Überall TränengasCNN-Reporterin geht mit Gasmaske auf Sendung
Der US-Sender unterbrach in der Nacht auf heute das Programm und sendete live vom Taksim-Platz. Dabei mussten die Reporter unter Gasmasken berichten. Diese sind allgegenwärtig – und hoch im Kurs.
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Tränen laufen über das Gesicht von Reporterin Arwa Damon, die mit ihrem Kamerateam direkt vom Taksim-Platz berichtet. Ein Mitglied des Teams besprüht sie mit Flüssigkeit, um den Juckreiz zu lindern, doch tapfer spricht sie weiter ins Mikrofon. Zuvor hatte sie sogar mit der Maske auf dem Gesicht berichtet. Auch ihr Kollege Nick Paton Walsh musste sich immer wieder mit einer Gasmaske vor den ätzenden Schwaden schützen. Sein Team dunkelte in der Nacht sogar die Lampen ab, um nicht zuviel Aufmerksamkeit der Polizei auf sich zu ziehen. Auch Richard Engel von NBC und Reporter der BBC mussten laut Huffington Post mit einem Atemschutzgerät berichten.
Die Bilder, die internationale Sender liefern, sind auch für die türkische Bevölkerung wichtig – einheimische Medien üben in der Berichterstattung demütige Zurückhaltung und wurden dafür harsch kritisiert. Jake Tapper von CNN: «Wir wissen, dass viele Menschen in der Türkei uns vermutlich genau jetzt zuschauen, weil sie den Medien in ihrem Land nicht trauen.»
Gasmasken an jeder Ecke
Strassenhändler bieten mittlerweile statt Regenschirmen Atemschutzmasken und Taucherbrillen an, wie die TAZ berichtet. Die Menschen haben gelernt, wie sie sich teils mit Eigenbau-Masken (siehe Diashow) vor dem beissenden Gas schützen können – und nehmen es sogar mit Humor: In Ankara «begrüsst» die Menge die Polizeikräfte vor Strassenschlachten mit «Hurra, Pfeffergas»-Rufen, an den Wänden haben Unbekannte «Pfeffergas knallt gut!» oder «Das nächste Mal bitte mit Erdbeergeschmack!» gesprayt. Auch «Was haben die Reichen für schöne Gasmasken» ist da zu lesen.
Schlimm wie nie
In Istanbul ist es in der Nacht auf heute Mittwoch, den 12. Juni, zu den schlimmsten Zusammenstössen zwischen Polizei und Demonstranten seit Ausbruch der Proteste vor zwei Wochen gekommen.
Der Taksim-Platz wurde gewaltsam geräumt. Dabei gab es Dutzende Verletzte.
Dabei hatten sich am Vorabend auch Menschen versammelt, die in Bürokleidung direkt von der Arbeit gekommen waren, um friedlich zu protestieren. Familien mit Kindern nahmen teil. Der Grossteil der Menschen rettete sich vor der Polizei in die angrenzenden Strassen. Mit einem harten Kern an Demonstranten lieferte sich die Polizei die Auseinandersetzungen.
Am Morgen war der Platz menschenleer, nur noch übersät mit Teilen der von Bulldozern abgerissenen Barrikaden, die die Demonstranten errichtet hatten. Erstmals seit fast zwei Wochen passierten wieder Taxis den Platz.
Einige hundert Menschen verharrten aber in dem in unmittelbarer Nähe liegenden Gezi-Park, von dem aus die Proteste ihren Anfang genommen hatten.
Ursprünglich richteten sie sich gegen die geplante Bebauung des Parks, wuchsen sich aber zu einem gesellschaftlich breit unterstützten Protest gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan aus.
Erdogan kündigt Treffen mit Protestbewegung an
Erdogan hat für den heutigen Mittwoch ein Treffen mit führenden Vertretern der Protestbewegung angekündigt. Die Demonstrierenden bezeichnete er mehrfach als «Gesindel». Auch hat er klargestellt, dass er vor den Demonstranten «nicht in die Knie gehen» wird.
Doch die Taksim-Plattform, die zu den wichtigsten Organisatoren der Demonstrationen gehört, hatte erklärt, sie sei nicht zu dem Gespräch eingeladen. Viele Aktivisten betrachten das Angebot Erdogans zum Dialog als ein politisches Feigenblatt.
Der türkische Ministerpräsident wurde besonders aus dem Ausland wegen seines harten Vorgehens gegen die Demonstranten kritisiert. Er verteidigte den massiven Polizeieinsatz mehrfach und sieht die Türkei als Opfer von Angriffen aus dem In- und Ausland.
Internationalen Medien warf er vor, Unruhe schaffen zu wollen, um die Wirtschaft des einzigen muslimischen Nato-Mitglieds zu untergraben.