50-mal stärker als Heroin: Darum tötet Fentanyl so viele Menschen

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50-mal stärker als HeroinDarum tötet Fentanyl so viele Menschen

Der Rekord-Drogenfund in den USA wirft ein Schlaglicht auf eines der tödlichsten Opioide überhaupt: das Fentanyl.

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jcg
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Mitverantwortlich an der Drogenkrise in den USA ist Fentanyl. Das sind 2 Milligramm des Opioids. Das reicht, um bei 99 Prozent der Menschen zum sofortigen Tod zu führen. Kein Wunder: Fentanyl ist 100-mal stärker als Morphium.

Mitverantwortlich an der Drogenkrise in den USA ist Fentanyl. Das sind 2 Milligramm des Opioids. Das reicht, um bei 99 Prozent der Menschen zum sofortigen Tod zu führen. Kein Wunder: Fentanyl ist 100-mal stärker als Morphium.

AP/Cliff Owen
Nochmals zur Verdeutlichung: Rechts neben dem amerikanischen 1-Cent-Stück liegt eine tödliche Menge Fentanyl.

Nochmals zur Verdeutlichung: Rechts neben dem amerikanischen 1-Cent-Stück liegt eine tödliche Menge Fentanyl.

DEA
In den USA sind Rettungskräfte und Ordnungshüter angehalten, Schutzkleidung zu tragen, wenn Fentanyl im Spiel ist, da selbst Hautkontakt zu einer Überdosis führen kann.

In den USA sind Rettungskräfte und Ordnungshüter angehalten, Schutzkleidung zu tragen, wenn Fentanyl im Spiel ist, da selbst Hautkontakt zu einer Überdosis führen kann.

Getty Images/Boston Globe

Im August stellten New Yorker Drogenfahnder bei einem Ehepaar 64 Kilogramm reines Fentanyl sicher. Es war mit Abstand die grösste Menge des potenten Opioids, die den Gesetzeshütern in den USA jemals ins Netz ging. Wenn man davon ausgeht, dass gerade einmal 2 Milligramm des Mittels reichen, um einen Menschen zu töten, hätte die sichergestellte Menge 32 Millionen Leben kosten können.

Fentanyl wurde in den 1960er-Jahren als Anästhetikum für Operationen entwickelt. Seit den 1990er-Jahren wird es zur Behandlung von chronischen Schmerzen, zum Beispiel an Krebspatienten im fortgeschrittenen Stadium, verabreicht. Für medizinische Anwendungen gibt es Fentanyl als Tablette, Pflaster und Injektionslösung. In diesen Formen ist es auch in der Schweiz im Handel, steht aber unter verschärfter Rezeptpflicht. Das heisst, es darf nur einmalig auf ärztliche Verschreibung abgegeben werden (Abgabekategorie A).

Der Vorteil von Fentanyl bei der Schmerzbehandlung ist, dass es rund 100-mal stärker als Morphium ist. Es kann deshalb in geringerer Dosis verabreicht werden. Doch es ist genau diese Tatsache, die Fentanyl bei Missbrauch so tödlich macht. Denn das Opioid ist nicht nur viel wirkungsvoller als Morphium, es ist auch rund 50-mal stärker als Heroin.

Hautkontakt kann tödlich sein

Die Auswirkungen bekommen besonders die USA zu spüren, die von einer nie dagewesenen Drogenkrise erschüttert werden: Von 64'000 Todesfällen durch Drogen-Überdosierungen im vergangenen Jahr gingen laut US-Justizministerium rund 20'000 auf pures oder mit anderen Drogen versetztes Fentanyl zurück.

Die US-Seuchenschutzbehörde CDC hat inzwischen die Order ausgegeben, dass Sicherheits- und Rettungskräfte nur noch in Schutzanzügen an Einsatzorte vorrücken dürfen, wo Fentanyl im Spiel ist. Wie gefährlich Unvorsichtigkeit im Umgang mit dem Opioid ist, musste ein Polizist in East Liverpool, Ohio, erfahren. Er erlitt im Mai eine Überdosis, weil er nach einem Einsatz mit blossen Händen einen Rest Fentanyl von seinem Hemd gewischt hatte.

Fentanyl wirkt auch deutlich schneller als Heroin. Laut einer Umfrage der CDC unter Betroffenen zeigen sich die Symptome einer Überdosis in wenigen Sekunden. Während man bei Heroin vor dem Zusammenbruch durchaus noch eine Unterhaltung führen könne, trete er bei Fentanyl-Nutzern praktisch unverzüglich ein, erklärte ein Umfrage-Teilnehmer. «Sie haben nicht einmal die Zeit, die Nadel herauszuziehen, schon liegen sie am Boden.»

Kartelle reagieren

Das enorme Risiko einer Überdosis beim Konsum von Fentanyl oder mit Fentanyl gestrecktem Heroin hat nun offenbar auch die mexikanischen Drogenkartelle zum Handeln gezwungen. Sie sind es, die laut US-Behörden das mutmasslich im grossen Stil in China hergestellte illegale Fentanyl ins Land bringen. Nach einem Bericht der «Washington Post» verdünnen sie neuerdings das Fentanyl, bevor es in die USA gelangt. Aus dem einfachen Grund, weil zu viele Überdosen und die daraus resultierenden Todesfälle schlecht fürs Geschäft sind.

Und das Geschäft ist äusserst lukrativ. Im Gegensatz zu Heroin, das aus dem Milchsaft des Schlafmohns gewonnen werden muss, lässt sich Fentanyl synthetisch und entsprechend billig im Labor herstellen. Das ermöglicht es den Kartellen, enorme Gewinne zu erzielen. James Hunt, der New Yorker Chef der US-Drogenbehörde DEA, sagte dazu der «Washington Post»: «Ich kenne kein anderes Produkt, wo eine Investition von 3000 Dollar Millionen einbringt.»

100-mal stärker: Carfentanil

Doch so stark Fentanyl auch wirkt, es gibt ein Mittel, das noch stärker ist: Carfentanil. 10'000-mal so stark wie Morphium wird es von Tierärzten verwendet, um Elefanten zu betäuben. Mitte August 2016 verkaufte ein Dealer mit Carfentanil versetztes Heroin in Huntington, West Virginia, einem der am stärksten von der US-Drogenkrise heimgesuchten Orte. In der Folge verzeichneten die dortigen Rettungskräfte in nur sechs Stunden 28 Überdosen, wobei ein Mann daran starb.

Während die Drogenfahnder in den USA versuchen, den illegalen Fentanyl-Handel, der auch über das sogenannte Darknet und den Postweg abläuft, zu unterbinden, hat das Justizministerium nun auch ein Verbot aller mit dem Mittel Fentanyl verwandten Medikamente angekündigt. Mit der Massnahme sollen bisher legale Schlupflöcher geschlossen werden. Nachdem Präsident Donald Trump Ende Oktober den Gesundheitsnotstand ausgerufen hatte, ist das ein weiterer Schritt, um der Opioid-Krise Herr zu werden.

Keine Anzeichen in der Schweiz

In Europa hat laut der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) einzig Estland ein Problem mit illegalem Fentanyl. In der Schweiz habe es bisher nur eine kleine Zahl Beschlagnahmungen von sogenannten Opioid-haltigen Neuen Psychoaktiven Substanzen (NPS), zu denen auch Fentanyl gehört, gegeben, wie Monique Portner-Helfer, Mediensprecherin Sucht Schweiz erklärt. Denkbar sei der Verkauf via Internet. Die vorliegenden Daten erlaubten es aber nicht, das Ausmass eines möglichen Problems zu beziffern.

In einer vertieften Studie zum Betäubungsmittelmarkt im Kanton Waadt (PDF) habe Sucht Schweiz jedoch keine Anzeichen für den Gebrauch von Fentanyl gefunden. Weder von Konsumierenden noch von der Polizei gab es laut Portner-Helfer im Rahmen dieser Untersuchung entsprechende Hinweise.

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