machen

Der Redaktion zugespielte Informationen mehrerer Cyber-Mobbing-Opfer (Namen der Redaktion bekannt) offenbaren tiefe Einblicke in geheime Facebook-Gruppen. Die Mitglieder verfügen teils über ein Dutzend gefälschte Accounts. «Mit Fake-Profilen werden unerwünschte Personen im Akkord aufgrund fadenscheiniger Gründe bei Facebook gemeldet», sagt Fabian M., der die Gruppen seit Längerem beobachtet.

«Gefälschtes Profil», «Gewalt» oder «pornografische Inhalte» stehen als Meldegrund beim grössten sozialen Netzwerk zur Auswahl. Das Ziel der orchestrierten Meldeflut: Andersdenkende mundtot machen. Die Logik hinter den Pseudo-Profilen ist simpel. Mit einem Konto kann ich einen anderen Nutzer ein einziges Mal melden, mit mehreren Profilen ist die Schlagkraft entsprechend grösser. Bei häufigen Klagen gegen einen Nutzer kann Facebook das Profil ohne vorherige Ankündigung deaktivieren.

Die Nutzungsbedingen des sozialen Netzwerks sprechen eine klare Sprache: Mehrere Profile derselben Person sind verboten – ebenso die Angabe einer falschen Identität. Erstellen Nutzer dennoch ein zweites Profil, etwa für ihr Haustier, schreitet Facebook in aller Regel nicht ein. Problematisch wird es, wenn Pseudo-Konten eröffnet werden, um andere zu beleidigen, zu belästigen oder gar zu bedrohen. Sogenanntes Cyber-Mobbing ist auf dem Vormarsch. 2009 kam es alleine im Kanton Zürich zu 41 Anzeigen. Im vergangenen Jahr haben die Gerichte erstmals mindestens zwei Personen wegen Drohung oder Beschimpfung auf Facebook verurteilt (20 Minuten Online berichtete).

«Gutmenschen» und «Nazis»

Als eigentlicher Katalysator für Cyber-Mobbing auf Facebook wirkte der Minarett-Diskurs. In der emotional aufgeladenen Stimmung schlossen sich Zehntausende Facebook-User Gruppen wie «Kann dieses Minarett mehr Fans als die SVP haben?» oder «Ich schäme mich für das Resultat der Minarett-Initiative!» an. Das rief alsbald die Minarett-Gegner auf den Plan, die sich in eigenen Gruppierungen formierten. Unliebsame Personen – in der Terminologie der Streithähne je nach politischer Couleur als «Gutmenschen» oder «Nazis» tituliert – wurden und werden auf Facebook mit allen Mitteln verunglimpft. «Leider werden auch persönliche Daten von Facebook-Usern missbraucht für telefonische Drohungen oder Anrufe beim Arbeitgeber», weiss Tim G.*. Auch dies sei ein Grund dafür, dass immer mehr Facebook-Nutzer unter falschem Namen agierten.

«Bitte diese Gruppe voller Psychos melden!»

«Diesem Idiot gefällt die Schweiz nicht» oder «Die nächste Person ist dran! Bitte diese Gruppe voller Psychos melden!», lauten die Aufrufe auf Facebook. Innerhalb weniger Stunden werden danach scheinbar wahllos auserkorene Opfer dutzendfach gemeldet. «Habe 80 Mal gemeldet» oder «Habe ihn mit meinen vier Profilen gemeldet», lesen sich die Kommentare der fleissigen Denunzianten. Der Melde-Grund ist oft willkürlich ausgewählt. So schreibt eine Anti-Islam-Aktivistin: «Von mir gibt es noch zehn Porno-Meldungen für diese Türkenschlampe.» Sperrt Facebook aufgrund der Meldewelle einen Account, ist die Mission erfüllt.

In der Schweiz gibt es mehrere dieser Meldegruppen, denen oft nationalistisch orientierte Personen angehören. Doch auch in linken und bürgerlichen Kreisen wird fleissig auf den Melde-Button geklickt. «Eine extreme Gruppe, die zur Sterilisation von Muslimen aufgerufen hat, wurde von Linken und Bürgerlichen gemeldet», so Fabian M. Die Gruppe wurde daraufhin von Facebook gelöscht.

«Oft sind die gleichen Personen in mehreren Gruppen aktiv», weiss Fabian M. Für ihre gefälschten Profile nutzen die Mitglieder teils Bilder von Kampfhunden, Filmstars, das SVP-Logo oder nationalistische sowie Anti-Muslim-Symbole. David H.* brüstet sich im Internet damit, auf Vorrat weit über ein Dutzend Pseudo-Profile angelegt zu haben. Auf Anfrage meint er, dass seit der Minarett-Debatte 70 Konten von ihm gesperrt worden seien wegen Meldeaufrufen von «Islamfanatikern und ihren linken Helfershelfern».

Drohung gegen CVP-Nationalrätin

Ins Visier der Melde-Aktivisten geraten auch Politiker. Die Facebook-Nutzerin Anna F.* besitzt mindestens ein Dutzend Pseudo-Profile. Ein Aufruf von ihr genügte und das Profil von CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer wurde mehrfach gemeldet. «Zwar wurde mein Konto nicht gesperrt, aber ich habe von der Aktion gehört. Ich habe von Facebook-Nutzern auch schon Drohungen erhalten», sagt Schmid-Federer auf Anfrage. Menschen, die ihr drohten, setze sie auf die Blockierliste.

Nach koordinierten Meldeaktionen bereits drei Mal gesperrt wurde das Facebook-Konto von Bettina Meyer (Name geändert). Sie hatte in der Gruppe ‹Kann dieses Minnarett mehr Fans als die SVP haben?› ihre Stimme erhoben. «Weil ich den Leuten, die rassistische Kommentare wie ‹Dreckiges Muslimschwein› geschrieben haben, den Spiegel vorgehalten habe, zog ich deren Hass auf mich.» Es seien teils Frauen und Männer in den Vierzigern und Fünfzigern und Eltern, die täglich offenbar Stunden damit verbrächten, mit Pseudo-Accounts andersdenkende User zu melden, ist sich Meyer sicher. Auch Demian S.* sagt, er habe mehrere Morddrohungen über private Facebook-Nachrichten erhalten. Es gebe auch Gruppen, die gezielt SVP-Anhänger provozieren würden, um sie wegen AGB-Verstössen bei Facebook melden zu können.

Leichtes Spiel für Fake-Profil-Nutzer

Frau Meyer bekam ihr Konto jeweils wieder zurück, nachdem sie eine Ausweis-Kopie an Facebook geschickt hatte. Facebook schrieb ihr: «Dein Konto wurde aus Versehen gesperrt.» Dies lässt vermuten, dass Profile automatisch deaktiviert werden, ohne die Betroffenen zu informieren, wenn genügend Beschwerden eingegangen sind. Eine Prüfung, ob die Profil-Meldung berechtigt ist, scheint erst zu erfolgen, wenn sich der Betroffene wehrt. Allerdings gibt es auch Beispiele von Mehrfachmeldungen, die nicht zur Sperrung des Kontos geführt haben. Eine Facebook-Sprecherin teilte auf Anfrage mit, dass «ein spezielles Team alle Meldungen prüft und dann entscheidet, welche weiteren Massnahmen ergriffen werden».

Zwar informiert Facebook die Inhaber von Fake-Profilen per E-Mail über ihren Regelverstoss. Abschreckende Wirkung hat dies offenbar kaum, da das soziale Netzwerk keine weitergehenden Massnahmen in Erwägung zu ziehen scheint, fehlbaren Nutzern den Missbrauch zu erschweren. Möglich wäre dies, indem Mehrfach-Anmeldungen vom selben Computer erschwert würden. Kein Wunder schreibt Fake-Account-König David H. in einem Forum: «Die Sicherheitsbestimmungen im Facebook sind so lächerlich, die haben Null-Kontrolle. Ich habe bereits Account Nummer 17 aufgemacht.»

* Name der Redaktion bekannt

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