Brienz: So geht es den Bewohner, die evakuiert werden

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Brienz GR«Unglaublich schwer, das Zuhause zu verlassen»

Das Bündner Bergdorf Brienz muss bis Freitagabend evakuiert werden. Einwohnerinnen und Einwohner erzählen von ihrem Schicksal.

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Renato Liesch, hier Mitte April, ist nun seine Sachen am Packen. 

Renato Liesch, hier Mitte April, ist nun seine Sachen am Packen. 

20min/Janina Schenker
Bis Freitag müssen die Bewohnerinnen und Bewohner das Dorf verlassen. 

Bis Freitag müssen die Bewohnerinnen und Bewohner das Dorf verlassen. 

20min/Janina Schenker
Ein grosser Teil des Dorfes (rot) ist vom Abbruch der Insel (violett) bedroht.

Ein grosser Teil des Dorfes (rot) ist vom Abbruch der Insel (violett) bedroht.

Darum gehts

  • Das Bergdorf Brienz GR muss evakuiert werden.

  • Bis Freitag, 18 Uhr, müssen Einwohnerinnen und Einwohner ihr Zuhause verlassen.

  • Betroffene erzählen von ihrem Schicksal.

Nun ist es offiziell: Das Bündner Bergdorf Brienz muss evakuiert werden. Der Gemeindeführungsstab Albula hat die Phase Orange eingeleitet und über die Evakuierung des Dorfes verfügt. Aktuelle Messungen zeigen, dass der Fels in den kommenden sieben bis 24 Tagen abstürzen oder abrutschen wird. In der Folge müssen Einwohnerinnen und Einwohner von Brienz ihr Zuhause bis Freitagabend verlassen. 20 Minuten hat mit Betroffenen Kontakt aufgenommen – es herrscht grosse Aufregung im Dorf.

Ab sofort muss alles schnell gehen, obwohl Bewohnerinnen und Bewohner zuvor schon das Wichtigste gepackt haben, gibt es für viele noch einiges zu organisieren. Auf Anfrage von 20 Minuten sagt eine Frau: «Es ist ein ungünstiger Zeitpunkt, wir arbeiten gerade an einer Lösung. Ich habe den Kopf randvoll.» 

«Können wir überhaupt wieder ins Dorf zurück?»

«Es ist eine schlimme Situation für uns alle», sagt Renato Liesch (43). Bei jeder weiteren Warnstufe habe er schon Mühe gehabt, da alles sehr ungewiss sei. «Man weiss halt nicht, ob man die ganze Existenz verliert, oder nicht», so Liesch weiter. Viele Dorfbewohner können sich laut dem 43-Jährigen gar nicht vorstellen, wie viel Felsen und Steine am Rutschen sind. «Wenn es schlimm kommt, dann gibt es Brienz nicht mehr.» Als er die Meldung über die Evakuierung gehört habe, sei es wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. «Wir Jungen, wir kommen ja noch einigermassen klar. Aber was ist mit den Alten?», so Liesch.

Der 43-Jährige hat vor, bis zuletzt im Dorf zu bleiben. Sicherheitshalber hat er aber schon eine Tasche mit Kleidern in sein Maiensäss gebracht. Seine Mutter könne in einem Nachbardorf unterkommen. «Morgen packe ich die Sachen meiner Mutter, am Donnerstag meine eigenen und am Freitag helfe ich noch den anderen im Dorf», sagt Liesch. Er habe aber keine Angst wegen der Steine, sondern eher vor der Zukunft. «Alles ist so ungewiss. Werden die Häuser noch stehen? Was wäre, wenn wir gar nicht mehr ins Dorf zurück könnten?»

Vor drei Wochen besuchte 20 Minuten das Dorf und sprach mit Renato Liesch über die drohende Evakuierung und darüber, was er mitnehmen würde.  

Video: 20min/Shanice Bösiger/Janina Schenker

«Unglaublich schwer, das Zuhause zu verlassen»

Eine andere Frau, die kurz vor dem Pensionsalter steht, hat das Dorf bereits vor einer Woche vorgängig verlassen: «Mein Mann und ich wussten, dass es nicht mehr lange geht.» Für das Ehepaar war das Verlassen seines Heims nicht einfach: «Es war unglaublich schwer und gar nicht schön, Brienz verlassen zu müssen.» Sie habe auch Haustiere, diese konnte sie zum Glück alle rechtzeitig mitnehmen. «Wir wohnen neu in einer kleinen Wohnung und müssen uns zurechtfinden, so ist unser Leben im Moment», sagt die Frau aus Brienz. Weiter erzählt sie: «Alle sind gleich betroffen von der Krise, egal, welches Alter, der Unterschied ist nur, dass wir uns selbst evakuiert haben.»

Betroffene versuchen, ihr Schicksal zu akzeptieren

«Es ist jetzt halt so, man kann es nicht ändern», sagt Otto Vogler (90), der bereits seit 25 Jahren in Brienz wohnt. Der 90-Jährige kann für die Dauer der Evakuierung bei einer seiner drei Töchter unterkommen. Sorgen macht sich Vogler aber keine. «Klar, es gibt jetzt einen Felssturz, aber es hat dort schon immer gebröckelt.» Trotzdem ist die Evakuierung eine Umstellung für den 90-Jährigen. «Ich war jetzt 25 Jahre lang selbstständig und musste niemanden um Hilfe bitten, jetzt muss ich das Dorf halt verlassen», sagt Vogler. Er bleibt aber zuversichtlich, denn: «Das Leben geht weiter.» 

Auch Elisabeth Arpagaus muss nach vielen Jahren Brienz verlassen. «Ich bin allein, aber habe zum Glück die Unterstützung meiner Familie», sagt Arpagaus. Die Brienzerin versucht, ihr Schicksal so hinzunehmen: «Das ist die Natur, man kann nichts dagegen machen.» Trotzdem mache sie sich viele Gedanken: «Es ist ungewiss, wann und ob man überhaupt wieder nach Hause kann.»

Hast du oder hat jemand, den du kennst, ein Trauma erlitten?

Hier findest du Hilfe:

Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858

Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

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