Pulitzer-FotoreportageDas Leiden des Soldaten Scott Ostrom
Zivilisten wissen nicht, was Krieg ist. Dank dem Fotografen Craig Walker erhalten wir aber eine Ahnung davon, was es heisst, einen Krieg zu überleben. Für seine Doku erhielt er den Pulitzer-Preis.
- von
- phi
Der diesjährige Pulitzer-Preis für Reportage-Fotografie geht an Craig Walker von der «Denver Post». Der Amerikaner hat seinen Landmann Scott Ostrom zehn Monate lang begleitet: Der Ex-Soldat leidet, nachdem er zweimal in Kriegsgebieten stationiert war, am posttraumatischen Stresssyndrom (PTSD).
«Ich töte, wenn ich angegriffen werde»
Bevor Scott Ostrom nach Fallujah geschickt wurde, habe er ein durchschnittliches Leben geführt, sagte der heute 27-Jährige. «Ich war ein normales High-School-Kid. Dann trat ich den Marines bei. Ich lernte sehr schnell viele Lektionen, aber als ich ging, liess ich das alles zurück. Ich passte mich meiner neuen Umgebung an. Ich liess mein Haar wachsen. Ich begann, Marihuana zu rauchen. Ich passte mich stark an, aber ich fühlte mich wie ein schwarzes Schaf», so der Veteran im Frühling 2011.
«Die PTSD-Diagnose zu bekommen, ist eine interessante Sache», meinte er damals. «Es bedeutet, dass ich jede Nacht Albträume habe. Es bedeutet, dass ich ober-wachsam bin - bedeutet, dass ich verrückt werde wegen nächtlicher Geräusche und meine Tür verriegle. Es bedeutet, dass ich keine Sicherung habe und töten werde, wenn ich angegriffen werde. Ich will mich nicht so fühlen.»
«Dein Bewusstsein ist auf Gewalt und Aggression gemünzt»
Die Seelenqual ist so gross, dass Scott Ostrom erst 50 Prozent arbeitsunfähig war. Später wurde sein Handicap auf 70 Prozent erhöht. Die Diagnose lautete auf «Posttraumatisches Stresssyndrom assoziiert mit allgemeinem Angstsyndrom, Stimmungsschwankungen und Alkoholmissbrauch. «Dein Bewusstsein – alles was dich am Leben hält- ist auf Gewalt und Aggression gemünzt. Du verstehst gesellschaftliche Normen nicht», sagt Scott zurückblickend. Mittlerweile hat der Ex-Soldat einen Therapieplatz bekommen, geht wöchentlich zur Sitzung und ist zumindest im Lesekreis der «Denver Post» prominent.
Die US-Zeitung brachte die Reportage über ihn im Rahmen ihrer «Welcome Home»-Serie über Veteranen und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Craig Walker lernte Ostrom bei einem Veteranentreffen kennen. «Ich war gespalten», sagte Scott über die damalige Anfrage. «Wenn ein Journalist anfängt, dir zu folgen, weisst du, dass du PTSD hast.» Doch der Ex-Marine gewöhnte sich daran. «Craig hat die Story gerecht gemacht», lobte Ostrom den Fotografen. «Er ist dran geblieben und half mir zu verstehen, dass es wichtig ist.»
Zweifacher Pulitzer
Walker gewinnt den Pulitzer-Preis nach 2010 zum zweiten Mal. Auch damals berichtete er über Soldaten: In «Ian Fisher: American Soldier» begleitet er einen Army-Angehörigen vom High-School-Abschluss bis zum Ersteinatz im Irak. Dass er nun schon wieder ausgezeichnet wird, ehrt den Fotografen. «Es ist recht erstaunlich und macht sehr demütig», zitiert ihn sein Arbeitgeber. «Es ist schockierend, unglaublich und einfach schwer zu greifen.»
Weil Walker in einem Amerika aufgewachsen sei, das nur Frieden erlebt hat, habe ihn die Politik seit 2001 fasziniert, so der Fotograf. Die Soldaten Ian Fisher und Scott Ostrom hätten ihm die Augen geöffnet. «Ich habe nicht verstanden, also haben mir die zwei geholfen, zu begreifen. Unsere Nation wird für einige Zeit noch viele Leute wie Scott sehen.» Für Walker selbst war 2011 dagegen das beste Jahr seines Lebens. Er heiratete die Fotografin Jamie Cotton Walker und bekam seinen Sohn Quinn. Freud und Leid liegen manchmal eben sehr nah beieinander.
Hier finden Sie eine Liste aller Pulitzer-Preisträger 2012.