Affäre GaddafiChronik der Libyen-Krise
Nach der vorübergehenden Festnahme eines Sohns von Staatschef Muammar Gaddafi ist es zu einer diplomatischen Krise zwischen der Schweiz und Libyen gekommen.
Hier die wichtigsten Stationen des Konflikts:
15. Juli 2008: Hannibal Gaddafi, Sohn von Muammar Gaddafi, und seine Ehefrau Aline werden im Genfer Luxushotel President Wilson verhaftet. Zwei Bedienstete, ein Marokkaner und eine Tunesierin, verklagten das Paar wegen einfacher Körperverletzung, Drohung und Nötigung. Sie werfen den Gaddafis vor, sie geschlagen, beleidigt und härtesten Arbeitsbedingungen unterworfen zu haben.
17. Juli: Gegen die Zahlung einer Kaution von einer halben Million Franken wird das Ehepaar Gaddafi entlassen. Gleichentags ergreifen die libyschen Behörden gemäss dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) «beunruhigende Retorsionsmassnahmen».
18. Juli: Das Ehepaar Gaddafi reist begleitet von zwei Medizinern des Genfer Universitätsspitals aus.
19. Juli: In Libyen werden zwei Schweizer festgenommen, darunter ein Mitarbeiter des Industriekonzerns ABB - dies wegen angeblicher Verstösse gegen Einwanderungs- und andere Gesetze. Die ABB und andere Unternehmen müssen ihre Büros schliessen. Die Fluggesellschaft Swiss muss auf Aufforderung Libyens ihre Verbindungen nach Tripolis einschränken.
22. Juli: Bundesrätin Micheline Calmy-Rey, die wegen der Affäre ihre Ferien abbricht, protestiert in einem Telefongespräch mit ihrem libyschen Amtskollegen Abderraham Shalgan gegen die Massnahmen.
23. Juli:Eine diplomatische Delegation bricht nach Libyen auf, um den libyschen Behörden die Umstände der vorübergehenden Verhaftung des Gaddafi-Sohns Hannibal zu erläutern. Das EDA macht die Krise publik: Gegen Schweizer Firmen seien Schliessungsbefehle erlassen worden. Zudem verweigere Libyen die Ausstellung von Visa und Ausreisebewilligungen. Der Luftverkehr zwischen den beiden Ländern wird reduziert. Als Vorsichtsmassnahme rät das EDA bis auf weiteres von Reisen nach Libyen ab.
24. Juli: Die libysche nationale Schiffsgesellschaft gibt bekannt, dass sie die Öllieferungen an die Schweiz bereits am Vortag eingestellt hat. Die beiden Schweizer, die sich in Polizeigewahrsam befinden, werden formell in Haft genommen und angeklagt. Sie werden beschuldigt, gegen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen verstossen zu haben.
25. Juli: Das EDA spricht von einer «Krise» in den Beziehungen Schweiz-Libyen. Frankreich und Italien bieten ihre Vermittlung an.
26. Juli: Libyen verlangt eine Entschuldigung der Schweiz für die Festnahme und eine Einstellung des Verfahrens gegen den Gaddafi- Sohn und dessen Frau. Die Schweiz lehnt dies ab. Bundespräsident Pascal Couchepin erklärt sich zu direkten Gesprächen mit dem libyschen Staatschef Muammar Gaddafi bereit.
28. Juli: Die Haftbedingungen der beiden inhaftierten Schweizer werden etwas gelockert. Die bilateralen Bemühungen laufen weiter auf Hochtouren: Die Schweiz und Libyen verhandeln direkt miteinander und greifen nicht auf die Hilfe von Drittstaaten zurück, gibt EDA- Sprecher Jean-Philippe Jeannerat bekannt.
29. Juli: Die beiden Schweizer werden gegen Bezahlung einer Kaution in der Höhe von je 9.000 Franken auf freien Fuss gesetzt. Sie sind wohlauf, dürfen das Land vorerst aber nicht verlassen. Libyen liefert weiter Öl an die Schweiz. Libyen rät seinen Bürgern von Reisen in die Schweiz ab.
29. Juli bis 2. August: Eine Schweizer Delegation unter Botschafter Pierre Helg führt erneut Gespräche mit hochrangigen libyschen Diplomaten.
10. Aug.: Erstmals seit dem 20. Juli fliegt wieder eine Swiss- Maschine nach Libyen.
13. Aug.: Der Genfer Staatsanwalt Daniel Zappelli will das Verfahren gegen Hannibal Gaddafi und seine Frau Aline nicht aus politischen Motiven einstellen.
15. Aug.: Libyen lässt die festgenommene Mutter des Hausangestellten frei, der Hannibal Gaddafi in Genf wegen Misshandlung angezeigt hatte. Ein Bruder ist allerdings noch in Haft.
13. bis 16. Aug: Eine hochrangige libysche Delegation unter Leitung von Khaled M. Kaim, Generalsekretär des libyschen Aussenministeriums, führt Gespräche in der Schweiz, unter anderem mit EDA-Staatssekretär Michael Ambühl.
2. Sept.: Die beiden Bediensteten von Hannibal und Aline Gaddafi ziehen in Genf ihre Anzeige gegen ihre ehemaligen Arbeitgeber zurück. Laut ihrem Anwalt wurde die Entscheidung aus freien Stücken und nach Zahlung einer Entschädigung gefällt.
3. September: Die Genfer Staatsanwaltschaft stellt das Strafverfahren ein. Die von den Gaddafis geleistete Kaution wird freigegeben.
31. Oktober: Libyen erlaubt sieben Schweizer Bürgerinnen und Bürgern die Ausreise. Die beiden Schweizer, die vergangenen Juli in Tripolis vorübergehend inhaftiert worden waren, dürfen das Land aber nach wie vor nicht verlassen.
7. Januar: Die Genfer Regierung stellt sich in der Affäre Gaddafi einmal mehr hinter die Justiz und die örtlichen Polizeibehörden.
23. Januar: EDA-Vertreter reisen nach Libyen für weitere Verhandlungen.
30. Januar: Aussenministerin Micheline Calmy-Rey trifft den Sohn von Gaddafi, Saif al Islam Gaddafi, am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos. Dieser verspricht, das Problem der Festgehaltenen so rasch wie möglich zu lösen. Im Gegenzug soll die Schweiz die vorübergehende Festnahme seines Bruders im Juli in Genf als «unangemessen und unnötig» bezeichnen.
8. April: Libyen reicht Klage mit Schadenersatzforderung von 50.000 Franken gegen Genfer Behörden ein.
29. Mai: Aussenministerin Micheline Calmy-Rey reist nach Tripolis. Sie führt Gespräche mit dem Premier- und dem Aussenminister und trifft die festgehaltenen Schweizer.
20. August 2009: Bundespräsident Hans-Rudolf Merz reist nach Tripolis und unterzeichnet einen Vertrag zur Beilegung der Krise. Darin verpflichtet sich die Schweiz, für die «ungerechtfertigten» und «unnötigen» Massnahmen der Genfer Behörden und der Schweiz zu entschuldigen.
23. August: Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf äussert rechtliche Bedenken zur Entschuldigung von Merz.
24. August: Merz muss der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates Red und Antwort stehen wegen des Vertrages mit Libyen.
25. August: Die «Falcon» der Schweizer Air Force landet nach problemloser Überflugerlaubnis auf dem Militärflugplatz Tripolis.
26. August: Die beiden Geschäftsleute erhalten ihre Pässe und ein Ausreise-Visum.
28. August: Der Bundesratsjet kehrt ohne die beiden Männer, aber mit einem Teil ihres Gepäcks aus Libyen zurück. Das nordafrikanische Land besteht darauf, dass die zwei mit einem Linienflug ausreisen.
28. August: Das EDA beauftragt Staatssekretär Michael Ambühl mit der Umsetzung des Vertrages mit Libyen.
30. August: Der Bundesrat ernennt die britische Juristin Elizabeth Wilmshurst als Vertreterin für das vereinbarte Schiedsgericht.
31. August: Laut dem Vize-Aussenminister Khaled Kaim ist es möglich, dass die beiden Schweizer vor der Abreise noch einmal vor dem Staatsanwalt erscheinen müssen.
2. September: Der Bundesrat bekräftigt seinen Willen, die Vereinbarung mit Libyen umzusetzen. Bundespräsident Hans-Rudolf Merz und Aussenministerin Micheline Calmy-Rey erklären an einer gemeinsamen Medienkonferenz in Bern, sie erwarteten von Libyen das gleiche.
4. September: Die Genfer Zeitung «Tribune de Geneve» veröffentlicht zwei Polizeifotos von Hannibal Gaddafi.
5. September: Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates will abklären, wie sich der Bundesrat in der Krise mit Libyen genau verhalten hat.
24. September: Bundespräsident Hans-Rudolf Merz trifft in New York mit dem libyschen Staatschef Muammar al Gaddafi zusammen. Es wird bekannt, dass Libyen die beiden Schweizer Mitte September mit einem Trick aus der Botschaft gelockt und an einen «sicheren Ort» gebracht hat.
Anfang Oktober: Libyen ersetzt Saad Jabbar durch Sreenivasa Pammaraju Rao als seinen Richter im bilateralen Schiedsgericht.
15. Oktober: Libyen lässt eine hochrangige Delegation von Staatssekretär Michael Ambühl nicht einreisen.
20. Oktober: Theoretische Frist für die Normalisierung der schweizerisch-libyschen Beziehungen.
(sda/dapd)