Izet Hajrovic«Das heisst nicht, dass ich die Klappe halten muss»
Am Mittwoch startet auch Izet Hajrovic ins WM-Jahr. Nicht mit der Schweiz gegen Kroatien, sondern nach seinem Verbandswechsel mit Bosnien in Innsbruck gegen Ägypten.
- von
- Eva Tedesco
Der ehemalige GC-Flügelspieler Izet Hajrovic schaut auf eine bewegte Zeit zurück. Obwohl im Testspiel gegen Tunesien im November 2012 für die Schweiz zum Einsatz gekommen, wechselte Hajrovic den Verband und spielt seither für Bosnien. Die Wut auf den vermeintlichen Verräter in diversen Foren war damals gross. In der Super League kam er aus dem Tritt. Er leistete sich mit einem Kopfstoss gegen Espen-Verteidiger Besle eine Eselei und wechselte im Winter nach Istanbul zu Galatasaray. Mit 20 Minuten spricht der 22-jährige Doppelbürger erstmals ausführlich darüber, warum er «wortbrüchig» geworden ist.
Izet Hajrovic, Sie leben nun seit rund einem Monat in Istanbul. Haben Sie sich schon eingelebt?
Izet Hajrovic: Mittlerweile lebe ich in einer schönen Wohnung. Ich durfte sogar alle Möbel aussuchen und der Verein hat dann alles organisiert. Es ging alles ziemlich schnell.
Wie gross war die sportliche Herausforderung ?
Natürlich war es eine grosse Herausforderung. Meine Mitspieler heute heissen Drogba, Melo, Sneijder, Muslera und so fort. Ich lerne täglich von Weltklassespielern dazu. Der Trainer führt mit mir Einzelgespräche und bringt mich taktisch sowie spielerisch weiter. GC werde ich aber immer dankbar sein, denn hätte GC nicht auf mich gesetzt, wäre ich heute nicht bei Gala.
Sie haben zusätzlich ein individuelles Trainingsprogramm erhalten. Wie sieht das aus?
Ich muss vor und nach jedem Training unter der Aufsicht eines Physio spezifische Übungen machen. Ich merke selber, wie ich bereits in kurzer Zeit physisch Fortschritte gemacht habe.
Wie lange werden Sie brauchen, um sich in der Türkei durchsetzen zu können?
In vier Pflichtspielen habe ich bisher ein Tor erzielt und drei Assists verbuchen können. Ich will einfach so weiterarbeiten, dann kommt alles von selbst.
Nach ihrem Verbands-Wechsel ist es für Sie in der Super League nicht gut gelaufen. Sie haben angeeckt. War das mit ein Grund für den Wechsel ins Ausland?
Na ja, ich hatte ein paar schwächere Spiele, aber auch einige gute. Dann kam die unnötige Rote Karte, wegen der ich drei Spiele gesperrt wurde. Trotzdem hatte ich in der Vorrunde sechs Tore und vier Assists auf dem Konto. Wäre es so schlecht gelaufen, hätte ich wohl kaum im Winter zu einem Topverein wie Galatasaray wechseln können. Ich bin nicht geflüchtet. Ich musste diese Chance wahrnehmen.
Zu Ihrem Entscheid für Bosnien und gegen die Schweiz haben Sie sich nie gross geäussert. Tun Sie es jetzt?
Damals wollte GC nicht, dass ich Stellung nehme. Ich wurde hart kritisiert von den Medien. Heute bin ich dafür offen.
Also dann: Warum haben Sie sich trotz Gesprächen mit Ottmar Hitzfeld gegen die Schweizer Nati entschieden?
Ich habe den Traum an die WM zu gehen, wie jeder andere Spieler auf der Welt auch. Die Nati ist für jeden Spieler etwas Spezielles. Da spielt man mit den besten Spielern des Landes. Bei Herrn Hitzfeld hatte ich einmal einen Kurzeinsatz in einem Freundschaftsspiel. Letzte Saison spielte ich mit GC erfolgreich, hatte eine gute Bilanz und war Stammspieler. Wenn ich dann fast ein Jahr lang nicht einmal für Freundschaftsspiele aufgeboten werde und andere Kollegen, die in ihren Klubs nicht spielen, schon, dann bringt mich das zum Nachdenken. Mich hat niemand vom Verband kontaktiert oder mich über die Situation informiert. Keiner hat mir gesagt, dass ich Geduld haben soll und man mit mir für die Zukunft plant. Nichts. Gleichzeitig hat der bosnische Verband ständig Druck gemacht und wollte mich unbedingt davon überzeugen, für Bosnien aufzulaufen. Ich muss ehrlich sagen, das war nicht einfach.
Sie bemängeln also die fehlende Wertschätzung?
Nein, das ist keine Kritik - an keinem. Aber ja, da ich Secondo bin, habe ich halt die Möglichkeit zu wählen, für welches Land ich spielen möchte. Wie viele Doppelbürger spielen heute in der Schweizer Nati? Ich denke, dass wir Secondos doch auch viel dazu beigetragen haben, dass der Fussball in der Schweiz einen so hohen Stellenwert hat. Gleichzeitig bin ich der Schweiz für alles dankbar. Aber das heisst nicht, dass ich die Klappe halten muss und nicht für ein anderes Land spielen darf. Man hätte mich nur einmal in einem offiziellen Spiel – wenn auch nur für eine Minute - spielen lassen müssen, dann wäre das Thema gegessen gewesen. Nachträglich bereue ich meine Entscheidung keinesfalls. Mit der bosnischen Nationalmannschaft habe ich Unglaubliches erreicht und erlebt. Ich habe nur einen Fehler gemacht: Ich hätte den Verband und Herrn Hitzfeld über meinen Entscheid vorher persönlich informieren müssen. That's it.
Sie haben danach einiges zu lesen und hören bekommen. Können Sie den Zorn nachvollziehen?
Ich bin Schweizer. Ich fühle mich als Schweizer. Und ich bin auch stolz auf meine bosnischen Wurzeln. Jeder Schweizer sollte sich mal fragen, ob er nicht auch so entschieden hätte, wenn er einen zweiten Pass und die Möglichkeit hätte, an eine WM zu fahren. Natürlich verstehe ich, dass es enttäuschte Fans gab. Ich war ja auch enttäuscht, dass man mich nicht mehr berücksichtigt hat.
Würden Sie sich heute genau gleich entscheiden?
Ja, natürlich.
Bosnien hat sich zum ersten Mal für eine WM qualifiziert. Die Gegner heissen Argentinien, Nigeria und Iran. Mit welchen Zielen reisen Sie nach Brasilien?
Ich möchte einfach dabei sein und mir diesen Traum erfüllen, an einer WM gespielt zu haben. Natürlich werden wir unser Bestes geben und von Spiel zu Spiel schauen.
Werden Sie die Resultate der Schweiz verfolgen?
Natürlich. Mehr noch, ich werde der Schweiz die Daumen drücken. Ich verfolge ja auch jedes Wochenende die Resultate und Spiele von GC und der Schweizer Liga.
Sie sagen, Sie fühlen sich als Schweizer. Bezeichnen Sie die Schweiz weiter als Ihre Heimat?
Ich bin da aufgewachsen, ich fühle mich als Schweizer und werde eines Tages wieder in der Schweiz leben.