Bundesrätin Amherd im Live-Talk«Ohne Kampfjets kann die Armee nicht richtig funktionieren»
Am 27. September ist die Kampfjet-Abstimmung: Viola Amherd, Vorsteherin des eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, stellte sich den Fragen der 20-Minuten-Leser.

- von
- Daniel Graf
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Zusammenfassung
Viola Amherd spricht sich als Vorsteherin des eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport natürlich klar für die Beschaffung neuer Kampfjets aus. «Welchen Typ, wir am Schluss kaufen, ist mir eigentlich egal. Für eine funktionierende Armee brauchen wir aber Kampfflugzeuge. Wir sollten das Flugzeug kaufen, welches das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweist», sagt sie im Live-Talk von 20 Minuten.
Die Armee sei ein Gesamtsystem, welches nur funktionieren könne, wenn alle Teile funktionierten, sagt Amherd: «Wenn wir ab 2030 ohne Kampfjets dastehen, würde unsere Armee nicht mehr so funktionieren wie heute.» Das bringe verschiedene Probleme mit: «Einerseits könnten wir die Überwachung unseres Luftraums nicht mehr selber vornehmen und wären von unseren Nachbarländern abhängig», sagt Amherd. Doch auch Staatschefs würden nicht mehr an internationale Konferenzen kommen, wenn die Schweiz die Sicherung des Luftraums nicht gewährleisten könne.
Am 27. September stimmt die Schweiz laut Amherd über die Minimalvariante ab: «Es ist das, was wir brauchen, damit wir unsere Aufgaben auch nach 2030 weiter wahrnehmen können.» Dann müssen die alten F/A-18-Jets ausgemustert werden.
Bei der Beschaffung von Schutzmaterial zu Beginn der Krise habe die Schweiz wenig Einfluss auf die Preise nehmen können: «Da spielten die Gesetze des Marktes. Die Armee hat die Aufgabe der Beschaffung auch für Kantone und Spitäler übernommen, weil grosse Anbieter wie China nur direkt an andere Staaten verkauften», sagt Amherd.
Auch die Corona-Krise kam im Live-Talk zur Sprache. Die Fussball- und Eishockeyligen machen Druck auf den Bundesrat, das Verbot für Veranstaltungen mit mehr als 1000 Zuschauern zu lockern. «Weitere Lockerungsschritte sind möglich, wenn die Zahlen nicht ansteigen und die Schutzkonzepte für die Veranstaltungen gut durchdacht sind», sagt Amherd dazu. Sie selber würde im Herbst noch nicht in ein Stadion gehen: «Ich bin zwar Fan des FC Sion, doch derzeit schaue ich die Spiele lieber noch elektronisch.»
Der Live-Talk ist beendet
Damit beendet Waldmeier den Live-Talk aus dem Medienzentrum in Bern. Herzlichen Dank für die vielen Leser-Fragen und das rege Interesse und bis zum nächsten Mal. Eine Zusammenfassung folgt hier in Kürze.
Haben die Piloten Wünsche geäussert, welche Jets sie möchten?
Bisher habe ich nichts gehört von einem solchen Wunsch. Für die Piloten ist wichtig, dass wir ein Flugzeug haben, das geeignet ist und das wir bezahlen können.
Freut es Sie, dass junge Frauen in dieser Domäne Fuss fassen?
Ich habe mich schon immer für Frauenförderung eingesetzt. Es ist eine grosse Freude, zu sehen, dass wir eine Kampfjet-Pilotin haben, auch wenn es erst eine ist. Sie sind grosse Vorbilder, dass auch eine Kindergärtlerin schon sieht: «Ich könnte auch Pilotin werden.»
Kampfjet-Pilotin Fanny Chollet trat an Ihrer Seite auf, um für die Kampfjets zu werben. Wird sie weitere Auftritte haben?
Das weiss ich gerade gar nicht. Ich weiss, dass Piloten für Fachreferate angefragt werden. Ob sie zugesagt hat, weiss ich nicht.
Bleibt das Ziel, die beste Armee der Welt zu haben?
Ich setze mir hohe Ziele, aber nicht zu hohe. Ich bin zufrieden, wenn wir in unserem Land eine funktionierende Armee haben. Verbesserungspotenzial gibt es in jedem grossen Land. Man kann nicht mit einem Schlag alles ändern und perfekt machen. Die stetige Verbesserung und Optimierung ist mein Ziel.
Was wären die Folgen eines neuerlichen Neins?
Das Problem ist, dass unsere Flugzeuge 2030 ausser Betrieb genommen werden müssen. Dann hätten wir 2030 keine funktionierende Luftwaffe mehr. Die Armee ist ein Gesamtsystem, die nur funktioniert, wenn alle Teile funktionieren. Die Bodentruppen, die Luftwaffe, die Cyberkriminalität etc. Die Armee würde nicht mehr so funktionieren wie heute. Auch für Zusammenarbeiten mit anderen Ländern haben wir einen engen Rahmen. Mir wäre es nicht wohl, wenn wir im Ernstfall unsere Bevölkerung nicht mehr verteidigen könnten. Wir haben es auch in der Pandemie gesehen: Sobald das Schutzmaterial knapp wurde, haben die Nachbarländer die Lieferungen blockiert. Masken kann man in ein paar Wochen beschaffen, Kampfflugzeuge nicht. Es würde der Schweiz als Land mitten in Europa schlecht anstehen, wenn wir unsere Aufgabe nicht mehr selber erfüllen könnten.
Einige Leser hätten den Gripen für eine gute Wahl gehalten. Es bestehen Befürchtungen, dass versteckte Softwarecodes in den Flugzeugen eingebaut werden. Schauen Sie das an?
Ja, das ist wichtig. Mir wäre es auch recht gewesen, wenn Schweden mit Saab im Prozess geblieben wären. Eine absolute Sicherheit und Unabhängigkeit gibt es heute in keinem IT-System. Dass das Flugzeug aber ferngesteuert wird, ist auch nicht möglich, dafür kann ich garantieren. Aber die Frage, ob wir Zugriff auf die Quellcodes haben, ist wichtiger Bestandteil der Evaluation.
Der Gripen ist definitiv vom Tisch?
Ja. Wir haben ein klares Prozedere aufgestellt für die Hersteller. Saab hat sich zurückgezogen, weil sie mit dem Gripen unsere Anforderungen nicht erfüllen konnten. Sie konnten uns gewisse Systeme noch nicht vorführen. Jetzt sind noch vier Flugzeugtypen in der Auswahl.
Was wäre die Minimalvariante, um die Luftpolizei am Leben zu halten?
Wir stimmen jetzt über die Minimalvariante ab. Das, was wir jetzt auf dem Tisch haben, brauchen wir. Alles andere könnte die Aufgaben nicht erfüllen. Die Angebote, die noch im Rennen sind, können die Aufgaben erledigen. Sobald die Evaluation abgeschlossen ist, können wir entscheiden.
Die Flugzeuge sollen 30 bis 40 Jahre im Einsatz sein und 6 Milliarden kosten. Die Gegner sagen, dass sie in der gesamten Nutzungsdauer bis zu 24 Milliarden kosten werden. Stimmt das?
Der Kauf und der Unterhalt werden über das ordentliche Armee-Budget gemacht. Hier braucht es keine zusätzlichen Gelder. Wie hoch die Kosten des Unterhalts sein werden, ist jetzt noch unmöglich zu sagen, weil wir den Typ noch nicht bestimmt haben. Die jetzigen Flugzeuge kosteten pro Jahr rund 300 Millionen. Damit wäre der Betrieb für die nächsten 30 Jahre ungefähr gleich teuer wie die Beschaffung. Es ist wie mit einem Auto: Je älter die Jets sind, desto teuer ist der Unterhalt. Deshalb macht es auch keinen Sinn, in die alten Flugzeuge, die immer teurer werden, noch viel Geld zu investieren.
Leser Hans Berger fragt: Wie wollen Sie mit den neuen Flugzeugen das Coronavirus oder den Klimawandel bekämpfen? Die Frage ist überspitzt, aber: Wäre das Geld andernorts nicht besser investiert?
Ich habe ausgeführt, weshalb wir Kampfjets brauchen. Selbstverständlich kann ein Flugzeug die angesprochenen Probleme nicht lösen. Aber wir dürfen eines nicht gegen das andere ausspielen. Ich habe den Klimawandel am eigenen Leib erlebt, bei einem grossen Unwetter in Brig. Da war ich sehr froh um die Unterstützung der Armee. Auch der Klimawandel ist aber natürlich ein sehr wichtiges Thema. Ich habe in meinem Departement den Auftrag gegeben, ein Vorbilddepartement zu werden in der Klimaeffizienz. Wir machen da sehr viel. Das heisst aber nicht, dass wir alles andere ausser Acht lassen können. Niemand kann voraussehen, was die nächste Krise sein wird. Hätte ich vor einem Jahr gesagt, dass wir bald die Armee mobilisieren müssen, wegen eines Virus, wäre ich wohl für nicht mehr ganz richtig im Kopf befunden worden. Die Aufgabe des Staates ist es, die Sicherheit in allen möglichen Bereichen zu gewährleisten.
Waren Helikopter und Drohnen ein Thema?
Wir haben das angeschaut, aber Drohnen und Helikopter sind nicht schnell genug und können nicht gleich hoch fliegen wie Jets.
Weiter interessiert: Wer gibt bei einem Ernstfall den Befehl zum Abschuss eines Flugzeugs?
Das ist meine Aufgabe als Departementschefin. Das hat mir beim Amtsantritt schon ein wenig Bauchschmerzen gemacht. Ich habe dafür auch eine Schulung gemacht. Ich hoffe, dass dieser Fall nie eintritt. Wir müssten wirklich sicher sein, dass das Flugzeug etwas Schlechtes im Sinne führt. Auch müssten wir beachten, wo das Flugzeug herunterkommt, wenn wir es abschiessen. Einen solchen Entscheid zu fällen, ist sehr schwierig. Der Vorteil der Kampfjets ist es, dass wir nahe hin können und schauen, wer ist im Flugzeug, was führt es im Schilde, reagiert es auf unsere Aufforderungen, uns zu folgen? Erst, wenn alles nichts nützt, wird abgeschossen. Wenn man aber gar keine Jets hat, um zu schauen, kann man diesen Entscheid nicht seriös treffen.
Ein Leser möchte wissen, wie oft im Monat die Luftwaffe eigentlich ausrücken muss?
Wir haben im Jahr 40 Einsätze, wo ein Flugzeug die Lufthoheit der Schweiz nicht einhält oder in einer Notlage ist. Dazu kommen rund 300 Kontrolleinsätze pro Jahr, etwa zur Identifizierung eines Flugzeugs. Auch bei Konferenzen haben wir Aufträge, um die Sicherheit zu garantieren. Wenn wir das nicht können, kommen die ausländischen Staatschefs nicht in die Schweiz. Die Luftwaffe ist also regelmässig im Einsatz.
Können auch Angebote, die über die reine Lieferung eines Jets hinausgehen, diskutiert werden?
Von solchen Angeboten haben ich keine Kenntnis. Aber etwa im Sicherheits- oder im Ausbildungsbereich können wir natürlich mit anderen Ländern zusammenarbeiten. Wir können etwa Nachtflüge in England trainieren. Solche Fragen werden sicher auch Teil der Evaluation sein.
Die 20-Minuten-Leser haben über 150 Fragen zum Thema gestellt. Es gibt Leser, denen ist es etwa wichtig, dass wir nicht aus den USA Flugzeuge kaufen.
Das sind politisch-strategische Fragen, die man diskutieren kann. Wichtig ist mir, dass wir aufgrund der technischen Fakten entscheiden, welches Flugzeug am besten geeignet ist. Ich gehe davon aus, dass alle Flugzeuge, für die wir Offerten eingeholt haben, möglich sind. Wenn diese auch preislich nahe beieinander sind, können wir uns das Politisch-Strategische überlegen.
Unklar ist, wie viele Jets und von welchem Typ Jets gekauft werden sollen. Kauft der Stimmbürger die Katze im Sack?
Das Parlament hat beschlossen, dass die Volksabstimmung vor der Typenwahl durchgeführt werden muss. Die Bevölkerung kann jetzt sagen, welchen Schutz sie will. Wollen wir auch ab 2030, wenn die aktuellen Flugzeuge veraltet sind, noch einen Schutz vor Angriffen im Luftraum? Wenn man das will, braucht es Flugzeuge. Von welcher Marke das Flugzeug dann ist, ist sekundär. Wir müssen die Steuergelder in das Flugzeug mit dem besten Kosten-Nutzen-Verhältnis investieren.
Am 27. September stimmen wir über die Kampfjet-Initiative ab. Sind Sie nach den Ferien erholt und bereit für den Abstimmungskampf?
Ja, das bin ich. Es ist eine sehr wichtige Abstimmung für die Sicherheit der Schweiz und der Bevölkerung. Ich bin überzeugt, dass wir die neuen Kampfjets brauchen für die Sicherheit. Ob ich als Departementschefin die Abstimmung gewinne, ist dabei nicht entscheidend.
Rechnet der Bundesrat mit einer zweiten Welle?
Das kann man so nicht sagen. Wir machen alles, was geht, um eine zweite Welle zu verhindern, mit den Kantonen und der Bevölkerung. Ganz ausschliessen kann man es nicht, ich hoffe aber schwer, dass wir die zweite Welle verhindern können.