ObdachlosBruno schläft lieber im Winterwald als im Bett
Draussen zuhause: Für Obdachlose in der Stadt St. Gallen ist dies realer Alltag. Von den Notunterkünften machen längst nicht alle Gebrauch.
- von
- tso
Die Unterkunft für Obdachlose (UFO) nahe dem Stadtzentrum bietet Schlafplätze für maximal elf Personen. Doch ist das UFO trotz des plötzlichen Wintereinbruchs nicht voll ausgelastet, wie ein Augenschein vor Ort zeigt. Einige Obdachlose verbringen ihre Nächte lieber draussen und trotzen der Kälte.
Einer von ihnen ist Bruno. Der 44-Jährige ist dafür bekannt, seinen Rucksack mit all seinem Hab und Gut immer bei sich zu tragen. Der heftige Schneefall habe ihm keine «allzu grossen» Probleme bereitet, wie er sagt. Er schlafe seit Jahren draussen und sei die Kälte gewohnt. «Ausserdem bin ich selber gut ausgerüstet.» Sein Schlafsack zum Beispiel sei «ein top Markenprodukt». Doch sei dieser letzte Nacht nass geworden, «weil der Wind Schneeflocken reingeblasen hat». Darum hat er seinen Schlafsack zum Trocknen in die Gassenküche gebracht. Eine gute Gelegenheit, sich kurz aufzuwärmen – und Zeitung zu lesen. Warum er lieber im Wald als im UFO schläft, kann oder will er nicht genau sagen.
Kurz dösen und dann weiter
Bruno gegenüber sitzt der 32-jährige Stefan. Auch er verbrachte einige Jahre ohne festen Wohnsitz, schlief in Kellern, Schuppen, bei Kollegen oder auch mal draussen. Er ist froh, endlich eine feste Bleibe gefunden zu haben. Nicht nur wegen des Winters. «Man gewöhnt sich zwar an die Kälte», sagt er, «aber ruhigen Schlaf zu finden ist sehr schwierig.» Oft habe er mehrere Bier getrunken, um einschlafen zu können.
Überhaupt sei ruhiger Schlaf der grösste Luxus, sind sich beide einig. Es sei selten, dass er eine Nacht durchschlafen könne, erzählt Bruno. So komme es vor, dass er beim Aufwärmen in der Gassenküche kurz wegdöse. Doch lieber ist er in der Stadt unterwegs, fragt die Leute nach etwas Münz für seine nächste Mahlzeit, für Zigaretten, Bier, vielleicht auch für anderes. Heiligabend hat er in der Gassenküche verbracht, die dank einer grosszügigen Spende 35 Gratismahlzeiten ausgeben konnte. Normalerweise zahlen die Gäste einen Unkostenbeitrag von 3 Franken.
Ein Feuer für Silvester
Das Essen in der Gassenküche sei immer sehr gut, sagt Bruno. Doch eigentlich kocht er lieber selbst, auf seinem Gaskocher im Wald. Oder über dem Feuer. «Nur habe ich es leider verpennt, vor dem Schneefall noch einen grossen Holzvorrat anzulegen.» Ein Feuer habe er aber noch immer hingekriegt, sagt er. Voraussichtlich werde er auch den Silvesterabend am warmen Feuer verbringen. «Hoffentlich habe ich dann noch genug Geld für ein paar Bier.»