BergungstodDarum starb Zeynep, nachdem sie aus den Trümmern gerettet wurde
Über 100 Stunden hat Zeynep im türkischen Kirikhan unter Trümmern ausgeharrt. Die Nachricht ihrer Rettung ging um die Welt. Doch nur einen Tag später starb sie den sogenannten Bergungstod. Das steckt dahinter.
- von
- Fee Anabelle Riebeling
Darum gehts
Die Nachricht ihrer Rettung nach mehr als hundert Stunden unter Trümmern ging um die Welt.
Wenige Stunden später musste das deutsche Team, das die Frau lebend bergen konnte, nun ihren Tod bekannt geben.
Die 40-Jährige ist den sogenannten Bergungstod gestorben.
Der Begriff beschreibt das Phänomen, dass gerettete Personen kurz nach der Rettung versterben.
Das Risiko für einen Bergungstod ist nach jeder komplizierten Rettungsaktion 48 Stunden besonders hoch.
Es war eine der wenigen guten Nachrichten in den Tagen nach den verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet: Rettungskräften war es am Freitag gelungen, eine Frau aus den Trümmern eines sechsstöckigen Hauses im türkischen Kirikhan lebend zu bergen. Der Einsatz hat mehr als 50 Stunden gedauert. Mehr als doppelt so lange war die 40-jährige Zeynep von dem Schutt eingeklemmt gewesen.
Doch nur einen Tag später gaben die Helfer eine «traurige Nachricht» bekannt: «In der Nacht ist Zeynep gestorben», heisst es in einem Instagram-Post der Hilfsorganisation Isar Germany.
Bergungstod ist bekanntes Phänomen
Für viele Menschen kam diese Nachricht unerwartet – nicht aber für die Bergungsspezialistinnen und -spezialisten. Sie wissen, dass es auch nach der Rettung noch Gefahren gibt. «Wir haben alle gewusst, dass es ein hohes Risiko ist, dass sie, sobald sie geborgen ist, am sogenannten Bergungstod stirbt», zitiert Bild.de Sören Leymann, ehrenamtlicher Unfallchirurg bei Isar. So wird das Phänomen bezeichnet, dass gerettete Personen kurz nach der Rettung versterben – aus erst mal unerklärlichen Gründen.
Auch bei Zeynep ist die genaue Todesursache noch unklar. Laut Leymann ist sie «wahrscheinlich an Nierenversagen gestorben». Dazu kann es kommen, wenn durch den Druck der Trümmerteile die Durchblutung in Gliedmassen unterbrochen wurde. In der Folge sterben darin Muskelzellen ab, die zu einer Freisetzung von Elektrolyten (siehe Box) führen. Wenn nach der Befreiung aus den Trümmern der Druck weg ist und das Blut wieder in den Blutkreislauf fliesst, kann das zu Herzrhythmusstörungen führen, die ein Nierenversagen verursachen können.
Was sind Elektrolyte?
Elektrolyte sind kleine geladene, gelöste Mineralstoffteilchen (Ionen), die entscheidend für die Flüssigkeitsverteilung und den Wasserhaushalt im menschlichen Organismus sind. Die Elektrolyte im Blut – Natrium, Kalium, Chlorid und Bikarbonat – helfen bei der Regulierung der Nerven- und Muskelfunktion und halten den Säure-Basen-Haushalt.
Negativ ausgewirkt haben dürfte sich auch, dass die 40-Jährige mindestens zwei Tage nichts zu trinken gehabt hat, wie es vonseiten von Isar Germany heisst. Ausserdem war sie «völlig erschöpft und bestimmt auch schwer traumatisiert, weil sie wusste, dass sie mit ihrer gesamten Familie dort lag und alle verstorben sind», so Peter Kaup, ärztlicher Leiter der Isar zu Wdr.de.
Vorerkrankungen, Flüssigkeitsmangel, Stress
Weitere Faktoren, die zum Bergungstod führen können, sind Vorerkrankungen und Flüssigkeitsmangel. Weiter könne auch noch Unterkühlung auftreten, «wenn der Verunglückte mehr Körperwärme an die Umgebung verliert, als die Thermoregulation ausgleichen kann», so der Berliner Notfallarzt Tankred Stöbe, der für Ärzte ohne Grenzen arbeitet, zu 20 Minuten: «Wenn der Patient dann aktiv erwärmt wird, kann es zum Wiedererwärmungskollaps mit Herzrhythmusstörungen kommen.»
Weiter bestehe bei Katastrophenopfern die Gefahr, dass die Stressreaktion plötzlich aussetze: «Die Stresshormone, die ein Aufrechterhalten der lebenswichtigen Organfunktionen ermöglichen, reduzieren sich nach der Rettung und der aufrechterhaltene Blutkreislauf bricht zusammen.» Das Risiko für einen Bergungstod ist nach jeder komplizierten Rettungsaktion 48 Stunden besonders hoch.
Folgenschwerer Unfall mit auch guten Folgen
Dass man bei der Bergung von Verunglückten besonders Vorsicht walten lassen muss, zeigt auch ein Fall aus dem Jahr 1979. Damals kam es beim Fastnet Race, einer Segelregatta für Yachten im Ärmelkanal und in der Keltischen See, zur Katastrophe. Die 303 teilnehmenden Schiffe wurden von einem Orkan überrascht. Der Wetterdienst der BBC, so heisst es, habe die Orkanwarnung verschlafen. Viele Boote erlitten Schiffbruch, auch das des Teilnehmers Frank Ferris.
Ferris selbst ging über Bord. Ein Retter seilte sich von einem Helikopter der Royal Navy hinab und rettete ihn – senkrecht am Seil hängend – aus dem Wasser. Doch schon wenige Minuten später starb er. Seither werden bei Bergungen aus der Luft Rettungstragen oder Rettungskörbe eingesetzt, um Verunfallte in waagerechter Position aus dem Wasser ziehen zu können. Rettungsboote haben seit damals Türen am Rumpf, die eine schonende waagerechte Bergung ermöglichen.
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