Islamismus-Prävention«Das ist nicht Aufgabe der Polizei»
Geheimdienst und Polizei haben Muslime zu Gesprächen eingeladen, um sie vom Extremismus abzubringen. Der IZRS ist empört – andere Muslime sehen das als positiven Ansatz.
- von
- Nicolas Saameli
Gesprächstherapie für Salafisten: Radikale Muslime werden offenbar gezielt zu sogenannten «Präventionsgesprächen» eingeladen, in denen Polizisten versuchen, sie von ihren extremen Ansichten abzubringen. Verschickt werden die Einladungen dazu von der Polizei und dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Isabelle Graber, die Kommunikationschefin des NDB, bestätigt dies auf Anfrage der «Aargauer Zeitung». Aufgekommen waren die Vorwürfe durch ein Video des Islamischen Zentralrats (IZRS), in dem mehrere betroffene Personen diese Praxis als rassistisch verurteilten.
«Ich finde es nicht normal, dass die Behörden überhaupt solche Fragen in Betracht ziehen», sagt eine Person, die zum Gespräch geladen wurde, im Video. Sie fühle sich dadurch zu Unrecht beschuldigt. Eine andere befragte Person – eine junge Schweizerin, die im April konvertierte – soll laut dem IZRS-Video «ungewollte Hilfe» von der Polizei bekommen haben. Die Beamten hätten sie zu einem Treffen der Sufis, einer gemässigten muslimischen Glaubensgemeinschaft, gefahren und sie dazu gedrängt, den Islam in deren Stil zu leben. «Die Polizei hat mir gesagt, die Sufis verfolgten einen guten, friedlichen Weg, nicht wie die anderen», sagt die Frau im Video. Sie fühle sich durch das aufdringliche Verhalten der Polizei genötigt und bedrängt.
Muslime sprechen Extremisten gezielt an
Empört über die Praxis der Polizei ist auch Hisham Maizar, Präsident der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (FIDS). Er findet zwar, dass Gespräche grundsätzlich etwas Gutes darstellten – die Art, mit der das Projekt angegangen werde, habe aber etwas Negatives. Erfolge werde man bei den Radikalen damit nicht haben: «Salafisten oder andere Extremisten zeichnen sich genau dadurch aus, dass sie in einem geschlossenen ideologischen System leben. Sie lehnen Andersdenkende prinzipiell ab und sind in der Regel weder für Dialog noch für Kompromisse bereit.» Die Vorgehensweise der Polizei sei deshalb «sehr eigenartig».
«Solche Aktionen könnten viel mehr Erfolg haben, wenn die muslimische Gemeinschaft der Schweiz mit einbezogen würde», sagt Maizar. Die Vereine seien sehr gut vernetzt und sprächen Personen, die extremistische Tendenzen zeigen, gezielt an. «Das Gespräch mit solchen Leuten muss jemand führen, der die Charakteristika des fundamentalistischen Extremismus kennt», sagt er. Hierfür seien Experten gefragt. Maizar: «Mutet sich die Polizei hierbei nicht zu viel zu?»
«Je früher man eine Gefährdung sieht, desto besser»
Solche Präventionsgespräche geführt hat der Extremismus-Experte Samuel Althof aus Basel. In den letzten Jahren wurde er, der sich hauptsächlich mit dem Thema Rechtsextremismusprävention beschäftigte, regelmässig mit muslimischen Eltern konfrontiert, die mit den radikalen Ansichten ihrer Kinder überfordert sind. «Im Moment betreue ich zum Beispiel eine Familie mit Wurzeln aus dem Balkan», sagt er. Ein Kulturverein habe ihn um Hilfe gebeten, weil eine jugendliche Person Gespräche mit ihren Eltern und Freunden systematisch ablehne.
«Je früher man eine Extremismus-Gefährdung sieht, desto besser», sagt Althof. Deshalb seien solche Gespräche seitens der Polizei grundsätzlich zu begrüssen. «Ein Präventionsgespräch erfordert aber ein hohes Mass an Einfühlungsvermögen und viel Wissen über kulturelle Hintergründe. Viele Polizisten haben jedoch noch keine entsprechende Ausbildung für diese komplexen Zusammenhänge erhalten.»
Um die Situation optimal anzugehen, sollte man laut Althof eine unabhängige, themenübergreifende Instanz bilden, die Personen mit einer möglichen Gefährdung frühzeitig erkennt und mit den Sicherheitskräften in Verbindung steht. «Der Fall der beiden Mädchen aus Winterthur zeigt, dass es extrem wichtig ist, dass die Behörden schon bei einer absehbaren Gefährdung handeln können.» Eine extremistische Tendenz sei in den meisten Fällen absehbar. Gleichzeitig sei es wichtig, auf die Leiter der Moscheen zuzugehen und diese mit dem entsprechenden Know-how auszurüsten. «Oft ist das sehr gut möglich.»
«Ich glaube, die Behörden erledigen ihre Arbeit korrekt»
Unterstützung findet Althof in Bern. Der liberale Iman und IZRS-Gegner Mustafa Memeti spricht bei seinen Predigten regelmässig das Thema Extremismus an. «Wir dürfen die Pflichten der Behörden nicht behindern», sagt Memeti. Wenn die Sicherheit eines Landes gefährdet sei, betreffe dies alle, auch die Salafisten. «In einer freien Gesellschaft geht es nicht, dass einzelne sich der Rechtsprechung entziehen wollen.»
Er glaube zwar auch, dass Muslime in einigen Punkten benachteiligt würden, sehe aber auch andere Tendenzen – vor allem von staatlicher Seite. «Ich glaube, die Behörden erledigen ihre Arbeit korrekt», sagt Memeti. Extremismus hingegen sei in keiner Form zu tolerieren. Wenn man Tendenzen in Richtung Radikalismus sehe, müsse man dagegen vorgehen. Egal sei dabei, von welcher Seite diese kämen. «Im Moment sind es radikale Muslime, von denen man viel hört. Wer weiss, vielleicht sind es in ein paar Jahren andere Gruppen.»