Integration«Das grösste Hindernis ist die Isolation»
Dania Murad flüchtete vor vier Jahren aus Syrien in die Schweiz. Heute studiert sie an der Uni Bern und versucht anderen Geflüchteten zu helfen.
- von
- Raphael Casablanca
Dania Murad kam mit 19 Jahren in die Schweiz. Heute ist sie 23 Jahre alt, studiert an der Uni Bern und engagiert sich in der Flüchtlingspolitik. (Video:R.Casablanca)
«Ich erinnere mich noch gut an das erste Wort, das ich in Schweizerdeutsch hörte», erinnert sich Dania Murad. Sie war 19 Jahre alt, als sie mit ihrer Familie von Aleppo nach Biel flüchtete. «Ein Mann lief an mir vorbei und sagte ‹Grüessech› zu mir», erzählt die mittlerweile 23-Jährige, die ihr ganzes Leben in Syrien verbrachte. Sie sprach damals kein einziges Wort Deutsch und wusste nicht, wie sie reagieren sollte.
Heute studiert Dania Murad an der Universtät Bern Rechtswissenschaften, spricht ein fast perfektes Deutsch und arbeitet an einem Lehrmittel, das Flüchtlingen den Einstieg in die deutsche Sprache vereinfachen soll.
«Das grösste Hindernis für eine gelungene Integration, ist die Isolation der Betroffenen.»
In Muttersprache erklärt
«Ich sehe mich nicht als Musterbeispiel», entgegnet Murad. Denn jeder Mensch habe verschiedene Eigenschaften und Hintergründe, die ihn prägen würden: «Es braucht viel Mut, Motivation, Selbstbewusstsein und auch gute Leute, die einen unterstützen, um eine neue Sprache in kurzer Zeit zu erlernen.»
Heute engagiert sie sich, um anderen Geflüchteten den Zugang zur Schweizer Kultur zu vereinfachen. «Es gab zuvor kein Sprach-Lehrmittel, das die deutsche Grammatik in der Muttersprache der Lernenden erklärt und dabei auch den Schweizer Dialekt berücksichtigt.» Das hat Murad mit dem Verein «voCHabular» nun geändert. Am 21. September werden die ersten Exemplare ausgeliefert. Das Lehrmittel kann dank Crowdfunding und Stiftungsgeldern kostenlos angeboten werden und soll etwa in Asylzentren zum Einsatz kommen.
Arabisch – Deutsch – Schweizerdeutsch
Das Prinzip sei einfach: Die Grammatik werde in Arabisch erklärt und die Übungen in Deutsch gemacht. Jeder Übersetzungssatz ist in der Muttersprache des Lernenden, auf Deutsch und eben auch auf Schweizerdeutsch übersetzt.
Über 200 Vorbestellungen für das Lehrmittel sind bereits eingetroffen. Auch das Schweizerische Rote Kreuz begrüsst die Entwicklung dieses Lehrmittels: «Der grösste Vorteil ist, dass es sich um ein Selbstlehrmittel handelt», sagt SRK-Projektleiterin von «migesplus» Katharina Liewald. Die Geflüchteten könnten auf diese Art und Weise selbstständig lernen und sich so stetig verbessern.
Damit Geflüchtete die Schweizer Sprache besser und schneller erlernen, schlägt Dania Murad zusätzlich vor, arabisch- oder persischsprechende Lehrer anzustellen: «Wenn die Leute die Grammatik in ihrer Muttersprache erklärt bekommen, verstehen sie auch die Hintergründe. Sonst lernt man einfach nur auswendig.»
Das Camp als Bremse
Ein weiteres Problem sei, dass viele Flüchtlinge über Monate und Jahre in Camps auf dem Land ausharren müssten:«Das grösste Hindernis für eine gelungene Integration, ist die Isolation der Betroffenen.» Dort gebe es weniger Kontakt zu Einheimischen und Geflüchtete kämen selten in Situationen, in denen sie auf die deutsche Sprache angewiesen seien.
Die langwierigen Asylentscheide würden die Situation noch verschärfen: «Ohne Entscheid hat man nur begrenztes Anrecht auf Unterricht», so Murad.
Das Lehrmittel kann online gratis bestellt werden. Verteilt werden soll es in Asylzentren und Betreuungsorganisationen.