Asyl für Snowden?Calmy-Rey läuft bei den Bürgerlichen auf
Mit jeder neuen Enthüllung über NSA-Schnüffeleien festigt sich Edward Snowdens Heldenstatus. Dem Whistleblower Asyl gewähren wollen Schweizer Politiker dennoch nicht.
- von
- C. Alabor/S. Hehli
Edward Snowden würde seine Zelte in Russland gerne abbrechen – doch die gewünschte Auswanderung nach Deutschland gestaltet sich schwierig (siehe Box). Da könnte eine Alternative interessant werden: Alt Bundesrätin Micheline Calmy-Rey findet, die Schweiz solle den Whistleblower mit offenen Armen empfangen. Sie entfacht damit eine Debatte neu, die bereits im Sommer entbrannt war: Soll die Schweiz Snowden Asyl gewähren?
Bürgerliche Politiker hatten sich damals – mit Ausnahme von SVP-Nationalrat Oskar Freysinger – durchs Band weg negativ geäussert. Doch Nationalrat Balthasar Glättli (Grüne) glaubt, dass sich Snowdens Chancen auf Asyl in der Schweiz in der Zwischenzeit verbessert haben. Viele hätten Snowden am Anfang für einen Wichtigtuer gehalten. «Doch dank der fortlaufenden Enthüllungen der letzten Wochen sind die Zweifel an seiner Person nun zerstreut.» Zumal die Schweiz von der Spionage der USA direkt betroffen sei – durch mögliche Abhöranlagen in Genf und Bern.
Haben die USA Festnahme-Gesuch in Bern gestellt?
SVP-Mann Freysinger hatte in einer Interpellation die Aufnahme von Snowden als Flüchtling angeregt. Bisher hat der Bundesrat darauf noch nicht geantwortet. Klar ist nach der Abschaffung des Botschaftsasyls: Der Whistleblower müsste in die Schweiz reisen, um Asyl zu beantragen. Das wäre für ihn allerdings nicht ohne Risiken. Der emeritierte St. Galler Staats- und Völkerrechtsprofessor Rainer J. Schweizer geht davon aus, dass die USA ein Auslieferungsgesuch stellen würden, sobald Snowden einen Fuss auf Schweizer Boden setzen würde.
Der deutschen Regierung liegt bereits ein Festnahme-Gesuch aus Washington für den Fall einer Einreise von Snowden vor. Ob auch die Schweizer Behörden ein solches erhalten haben, darüber schweigt sich das Bundesamt für Justiz aus: «Fahndungsersuchen sind grundsätzlich vertraulich und unterstehen dem Amtsgeheimnis», heisst es auf Anfrage.
«Die USA wären brüskiert»
Ein Auslieferungsgesuch führt jedoch nicht zwingend zu einer Auslieferung. Dass sich Bern nicht immer dem Druck aus Washington beugt, zeigt ein prominentes Beispiel: 2010 weigerte sich die Schweiz, den wegen der Vergewaltigung einer Minderjährigen gesuchten Filmregisseur Roman Polanski in die USA zu überstellen. Die damalige Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf berief sich bei diesem Entscheid auf einen Formfehler beim US-Gesuch.
Staatsrechtler Schweizer geht davon aus, dass Snowden nur dann in die Schweiz reisen würde, wenn er die Zusicherung hätte, nicht ausgeliefert zu werden. Ein solcher Deal würde jedoch die Beziehungen zu Washington belasten, wie Dominik Elser vom Aussenpolitik-Thinktank Foraus erklärt: «Die USA würden brüskiert reagieren – zumal die Schweiz im Gegensatz zu Deutschland bisher international nicht stark in die NSA-Debatte involviert war.» Anders sähe es laut Elser aus, wenn die Schweiz mit anderen europäischen Ländern eine breite Diskussion über Spionage und Überwachung anstossen würde – und Snowden in diesem Rahmen Asyl anböte.
Snowden ins Zeugenschutzprogramm?
Doch auch diese Lösung kommt für bürgerliche Politiker nicht in Frage – den Hoffnungen Glättlis und der Forderung Calmy-Reys zum Trotz. FDP-Nationalrat Kurt Fluri sagt, Snowden erfülle die Voraussetzungen für politisches Asyl nicht. Derselben Meinung ist SVP-Nationalrat Gregor Rutz. «Snowden wird nicht aus politischen Gründen verfolgt, sondern weil er strafrechtliche Verfehlungen begangen hat.»
Balthasar Glättli gibt aber nicht auf: Wenn es auf der Asylschiene nicht klappe, solle die Schweiz prüfen, ob sie Snowden in ein Zeugenschutzprogramm aufnehmen könne. Er überlege sich, in der Wintersession einen entsprechenden Vorstoss einzureichen, sagt der Zürcher.
Deutsche wollen Snowden nicht
Über 50 Politiker und Prominente forderten von der deutschen Regierung Asyl für den Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden. Dieser hat unter anderem die gezielten Lauschangriffe durch US-Spione auf Bundeskanzlerin Angela Merkel bekannt gemacht. Damit Snowden vom deutschen Parlament hätte angehört werden können, müsste er Asyl in Deutschland erhalten. Die Bundesregierung hat dies am Montag aber abgelehnt aus Furcht vor Ärger mit den USA. Die Beziehungen nach Washington seien für Deutschland von «überragender Bedeutung», sagte ein Regierungssprecher. (zum)