Wahlen 2023: Cédric Wermuth & Mattea Meyer (SP) warnen vor Armut

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Cédric Wermuth & Mattea MeyerSP-Chefs warnen wegen Prämienschock vor «neuer Armuts-Dimension» 

Im Co-Präsidium führen Mattea Meyer und Cédric Wermuth die SP in die Wahlen. Im Interview sprechen sie über den Prämienschock, ihren paffenden Bundespräsidenten und die Beziehung zu ihren Kindern. 

Bist du grad unterwegs? Dann kannst du dir hier das ganze Wahlinterview mit Cédric Wermuth und Mattea Meyer anschauen. 

20Minuten/Michael Scherrer

Darum gehts

  • Die SP will bei den nationalen Wahlen zulegen und setzt dazu auf die schwindende Kaufkraft wegen der hohen Krankenkassenprämien. 

  • Im Interview sprechen die Co-Chefs Cédric Wermuth und Mattea Meyer über mögliche Bundesratskandidaten. 

  • Wermuth erklärt ausserdem, wann er sich «fürchterlich» über seine Tochter ärgert. Und Meyer verrät, warum sie kürzlich weinen musste. 

Cédric Wermuth und Mattea Meyer, Sie waren im Sommer lange komplett abwesend und nicht erreichbar. Kann man sich das als Parteichef im Wahljahr leisten? 
Wermuth: Wir stellten beim Amtsantritt die Bedingung, dass wir unser Familienleben mit Partner und Kindern auch in den Sommerferien geniessen können. Gerade vor einem nationalen Wahlkampf ist uns das wichtig. 

Mattea Meyer und Cédric Wermuth sprechen in der «Turnhalle» in Bern über ihre Wahlziele. 

Mattea Meyer und Cédric Wermuth sprechen in der «Turnhalle» in Bern über ihre Wahlziele. 

20min/Michael Scherrer

Sie hatten also lange Zeit, sich Gedanken zu machen: Soll es sich bei der Berset-Nachfolge nun um einen Mann handeln oder sind auch Frauen in Ordnung? 
Meyer: Die Fraktion wird Anfang September entscheiden, ob es Bedingungen fürs SP-Ticket geben soll. Wir haben keinen Stress, die Wahlen sind erst im Dezember. 
Wermuth: Alain Berset hat es schön gesagt: «Es muss ein Mensch sein». Wir würden hinzufügen: «... und SP-Mitglied.» Alles Weitere werden wir sehen. 

Daniel Jositsch hat sich für seine Rolle im Herbst entschuldigt, aber gleichzeitig Ihr Parteiprogramm kritisiert.
Meyer: Wir stehen seit langem in einem guten Austausch mit Daniel Jositsch. Er ist auch Vize-Präsident der SP-Fraktion und unsere Zusammenarbeit war auch respektvoll, als wir nicht gleicher Meinung waren. Jeder muss sich in den nächsten Wochen selbst überlegen, ob er kandidieren will oder nicht. 

Was halten Sie von der Kandidatur von Mustafa Atici? Er wäre der erste 
Bundesrat mit Migrationshintergrund. 

Wermuth: Ich finde die Kandidatur ein sehr starkes Zeichen für die Menschen mit Migrationshintergrund in der Schweiz. Wir als Parteipräsidium werden uns aber natürlich nicht zu einzelnen Kandidaturen äussern.

Sie erwarten, dass Ihre zwei Sitze unbestritten sind. Gilt das für Sie auch in Bezug auf die SVP- und FDP-Sitze? 
Meyer: Die Mehrheit von SVP und FDP widerspiegelt den Willen der Wählenden nicht. Aber das grössere Problem ist, dass sie nichts tun für Menschen, die ihre Krankenkassenprämien und Mieten kaum mehr bezahlen können. Jetzt gilt es, die Wahlen zu gewinnen. Für alles Weitere haben wir noch Zeit. 

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Die Co-Chefs der SP sprechen im Interview mit 20-Minuten-Bundeshauschef Christof Vuille auch über die Nachfolge von Bundesrat Berset und dessen Auftritt an der Street Parade. 

Die Co-Chefs der SP sprechen im Interview mit 20-Minuten-Bundeshauschef Christof Vuille auch über die Nachfolge von Bundesrat Berset und dessen Auftritt an der Street Parade. 

20min/Michael Scherrer
Gesundheitsminister Alain Berset hatte am Wochenende mit seinem Auftritt an der Street Parade für Schlagzeilen gesorgt. 

Gesundheitsminister Alain Berset hatte am Wochenende mit seinem Auftritt an der Street Parade für Schlagzeilen gesorgt. 

20min/News-Scout

Berset zeigte mit seinem Auftritt an der Street Parade einmal mehr sein Charisma. Wie gross ist sein Verlust für die SP? 
Meyer: Ich habe sehr gern mit ihm zusammengearbeitet. Er ist ein Mensch, den man spürt und der viel geleistet hat in seinen Amtsjahren. Er hat die Pandemie gemeistert, sich eingesetzt für einen Vaterschaftsurlaub, für bezahlbare Kita-Plätze und eine sinnvolle Pensionskassenvorlage. 

Deshalb kann er es sich als Gesundheitsminister auch leisten, mit Bier und Zigarre auf einem Lovemobil zu tanzen? 
Wermuth: Gesundheitspolitik heisst nicht, dass der Staat den Menschen vorschreibt, wie sie zu leben haben. Zum Leben gehört für manche, auch mal eine Zigarre zu rauchen. Ein Gesundheitsminister, der behaupten würde, nie auch mal einen Schluck Alkohol zu trinken, wäre doch unglaubwürdig. Alain Berset hat sich sehr menschlich gezeigt. 

Beim vakanten Fraktionspräsidium ist Samira Marti (29) in der Pole-Position. Ist es Ihr Ziel, auf allen wichtigen Parteipositionen junge Juso-Kolleginnen- und Kollegen zu installieren?
Meyer: Die Bewerbungsfrist läuft noch. Aber dieser Vorwurf einer angeblichen Jusofizierung ist speziell. Der Nati-Trainer wird auch nicht kritisiert, wenn er die besten Spieler aus der U19 ins grosse Team übernimmt. Ich bin stolz auf die Juso, welche immer wieder grosse Talente hervorbringt. 

«Das ärgert mich fürchterlich» 

So ticken Cédric Wermuth und Mattea Meyer privat

In den letzten Wochen wurde viel über linke Toleranz diskutiert. Sind Sie ein toleranter Mensch?
Meyer: Es kommt drauf an, um was es geht. Ich gehe grosszügig mit Menschen um, aber ich habe wenig Toleranz für extreme Ungerechtigkeiten. Es darf nicht sein, dass Menschen aufgrund ihres Portemonnaies, ihres Aussehens, ihrer Herkunft oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden. 
Wermuth: Ich bin sehr intolerant gegenüber frauenfeindlichen oder ausländerfeindlichen Haltungen. Viele Positionen der Rechten widern mich an, aber es gehört zur Demokratie, dass sie diese vertreten dürfen und ich das aushalten muss.

Wann und warum haben Sie zum letzten Mal aus privaten Gründen geweint? 
Meyer: Das war vor kurzem am letzten Kindergarten-Tag meiner älteren Tochter. Ein Lebensabschnitt geht zu Ende, das war sehr emotional für mich. Ich freue mich aber auch mit ihr, dass sie jetzt in die Schule kommt.
Wermuth: Vor zwei Wochen. Ich habe zum ersten Mal «La vita e bella» gesehen, das trieb mich zumindest an den Rand der Tränen.

Cédric Wermuth ärgert sich über seine beiden Töchter, wenn diese vorgeben, kein Französisch zu verstehen. 

Cédric Wermuth ärgert sich über seine beiden Töchter, wenn diese vorgeben, kein Französisch zu verstehen. 

20min/Michael Scherrer

Wie erklären Sie Ihren Kindern, dass Sie in der nächsten Zeit viel unterwegs und wenig zu Hause sind? 
Wermuth: Meine Töchter sind acht und fünf Jahre alt. Sie findens nicht wahnsinnig toll, wenn ich selten daheim bin. Vor vier Jahren waren sie stolz auf den Papi, weil er überall auf Plakaten war, das ist wohl nicht mehr der Fall. 

Was macht Sie abgesehen von der Politik persönlich wütend im Privatleben? 
Meyer: Ungerechtigkeit treibt mich im Alltag zur Weissglut. Etwa, wenn jemand seine Macht ausspielt, weil er mehr Geld oder Einfluss hat. 
Wermuth: Ich versuche, mit meinen Töchtern möglichst oft Französisch zu sprechen, weil das meine zweite Muttersprache ist. Manchmal tun sie so, als würden sie nichts verstehen, weil ihnen nicht passt, was ich sage. Das ärgert mich fürchterlich.

Sie führen die Partei nun seit mehreren Jahren gemeinsam. Wie hat sich Ihre Beziehung zueinander entwickelt? 
Meyer: Wir hatten herausfordernde Zeiten, das schweisst zusammen, man sieht in den anderen hinein. Ich könnte mir ein Co-Präsidium mit niemand anderem vorstellen. Es braucht absolutes Vertrauen zueinander. 
Wermuth: Die Politik tendiert dazu, dich zum Einzelkämpfer zu machen. Für mich ist es die richtige Lösung. Sogar ehemalige Kritiker haben gemerkt, dass es klappt.  

Machen Sie also definitiv weiter bis zu den Wahlen 2027?
Wermuth: Die Welt dauert für uns grad bis am 22. Oktober, dann schauen wir alles neu an. Aber aktuell hege ich keine Rücktrittspläne. 
Meyer: Ich auch nicht. Solange unsere Mitglieder hinter uns stehen, bin ich motiviert für das Amt. 

Die UBS ist wieder eine private Firma ohne Staatsgarantien und die Schweiz hat am Ende sogar Geld daran verdient. Sie lagen falsch mit Ihrer Opposition gegen Keller-Sutters Pläne. 

Wermuth: Es ist tatsächlich überraschend, dass die UBS so schnell aus dem Deal ausgestiegen ist. Es zeigt aber auch, dass die Credit Suisse ein sehr billiges Geschenk war. Ich sehe unsere Kritik, dass keine Bedingungen gestellt wurden, sogar noch unterstrichen. Bis im März waren wir ein kleines Land mit zwei Grossbanken. Jetzt sind wir eine Mega-Bank, die noch ein kleines Land hat. Früher oder später wird die UBS die Schweiz in die Bredouille bringen. Ich habe grosse Bedenken, dass wir die Megabank wieder werden retten müssen – mit gigantischen Risiken für uns alle, während die Manager weiterhin Millionen-Boni kassieren.

Wie interpretieren Sie die Offensive der Bank? 
Meyer: Die UBS hat nun Gewinn gemacht, es lief besser als erwartet. Das Risiko trugen aber wir als Steuerzahlende und das gilt leider nach wie vor. Ich befürchte, die UBS hat bewusst gehandelt, bevor wir nächste Woche im Bundeshaus über Boni-Verbote und höhere Eigenkapitalvorschriften diskutieren. Die Bürgerlichen werden nun argumentieren, dass das Problem gelöst sei und die Politik nichts mehr zu sagen habe. Das sehe ich anders. 
Wermuth: Das kurzfristige Risiko liegt nun bei den Angestellten. Die Bank hat sich ihrer moralischen Fesseln entledigt, bevor sie viele Menschen auf die Strasse stellen wird. 

Die Co-Chefs der SP halten daran fest, dass die «neue» UBS ein immenses Risiko für die Steuerzahlenden darstellt. 

Die Co-Chefs der SP halten daran fest, dass die «neue» UBS ein immenses Risiko für die Steuerzahlenden darstellt. 

20min/Michael Scherrer

Sie setzen im Wahlkampf auf die schwindende Kaufkraft. Was sind aus Ihrer Sicht die zwei wichtigsten Punkte? 
Meyer: Das sind ganz klar Mieten und Krankenkassenprämien. Ein Miethaushalt zahlt heute 370 Franken zu viel pro Monat, weil Immobilienkonzerne Renditen verlangen, die eigentlich im Gesetz verboten wären. Und die Krankenkassenprämien sind für viele kaum mehr bezahlbar. 

Dass die Prämien viele Menschen beschäftigen, ist ein Fakt. Aber: Das Dossier ist seit Jahren in SP-Hand. 
Meyer: Ja, Alain Berset hat viele gute Ideen gebracht. Die Gesundheitslobbys, namentlich die Pharma-Industrie, haben aber Vorschläge, welche die Prämien gesenkt hätten, gebodigt.
Wermuth: Es kann einfach nicht sein, dass Lobbyisten wie Mitte-Nationalrat Lorenz Hess für einen Posten als Visana-Verwaltungsratspräsident 160’000 Franken kassieren. Wir werden einen Lohndeckel bei solchen Mandaten fordern. Diese Politiker sind finanziert durch Lobbys und handeln nicht im Interesse von Patientinnen und Patienten. 

Apropos 160’000 Franken: Sie verdienen mit dem Nationalratsmandat und der Entschädigung fürs Präsidium eine ähnliche Summe. Spüren Sie in der Oberschicht die schwindende Kaufkraft auch persönlich? 
Meyer: Ein Teil dieses Einkommens sind Spesen für Übernachtungen und Beiträge für persönliche Mitarbeitende. Aber: Ich beklage mich nicht und bin mir bewusst, dass mein Lohn höher ist als bei vielen. Der Prämienanstieg für mich und meine Kinder betrug dieses Jahr 13 Prozent. Ich kann das abfedern, aber viele Menschen müssen auf Sommerferien verzichten oder können ihren Kindern keine neuen Schuhe kaufen. 
Wermuth: Wenn auch wir im Budget merken, dass unsere Mieten stark steigen, muss man sich fragen, was das für andere Menschen bedeutet. Kürzlich wurde bekannt, dass 750’000 Personen in der Schweiz in Armut leben. Wenn Mieten und Prämien weiter steigen, werden wir eine neue Dimension von Armut im Land haben, die wir uns nicht vorstellen können. Die neusten Prognosen zur Entwicklung der Prämien haben mich schockiert.

«Ich beklage mich nicht und bin mir bewusst, dass mein Lohn höher ist als bei vielen», sagt Mattea Meyer. 

«Ich beklage mich nicht und bin mir bewusst, dass mein Lohn höher ist als bei vielen», sagt Mattea Meyer. 

20min/Michael Scherrer

Sie kritisieren die Ausländer-Kampagne der SVP scharf, liefern aber selbst keine konkreten Antworten. Ist ein Bevölkerungswachstum von 100’000 Menschen pro Jahr im Interesse der Schweiz? 
Meyer: Die SVP führt eine verlogene Diskussion. Sie schreit laut, aber beantwortet nie die Fragen, welche Spitäler geschlossen und welche Baustellen nicht mehr weitergeführt werden sollen. Hier sind wir angewiesen auf Menschen aus dem Ausland.
Wermuth: Die Schweiz sucht aktiv nach diesen Leuten, damit das Bildungssystem und das Gesundheitswesen weiterlaufen. Sie arbeiten für unseren Wohlstand. Gleichzeitig kämpfen die Bürgerlichen für Steuergeschenke, damit noch mehr internationale Firmen ins Land kommen. Aber: Natürlich führt eine wachsende Gesellschaft zu Problemen. In Zürich eine Wohnung zu finden, ist schwierig. Aber das hat nichts mit dem Pass zu tun, sondern mit der unverschämten Immobilien-Lobby. 

Ihre Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hatte einen holprigen Start und hinkt Albert Rösti in Beliebtheitsrankings hinterher. Warum ist sie die Richtige, um das Asylwesen zu managen?  
Meyer: Ich bin sehr froh, dass sie auf diesem Posten ist. Es geht um Menschen, die alles verloren haben und ihr Leben zurücklassen mussten. In so einer Situation wäre ich auch froh um Schutz und Menschlichkeit. Dafür ist unsere Bundesrätin ein Garant.
Wermuth: Es ist ein billiges politisches Spiel. Es gibt weltweit so viele Flüchtlinge wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Und sie sollte in den Augen der SVP innert ein paar Monaten die globale Asylkrise gelöst haben. Sie schlug mit den Asylcontainern eine Lösung vor, die von den Bürgerlichen aus Wahlkampfmotiven abgelehnt wurde. 

Die Klima-Thematik hat durch ein paar kühle Wochen im Sommer an Durchschlagskraft verloren. Wo sehen Sie nach dem Ja zum Klimagesetz Handlungsbedarf?
Wermuth: Inlandflüge in der Schweiz gehören verboten. Dann muss Europa das Netz des öffentlichen Verkehrs massiv ausbauen. Ist das geschafft, ist auch ein Verbot von Kurzstreckenflügen in Europa durchaus eine Option, wie Diskussionen in anderen Ländern zeigen. Unser Angebot zu einer langfristigen Lösung ist die Finanzplatz-Initiative, welche eine konsequente Grüngeld-Strategie verlangt. 

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