Grönemeyer -Interview: «Da ist jetzt Selbstkritik gefragt»

Aktualisiert

Grönemeyer -Interview«Da ist jetzt Selbstkritik gefragt»

Armutsbekämpfung ist edel, aber auch kompliziert, hat Herbert Grönemeyer lernen müssen. Ausserdem nimmt der Sänger Stellung zum Thema Deutsche in der Schweiz.

von
Philipp Dahm

Nachdem Herbert Grönemeyer mit 20 Minuten Online über sein neues Album Schiffsverkehr gesprochen hat (siehe Artikel), fand der 53-Jährige auch Zeit, heikle Themen anzusprechen. Dabei geht es einerseits um das Verhältnis zwischen Deutschen und Schweizern und andererseits um das Projekt «Deine Stimme gegen Armut», dem sich der Sänger schon vor langer Zeit verpflichtet hat.

20 Minuten Online: Sie setzen sich stark im Kampf gegen Armut ein. Beim G8-Gipfel in Rostock fanden Sie Gehör bei den Politikern: Haben Sie ihr Ziel erreicht?

Herbert Grönemyer: Im Jahr 2000 haben die Regierungen versprochen, die Armut in der Welt zu halbieren. Daran wollten wir 2007 erinnern, die Ziele sind bei Weitem nicht erreicht. Aber wir müssen uns auch im Nachhinein fragen, ob unser Ansatz richtig war. Da ist jetzt Selbstkritik von unserer Seite gefragt. Man geht da zum Teil auch blauäugig rein: Beim ersten «Live Aid» sind nach neuesten Untersuchungen in Äthiopien ganze Stämme umgesiedelt worden, um den Hunger zu repräsentieren. Es ist kompliziert.

Selbstkritik? Das müssen Sie erklären.

Ich glaube, dass die Politik anders funktioniert. Die wirtschaftlichen Interessen sind gross. Ich habe Entwicklungshelfer besucht: Man hat da manchmal das Gefühl, das ist für die Regierung ein finanzierter Alibi-Einsatz. Auch weil der Westen anderes im Sinn hat: Es gibt auch ein Interesse an Instabilität, um an Rohstoffe zu kommen. Was uns Künstlern wirklich gelungen ist: Wir haben Afrika wieder ins Bewusstsein gerückt. 2006 hatte das eher wenige interessiert.

Wollen Sie den Kampf etwa aufgeben?

Man unterschätzt, was sich da letztendlich bewegt. Es hat eine Dynamik erreicht, die wir kaum durchschauen. Aber wir machen da weiter. Hans Eichel, der ehemalige deutsche Finanzminister, hat später zugegeben, dass er in Edinburgh [beim G8-Gipfel 2005, d. Red.] dem Schuldenerlass nur zugestimmt hat, weil wir diesen Druck gemacht haben. Und die Deutschen waren damals das Zünglein an der Waage.

Welchen Hilfsorganisationen trauen Sie?

«Oxfam» ist sehr gut, weil sie sehr unabhängig sind. Ich habe sie in Afrika erlebt. Und «Ärzte ohne Grenzen» sind eine Gruppe, die wirklich autark ist. Aber wir lassen auch nicht locker. Wir nerven halt. Die Frau Merkel mag uns nicht, aber inzwischen hält sie sich an ihre Versprechen.

Was sagen Sie zu der Demokratiebewegung in Nordafrika?

Es gibt eine «positive Globalisierung». Jugendliche in Nordafrika kennen die Welt durch Studium oder elektronische Medien: Sie wollen nun langsam ein Leben mit der Atemfreiheit führen, die sie in anderen Ländern kennengelernt haben. Durch das Netz gibt es eine neue Jugendbewegung in der arabischen Welt. Es ist ein Versuch, in diesem Jahrhundert anzukommen.

Wie erleben Sie als Deutscher in Zürich die Unterschiede zwischen ihren Landsleuten und den Schweizern?

Es gibt grosse kulturelle Unterschiede. In diesem Wissen liegt auch die Chance, dass sich beide besser verstehen. Manche haben wohl das Gefühl, der grosse Kanton nimmt die Schweiz nicht ernst, obwohl ich glaube, dass das nicht stimmt. Ich glaube, wir Deutschen haben grossen Respekt vor den Schweizern, sehen sie auch als gebildete, höfliche Nation an. Das grösste Missverständnis ist, dass die Deutschen nicht wissen, dass Hochdeutsch wie eine halbe Fremdsprache für die Schweizer ist. Und umgekehrt denken die Schweizer, dass der Deutsche ihm mit seinem schnellen Reden zeigen will, dass er die Sprache nicht richtig beherrscht. Was nicht stimmt. Der redet nun mal so. Das merkwürdige Verhältnis zwischen Schweizern und Deutschen fusst meiner Meinung nach vor allem auf Missverständnissen. Das ist sehr schade. Mir begegnen die Schweizer aber mit sehr viel Freundlichkeit.

Das klingt, als gefalle es Ihnen.

Ich bin hier wirklich gern. Ich mag den Humor der Schweizer: Die haben eine Selbstironie, die wir Deutschen nicht haben. Ganz subtil. An sich müsste das Verhältnis heiterer sein: Es gibt gar nicht so viele Probleme.

Was vermissen Sie an Zürich, wenn Sie gerade in Berlin oder London sind?

Zürich ist klar, strukturiert. Die Leute haben ein präzises Demokratieverständnis: nicht so wischi-waschi, die Fronten sind klar. Das Land selber ist hinreissend – wie im Kinder-Kinofilm. Auch im Miteinander hat dieses Vier-Kulturen-Land Schweiz ein klares Verhältnis. Im Gegensatz zu uns Deutschen wird hier nichts schöngeredet. Man kann in Zürich ausserdem um Klassen besser essen als in Berlin und für die Grösse der Stadt ist Zürich sehr international, sehr aufgestellt, sehr klug: Man kann hier alles kriegen, was man will. Auch für den Kopf. Und dann ist da natürlich der See … Atmosphärisch hat die Stadt etwas sehr Klares, Zurückgelehntes und Erholsames. Die Schweiz hat eine grosse Qualität. Ich erhole mich hier sofort.

Es gibt aber Schweizer, die sagen, erst London oder Berlin seien «richtige Städte» …

Es sind einfach drei verschiedene Frauen und davon ist keine besser. In Berlin findet Gegenwart statt: Die Stadt ist noch nicht fertig, der Westen und Osten prallen aufeinander. London ist sehr heiter. Hier geht es nur über Humor. Es ist hochkapitalistisch, extrem bunt und rock'n'rollig. Aber es sind eben drei verschiedene Frauen und Zürich hat da eine ganz eigene, stolze Qualität, die die anderen nicht haben. Die Schuhgrösse ist nicht dieselbe: London hat neun Millionen Einwohner, Berlin dreieinhalb. Zürich ist dagegen so gross wie Bochum – aber hier gibt es trotzdem alles.

www.20min.ch/soundshack/player/?albumId=0000000016664636

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