«Von ganzem Herzen»: Bundesrat entschuldigt sich bei Verdingkindern

Aktualisiert

«Von ganzem Herzen»Bundesrat entschuldigt sich bei Verdingkindern

Simonetta Sommaruga hat sich im Namen der Landesregierung bei den Fürsorge-Opfern in der Schweiz entschuldigt. An einem Gedenkanlass spricht sie von einer Verletzung der menschlichen Würde.

An einem Gedenkanlass für ehemalige Verdingkinder in Bern hat Justizministerin Simonetta Sommaruga am Donnerstag die Betroffenen im Namen des Bundesrates um Entschuldigung gebeten.

«Es ist an der Zeit, dass wir etwas tun, was man Ihnen allen, den ehemaligen Verdingkindern und den weiteren Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen bisher verweigert hat», sagte Sommaruga. «Für das Leid, das Ihnen angetan wurde, bitte ich Sie im Namen der Landesregierung aufrichtig und von ganzem Herzen um Entschuldigung.»

Bei den Opfern fürsorgerischer Zwangsmassnahmen hatte sich 2010 bereits Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf entschuldigt. Damals ging es in erster Linie um Personen, die ohne Gerichtsurteil «administrativ versorgt» worden waren. Im Sommer 2011 kündigte der Bundesrat an, er wolle sich bei den ehemaligen Verdingkindern entschuldigen.

Gegen das Verdrängen und Vergessen

Bis in die 60er-Jahre waren in der Schweiz Waisen und Kinder armer Familien bei Bauern untergebracht worden, wo sie für Kost und Logis hart arbeiten mussten. Viele Betroffene berichten von schweren Misshandlungen und behördlicher Willkür.

Was den Verdingkindern geschehen sei, könne kein Wort ungeschehen machen, und möge es noch so gut gewählt sein, sagte Sommaruga. Sie sprach von einer Verletzung der menschlichen Würde. «Wir können nicht länger wegschauen. Denn genau das haben wir bereits viel zu lange getan.» Wer wegschaue, stelle sich blind. Und nichts sei gefährlicher für eine Gesellschaft als blinde Flecken.

Wie reif eine Gesellschaft sei, zeige sich daran, wie sie mit ihrer Vergangenheit umgehe, stellte Sommaruga fest. «Deshalb soll dieser Tag auch ein Bekenntnis sein: ein Bekenntnis zum Hinschauen und ein Aufruf gegen das Verdrängen und Vergessen.»

Diskussion über Entschädigung

Die Geschichte der Verdingkinder und anderer Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen soll denn auch historisch und rechtlich aufgearbeitet werden. Offen bleibt die Frage der finanziellen Entschädigung. Dazu gab Sommaruga am Donnerstag nichts bekannt. Sie sagte lediglich, es stellten sich auch finanzielle Fragen.

Um alles weitere soll sich nun alt Ständerat Hansruedi Stadler kümmern, den Sommaruga im Dezember zum Delegierten für die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen ernannt hatte. Stadler habe den Auftrag, einen Prozess einzuleiten, damit sämtliche offenen Punkte und Fragen zügig angegangen würden, sagte die Bundesrätin. Er werde bereits in den nächsten Wochen zu einem Runden Tisch einladen.

Ein ehemaliges Verdingkind in Bern (Video: Keystone) (sda)

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