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Hobby Trivialliteratur«Bleib in den Bergen, Schatz»

Das kann ich auch, dachte Dominik Locher, und schrieb einen Groschenroman. Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass er sich Inspiration am Kiosk besorgt - Teil 5 unserer Sommerserie.

von
F. Voegeli

Als Dominik Locher als 14-Jähriger am Bahnhofskiosk von Brienz arbeitete, kamen ihm Heftchen in die Hände, die er nicht gekannt hatte. Reisende überbrückten die Wartezeit mit einer Lektüre der leichten Art, Kennerinnen holten sich ihre wöchentliche Dosis Leidenschaft in Form ihrer Lieblings-Romantik-Reihe. Ein paar Jahre später war Locher knapp bei Kasse und dachte ans Auffüllen der Groschenroman-Regale zurück: «So könnte ich doch bestimmt etwas Geld verdienen.»

Es folgte ein Anruf nach Deutschland, und da hatte er seinen ersten Auftrag. «Ich wollte eigentlich einen Western schreiben, aber beim Kelter-Verlag brauchten sie einen Heimatroman.» Also machte er sich der damals 20-Jährige ans zehnseitige Exposé, das von der Liebe in den Bergen handelte und den Verlegern so gut gefiel, dass sie den ganzen Roman lesen wollten.

«Ein bisschen Autobiographisches mag schon drin sein»

Nun hiess es, sich ans Format zu halten: Die Bösen, das wusste der damalige Häuserbesetzer, nachdem er zur Recherche drei Heftchen gelesen hatte, kommen meistens aus der Stadt. Die Guten sind oft arm. Die Sprache musste angepasst werden. «Ich habe alte Begriffe ausgegraben, mir Weisheiten aus den Fingern gesogen.» Das heisst aber nicht, dass er sich über seine Figuren oder die Geschichte lustig gemacht hätte. Ernst nehmen müsse man seine Charaktere schon. «Sonst merkt das der Leser», ist Locher überzeugt.

Locher schrieb über eine junge Frau, die um ihren Hof kämpft. Die Rettung kommt in Form eines Mannes, dem einstigen Schatz aus der Kindheit. Die Idee? «Ein bisschen Autobiographisches mag schon drin sein. Ich bin auch in den Bergen aufgewachsen und habe meine Kindergartenliebe aus den Augen verloren.» Allerdings war der Umzug des Mädchens nicht ganz so dramatisch, wie die Trennung seiner Figuren im Roman. Dick auftragen ist also ein Muss, wie auch die vorgegebene Seitenzahl.

«Christl Brunner» lebt weiter

Nach rund zwei Monaten war der Roman geschrieben. Der Titel: «Bleib in den Bergen, Schatz. Warum suchst du dein Glück in der Fremde?» In der Autorenzeile: Christl Brunner. Der Name ist am Kiosk ein Evergreen. «Ich habe 1500 Euro bekommen und alle Rechte abgegeben.» Während «Christl Brunner» bis heute unermüdlich Heimatromane verfasst, ist es bei Locher der einzige geblieben. «Ich würde schon wieder einen schreiben, aber mir fehlt die Zeit.»

Und doch beschäftigen ihn die Liebesromane und Schundheftli weiterhin. Im Juli fand die Premiere seines Theaterstückes «Angelina und der Millionen-Dollar-Hengst» statt. Eine Inszenierung, die auf einem Western-Roman basiert. Weitere Aufführungen folgen am Zürcher Theaterspektakel am 25. 27. und 28. August 2012. Es geht um Stereotypen, Sex und Sehnsüchte.

Immenses Humorpotenzial

«Die Sehnsucht nach einer Welt, die es nicht mehr gibt, plagt mehr Menschen, als man denkt», ist der Regisseur überzeugt. «Im Theater lässt sich die Nostalgie entlarven.» Aus diesem Grund ist das Humorpotential solcher Literatur für Locher immens. Jedenfalls auf der Bühne.

Bei aller Faszination für die Trivialliteratur: Zum Plausch in den Romanen versinken, dafür reichts trotzdem nicht. «Die Plumpheit, die erst noch unterhält, wird dann später eher ein wenig nervig.» Locher würde gerne das Figurenkonstrukt beibehalten, die Geschichten aber in der heutigen Zeit spielen lassen, mit aktuellen Themen. Zum Beispiel Fussball und Migration.

Satire zwischen Heftli-Deckeln

Locher ist nicht der einzige Schweizer, der sich mit Humor im Kopf ans Genre gemacht hat. Vor zwei Jahren hat es der Zürcher Komiker Patrick Frey versucht und einen Hausarztroman geschrieben, der mitten in Zürich spielt. Orientiert hat er sich damals an Fernsehserien wie «Dr. House» oder «Grey's Anatomy». Der Roman war so erfolgreich, dass Ende September endlich der langersehnte Nachfolger herauskommt. Der Titel «Das Ekzem war ihr Schicksal» klingt schon einmal vielversprechend.

Schriftsteller Peter Stamm verfasste zwei Heftchen, die sogar in den fiktiven Anzeigen auf den Zwischenseiten mit Satire durchtränkt sind. In «Herbert – Sie liebten sich nur einen Sommer» könnte sich der Held nicht weiter von der Liebe entfernen, sein Leben kaum unromantischer verlaufen. Der Anti-Groschenroman, der ursprünglich als Serie im Nebelspalter veröffentlicht wurde, endet konsequenterweise mit Unglück statt Happy End: Die Liebenden kommen im Winter Lapplands vom Weg ab und erfrieren, nicht eng umschlungen, sondern Meter voneinander getrennt.

Sommerserie: Kioskroman

Kioskromane gelten als Trivialliteratur: Die Sprache ist einfach, der Plot immer gleich, das Happy End garantiert. Trotzdem sind Groschenromane seit vielen Jahren erfolgreich. In einer Sommerserie untersuchen wir dieser Form der Literatur, finden ihren Ursprung, treffen ihre Autoren und lernen ihre Regeln. Es folgt ein mehrteiliger Romantikroman, bei dem Sie entscheiden, wie die Geschichte weitergeht. Entschieden haben Sie bereits jetzt, wo sich die Protagonisten zum ersten Mal treffen sollen: Mit 46 Prozent hat es die Blockhütte am See geschafft, vor der der Held Holz hackt. Auch der Handlungsort ist bestimmt: 58 Prozent waren für das Intern@t für höhere Töchter im Tessin. Stimmen Sie jetzt darüber ab, wie die Hauptprotagonisten heissen sollen.

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